Offenbar kam es vor dem Crash zu einem Sinkflug, der lange acht Minuten gedauert hat. Was passiert in einer solchen Situation mit den Passagieren? Was kriegen diese überhaupt noch mit und was passiert in dieser Kabine?
Peter Schmid*: Ohne die Absturzursache zu kennen, ist es extrem schwierig, dies zu beurteilen und vieles wäre reine Spekulation. Generell kann man sagen: Es ist durchaus möglich, dass die Passagiere ganz lange nicht viel mitbekommen haben, was sich da tat. Es war ein Sinkflug, kein Absturz. Vielleicht ein etwas steilerer Sinkflug als ein Pilot gewöhnlich von dieser Höhe absteigt. Es war schönes Wetter und als der Flieger so tief flog, gab es sicherlich Passagiere, die sich gewundert haben, wieso der Pilot so tief fliegt. Aber ich möchte gar nicht weiter spekulieren.
Eine Panik ist also unwahrscheinlich?
Oftmals bricht in der Kabine keine Panik aus, auch wenn irgend etwas Aussergewöhnliches geschieht. Die Passagiere bleiben meistens ruhig. Doch auch das ist in diesem konkreten Fall Spekulation.
Kommt es bei einem Sinkflug zu einem Druckabfall in der Kabine?
Die Druckkabine macht so einen Sinkflug problemlos mit. Das System wird dadurch keineswegs überfordert. Technisch und fliegerisch ist so ein Sinkflug problemlos. Ein Pilot muss ein solches Manöver beispielsweise einleiten, wenn er Verkehr unterfliegen muss oder es sonstige Einschränkungen gibt, die einen steileren Sinkflug erfordern.
Was passiert in einem Cockpit in so einer Situation? Ist es ungewöhnlich, dass kein Notsignal gesendet wurde? Die Französischen Behörden sagen, es sei kein «Mayday»-Signal gekommen. Heisst das, dass die Piloten im Cockpit dachten, sie haben alles im Griff? Oder haben sie die Dramatik nicht gesehen?
Grundsätzlich ist es so: wenn etwas Ungewöhnliches passiert, gilt im Cockpit das Prinzip: «Fly, Navigate, Communicate». Das bedeutet: zuerst Fliegen und damit sicherstellen, dass die Piloten den Flieger unter Kontrolle haben. Zweitens Navigation: Wohin fliege ich, welchen Flugweg nehme ich? Muss ich allenfalls umdrehen? Und dann erst kommt das Kommunizieren – und zwar nach Aussen, nämlich zur Flugverkehrskontrolle und nach Innen zu Crew und Fluggästen. Das ist aber immer erst der dritte und damit letzte Schritt. Wir wissen nicht, was im Germanwings-Cockpit geschah. Aber die Kommunikation nach aussen steht nicht unbedingt an erster Stelle.
Das wird in den Schulungen trainiert, dass diese Prioritätenliste eingehalten wird?
Das ist immer ein wichtiger Teil des regelmässigen Trainings. Es wäre eine falsche Priorität, wenn der Pilot sich in einer Kommunikation verzettelt und nicht merkt, dass das Flugzeug in dieser Zeit nicht unter Kontrolle ist.
Der Absturz betraf einen Airbus des Typs A320, den Sie auch geflogen sind. Ein grundsätzlich sicheres Flugzeug?
Die Statistik zeigt für dieses Flugzeug 1,4 Abstürze auf 10 Millionen Flüge. Diese Statistik hilft Absturzopfern natürlich nicht. Aber sie zeigt eine grosse Zuverlässigkeit des A320. Das Flugzeug ist ein absolutes Arbeitspferd, bei dem das Alter keine Rolle spielt, da es auf die Wartung ankommt. Die Lufthansa Technik, bei der auch Germanwings ihre Maschinen wartet, verfügt über einen ausgezeichneten Ruf. Die Flieger werden in einem Topzustand gehalten. Zudem findet circa alle 7 Jahre eine Generalüberholung statt. Dabei wird das Flugzeug komplett auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. Viele Komponenten sind also nicht 24 Jahre alt und bereits mehrfach ersetzt worden. Deshalb ist das Alter zumindest bei Top-Airlines nicht entscheidend.
Gilt Germanwings als Billig-Airline?
Ich würde sie nicht in diese Schublade tun. Die Lufthansa-Tochter verfügt zwar über eine tiefere Kostenstruktur, als die Konzernmutter. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Löhne tiefer sind, und das Serviceangebot dünner. Daraus lassen sich aber keine Rückschlüsse auf die Sicherheit ziehen.
