Nichts erinnert mehr ans Ferienparadies Lesbos. Der Hafen von Mytilini, einst Ankunftsort sonnenhungriger Touristen, wird ab heute zum Brennpunkt der europäischen Flüchtlingspolitik. Ab zehn Uhr sollen die ersten 500 Flüchtlinge, die nach dem 20. März 2016 illegal an der griechischen Küste ankamen, zurück in die Türkei.
Zwei Schiffe stehen dafür bereit. Bis Mittwoch sollen weitere 250 Flüchtlinge in die Türkei gebracht werden.
Doch es ist nur ein Vorgeschmack auf das, was noch folgen wird. Heute tritt das EU-Rückführungsabkommen mit Ankara in Kraft. Für jeden Syrer, den die Türkei zurückholt, nimmt die EU einen aus einem türkischen Flüchtlingscamp auf. So die Vereinbarung.
In ganz Griechenland bangen darum über 50'000 Flüchtlinge. Sie wollen nicht zurück in die Türkei. Berichte, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (62) täglich Hunderte von Syrern zurück in ihre Heimat schickt, versetzt sie zusätzlich in Panik.
Schon in den vergangenen Tagen machten Verzweiflungstaten Schlagzeilen. Flüchtlinge demonstrieren, drohen mit Selbstmord. Manche wollen sich ins Meer stürzen, andere sich verbrennen. Überall in Griechenlands Lagern herrschen Gewalt und Chaos.
In einem überfüllten Lager auf der Insel Chios gingen Afghanen und Syrer aufeinander los. Im Tumult brachen 800 Flüchtlinge aus. Viele von ihnen gingen zum Hafen, wollten mit der Fähre nach Athen – aus Angst vor der Abschiebung. Bei Idomeni besetzten Flüchtlinge die Autobahn. Auch in Piräus kam es zu Ausschreitungen.
Griechenland ist nervös. «Für jeden Migranten, der ausgewiesen wird, werden wir einen Polizisten einsetzen», sagt ein Offizier der Küstenwache. «Unsere Angst ist, wie man diese Menschen aus den Lagern rausholt.»
Und in der Türkei ist man noch gar nicht bereit. Die Abgeschobenen von Lesbos landen in Dikili. Der Ort hat 18'000 Einwohner. Es gibt dort noch nicht einmal ein Lager. «Wir sind nicht auf die Situation vorbereitet», klagt Bürgermeister Mustafa Tosum. So werden die ersten Flüchtlinge vorerst in einer Turnhalle untergebracht. Dikili lebt vom Tourismus. Der sei schon vor den Flüchtlingen um 50 Prozent eingebrochen. Jetzt fürchten die Bewohner, dass noch mehr Touristen wegbleiben. Hunderte gingen deswegen auf die Strasse.
Auch das Lager im türkischen Manisa, in das die ausgewiesenen Flüchtlinge von der Insel Chios gebracht werden, ist noch nicht fertig. Hier werden erst einmal Hotels belegt.
Selbst die europäische Grenzschutzagentur Frontex ist noch nicht bereit. «Das Personal ist nicht vollständig. Und von den 2300 von der EU versprochenen Helfern sind erst 200 angereist», sagt der Sprecher des griechischen Migrationsamts, Giorgos Kyritsis. Vieles tönt nach einer Tragödie mit Ansage.