Sie pfiffen auf Corona und trafen sich trotzdem. Über 460'000 Biker rollten von überall in den USA in die Kleinstadt Sturgis im US-Bundesstaat South Dakota an. Dort findet im August für zehn Tage das grösste Töff-Festival der Welt statt. So auch dieses Jahr – trotz Corona und ohne irgendwelche Massnahmen. Abstand? Maske? Fehlanzeige! Die Biker verbrachten die Tage so wie immer. Präsentierten ihre Maschinen, sassen gemeinsam in Restaurants und Bars, hatten einfach eine gute Zeit zusammen.
Nun zeigt sich: Das Töff-Treffen wurde zum Corona-Mega-Spreader-Event. Gut ein Fünftel der Neuinfektionen in den USA zwischen August und September gehen auf die Biker zurück. Im Klartext: Mehr als 250'000 Corona-Infektionen!
Das geht aus einer Studie des Institute of Labor Economics (IZA) hervor, die nun veröffentlicht wurde. Im 63 Seiten starken Bericht heisst es, dass das Treffen und die daraus resultierenden Infektionen das Gesundheitssystem zirka 12,2 Milliarden US-Dollar kosten könnte. Für ihre Schätzung nehmen die Wissenschaftler an, dass ein Corona-Patient Kosten in Höhe von 46'000 US-Dollar verursacht.
Aber wieso durften sich die Biker überhaupt einfach so treffen? Ganz einfach: Die Regierung unternahm nichts. Es gab keinerlei Sicherheitsmassnahmen. Kristi Noem (48), die Gouverneurin von South Dakota, setzte auf Eigenverantwortung. Eine Strategie, die nicht aufging, wie sich jetzt zeigt.
«Dieser Bericht ist keine Wissenschaft»
Die Gouverneurin wehrt sich nun gegen die Vorwürfe. «Dieser Bericht ist keine Wissenschaft. Er ist reine Fiktion. Unter dem Deckmantel der akademischen Forschung ist dieser Bericht nichts anderes als ein Angriff auf diejenigen, die ihre persönliche Freiheit ausgeübt haben, um Sturgis zu besuchen», erklärte die 48-Jährige in einer Stellungnahme auf Twitter.
Auch die Gesundheitsbehörden von South Dakota stehen der Studie kritisch gegenüber. Sie werfen den Wissenschaftlern vor, die Auswirkungen des Biker-Treffens zu dramatisieren, wie US-Medien berichten.
Kritik auch von Wissenschaftsmagazin
Diese Kritik wird von einem Artikel im Wissenschaftsmagazin «Slate» gestützt. Darin schreibt die Autorin, dass die Studie gar viele Annahmen treffen würde, die kaum beweisbar seien. Beispielsweise würde die Studie nicht darauf eingehen, wie viel es braucht, um 266'796 Menschen zu infizieren. Würde man die Inkubations- und Ansteckungszeit von Corona berücksichtigen, würde das bedeuten, dass ungefähr ein Prozent der Teilnehmer bereits infiziert waren, als sie beim Event eintrafen, aber noch gesund genug, um mit ihren Bikes dorthin zu fahren. Dann hätte jeder von ihnen ein Superspreader sein müssen, der rund zehn andere Leute infizierte. Was recht unwahrscheinlich sei, sagt die Autorin.
Die Studie messe allerdings die nach dem Event aufgetauchten Fälle in den Gemeinden der Biker, räumt die «Slate»-Autorin ein. Es könne also sein, dass die Infektionsketten erst dort explodierten. Allerdings sei das ja ein Biker-Event gewesen, die meisten Teilnehmer seien deshalb vermutlich nicht nach Hause geflogen, sondern gefahren. Einige vielleicht auf Umwegen, hätten die Strassen genossen. Alles in allem wäre das eine viel zu kurze Zeitdauer, um irgendwann Mitte/Ende August zu Hause anzukommen, so viele Menschen anzustecken, die testen zu lassen und dann als positive Fälle am 2. September in den Statistiken aufzutauchen. Die Autorin führt noch andere interessante Punkte auf und gibt einen spannenden Einblick, warum es so schwierig ist, Infektionsketten von Corona genau nachzuverfolgen.
Fakt bleibt: Corona hat die USA im Griff
Fakt ist: Corona hat die USA schwer getroffen. Nicht zuletzt, weil US-Präsident Donald Trump (74) das Virus und die damit verbundene Gefahr herunterspielte.
Besonders zu Beginn der Pandemie hatte Trump Covid-19-Erkrankungen wiederholt mit einer Grippe-Infektion verglichen. Auch behauptete er öffentlich, dass die Sterberate niedriger als bei einer Grippe sei - und hielt im Frühjahr mehrere Wahlkampfveranstaltungen mit Tausenden Anhängern ab. Mehrfach stellte er in Aussicht, dass das Virus eines Tages einfach wieder verschwinden werde. Die Folge: Corona verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Land. (jmh/SDA/vof)