Es gibt offenbar Germanwings-Piloten, die sich nach diesem Absturz als nicht mehr flugtauglich ansehen. Liegt das in der Eigenverantwortung des Piloten?
Es ist nicht so, dass ein Pilot sich in einem Fall dispensieren kann, er muss es sogar. Als Pilot bin vom Gesetz dazu verpflichtet, etwa wenn meine Fitness es nicht zulässt, ins Cockpit zu steigen, wenn physische oder auch psychische Probleme Defizite einem Einsatz im Wege stehen. Nur hundert Prozent fitte Piloten können die Sicherheit für die Passagiere gewährleisten.
Über seinen Einsatz entscheidet also per Definition der Pilot und nicht der Arbeitgeber? Das heisst jetzt, wenn einige Piloten sagen, sie können nicht fliegen nach diesem Absturz, muss das der Arbeitgeber akzeptieren?
Ja. Allein der Pilot kann entscheiden, ob er in der Lage ist, einen Flug sicher durchführen zu können. Nur er kennt die psychischen Belastungen, denen er in einem solchen Moment ausgesetzt ist.
Es gibt keine Branche mit einer ausgefeilteren Sicherheitskultur wie die Airline-Branche. Trotzdem: Gibt es innerhalb des Lufthansakonzerns eine Sicherheitskultur, die für alle Tochtergesellschaften inklusive Germanwings gilt?
Die Swiss ist auch Teil des Lufthansa-Konzerns. Die Sicherheitskultur ist das wichtigste Kapital einer Airline. Obwohl diese bei Lufthansa und Swiss nicht deckungsgleich sind, verfolgen beide Firmen eine identische Philosophie. Der gesamte Lufthansa-Konzern strebt dabei nach höchstmöglicher Sicherheit. Das ist innerhalb des Konzerns so und Dies gilt auch für die Pilotenausbildung. Es existieren auch da keine Unterschiede zwischen den Konzerntöchtern der Lufthansa.
Auch nicht zu Germanwings?
Der sogenannte Konzerntarifvertrag, der in Deutschland aktuell diskutiert wird, sieht noch immer vor, dass ein Pilot als Co-Pilot bei der A320 der Lufthansa einsteigen kann, dann vielleicht Co-Pilot bei der Langstrecke auf dem A340 bei der Lufthansa wird und dann zum Captain bei Germanwings aufsteigen kann. Es ist ein Karrieremodell, das durchlässig ist, von der Lufthansa zu Germanwings oder beispielsweise auch der Lufthansa Cargo.
Hat dieser Absturz auch Auswirkungen auf die Lufthansa-Konzerntochter Swiss?
Nicht nur auf die Swiss, sondern auf die ganze Industrie. Auch aus einem solch tragischen Ereignis können Erkenntnisse zur weiteren Erhöhung der Sicherheit gewonnen werden. Das Wichtigste ist jetzt, dass eine vorurteilslose Abklärung der Unfallursache durchgeführt wird und die richtigen Schlüsse daraus gezogen werden.
Welche drei Punkte sind für eine optimale Sicherheitskultur einer Airline entscheidend?
Sehr wichtig ist, dass Fehler gemeldet werden können, ohne eine Bestrafung befürchten zu müssen. Zudem sollte wie bei jedem Arbeitgeber eine stabile Arbeitsumgebung vorhanden sein, beispielsweise in Bezug auf die Arbeitsplatzsicherheit. Gleichzeitig dürfen Piloten nicht unter einem kommerziellen Zwang stehen, sondern müssen Entscheidungen rein aufgrund von sicherheitsrelevanten Kriterien treffen können. Einer ist sicher, dass die Fluggesellschaft gute Voraussetzungen schafft, damit das Personal, die Piloten sich ohne Einschränkungen auf den Flug konzentrieren können.
Und das heisst?
Die Piloten müssen beispielsweise selber entscheiden können, wie viel Kerosin sie auf einen Flug mitnehmen, auch für den Fall, dass der Zielflughafen nicht direkt angesteuert werden kann. Das ist bei Lufthansa oder Swiss heute noch der Fall, bei anderen Airlines stehen hier Kosteneinsparungen im Vordergrund.
* Peter Schmid ist Airbus-Captain und Funktionär bei der Standesorganisation der Piloten Aeropers.