Yasamin (33) und ihren Kindern droht die Ausschaffung nach Afghanistan
Auf diese Familie wartet der Krieg

Flüchtlingsfamilie R.* wurde von Zug nach Norwegen ausgeschafft. Nun droht ihr die Wegweisung in die Heimat, wo Bürgerkrieg und Taliban herrschen.
Publiziert: 06.11.2016 um 13:44 Uhr
|
Aktualisiert: 28.09.2018 um 15:18 Uhr
1/6
Familie R. in Oslo. Die Mutter ist auf sich allein gestellt, die Kinder vermissen ihren Vater.
Foto: zvg
Roland Gamp

Ein Schrank, zwei Stühle, drei Betten, ein karges Zimmer: So lebt Yasamin R. mit ihren Kindern Amin* (3), Amira* (5), Karmin* (8) und dem vier Monate alten Baby Nila*. «Es geht uns sehr schlecht», sagt die 33-Jährige. Das Kämmerchen im Asylheim von Oslo sei noch das geringste Problem: «Meine Kinder sind verängstigt und verstört, sie weinen den ganzen Tag.»

R. floh 1996 mit ihrem Mann aus Afghanistan, als die Taliban dort an die Macht kamen. Zehn Jahre lang lebten sie in Russland, drei der Kinder kamen dort zur Welt. 2015 reiste die fünf weiter nach Norwegen und stellten ein Asylgesuch – die Behörden lehnten es ab.

Mit Schleppern in die Schweiz

Zurück nach Afghanistan konnte die Familie nicht. Yasamin war dort ursprünglich einem anderen Mann versprochen worden, der sich den Taliban anschloss. Dass sie ihn damals sitzen liess, könnte sie jetzt das Leben kosten.

Mit Mann und Kindern liess sie sich von Schleppern in die Schweiz schleusen, wo viele ihrer Verwandten leben, und beantragte Asyl. Das Staatssekretariat für Migration trat nicht auf das Gesuch ein, sondern verfügte die Wegweisung – die Familie war ja bereits in Norwegen ­registriert.

Die dortige Regierung verfolgt eine strikte Ausschaffungspolitik. Per Zeitungsinserat wandte sie sich direkt an Flüchtlinge: «Wenn Sie das Land nicht freiwillig verlassen, werden Sie mit Gewalt zurückgebracht.» Laut norwegischem Aussenministerium werden 90 Prozent der afghanischen Flüchtlinge zurück in ihr Heimatland gebracht. Im Unterschied zu anderen EU-Staaten gilt das auch für Familien.

Familie auseinandergerissen, Kinder fremdplatziert

Bevor Familie R. den Sonderflug nach Norwegen antrat, wurde der Vater (30) in die Strafanstalt Zug gebracht, die Mutter samt Baby ins Flughafengefängnis Kloten ZH. Die drei Kinder wurden fremdplatziert, wie BLICK publik machte.

Die zuständige Zuger Sicherheitsdirektion liess vor drei Wochen wissen: «Die bisherigen Vollzugshandlungen sind rechtsstaatlich korrekt abgelaufen.» Das Verwaltungsgericht habe die Haft als «rechtmässig und angemessen» beurteilt. Wichtig sei gewesen, dass die Familie im Rahmen der Rückführung «rasch wieder zusammengebracht werden konnte».

Vor zehn Tagen landete sie in Oslo. «Jetzt sind die Mutter und die Kinder schon wieder vom Vater getrennt», sagt Yasamins Cousine Mirjam Klöti (32), die in der Schweiz lebt und die Familie besucht hat.

Kinder verzweifelt

Den Kindern gehe die Trennung nahe. «Amira weint ständig und fragt nach ihrem Vater», so Klöti. «Karmin, der sonst ein fröhlicher Bub ist, hat seit Tagen kein Wort gesagt. Er ist stark traumatisiert.»

Die Mutter sei auf sich allein gestellt, im Heim sei tagelang kein Betreuer gewesen. Auch die medizinische Versorgung sei schlecht. Bei Amira hatten Ärzte schon in der Schweiz einen akuten Abszess im Mund festgestellt, der dringend behandelt werden müsste. «Trotzdem wurde sie bis jetzt nicht operiert.»

Am schlimmsten aber sei die Angst. «Die norwegische Behörde hat den Asylantrag abgelehnt und ging nicht auf die anschliessende Beschwerde ein.» Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis die Ausschaffung nach Afghanistan erfolgt.

Vorwürfe gegen Schweiz Behörden

«Unsere einzige Hoffnung ist, dass ein Anwalt oder Politiker den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringt», sagt Klöti. Sie macht den Schweizer Behörden Vorwürfe. «Diese wissen genau, wie strikt Norwegen Afghanen ausschafft. Und hat die Familie trotzdem in den Flieger gesetzt.»

Die Zuger Sicherheitsdirektion entgegnet: «Weder die Zuger Behörden noch das Staatssekretariat für Migration haben Kenntnis vom Stand des norwegischen Asylverfahrens oder eines allfälligen Asylentscheides und dessen Konsequenzen.»

Dass die Familie von Norwegen nach Afghanistan ausgeschafft werde, könne man nicht bestätigen. «Nach den vorhandenen Informationen verbrachte die Familie die letzten zehn Jahre in Russland.» Das norwegische Direktorat für Immigration liess Fragen von SonntagsBlick unbeantwortet.

* Namen bekannt

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?