Der Gotthard-Basistunnel, der am 1. Juni mit grossem Pomp eröffnet wurde, soll die Fahrzeit ins Tessin massiv verkürzen. Ab dem 11. Dezember, wenn nach dem Fahrplanwechsel erstmals reguläre Züge durch das Meisterbauwerk fahren, soll sich die Reisezeit von Zürich nach Lugano um bis zu 25 Minuten verkürzen, wie die SBB versprechen. Ab Ende 2020 werde der Fahrzeitgewinn zwischen der Deutschschweiz und dem Tessin gar bis zu einer Stunde betragen.
Die Luftsäule ist das Problem
Doch nun kommen Zweifel an diesen Versprechen auf. Wie die «NZZ am Sonntag» berichtet, ist nicht klar, ob der anvisierte Fahrplan eingehalten werden kann. «Wenn ja, haben wir Glück gehabt», zitiert die Zeitung einen SBB-Verantwortlichen.
Das Problem: Die Ingenieure haben ein physikalisches Phänomen unterschätzt. In Tunneln schieben Züge Luft vor sich her, die sie abbremst. Im neuen Gotthard-Tunnel ist das Problem besonders gravierend, denn aus Kostengründen wurde er fast 10 Prozent enger gebaut als beispielsweise der Lötschberg-Tunnel. Auch gibt es keine Druckausgleichsstollen, über die die Luft entweichen könnte.
Güterzüge bremsen Personenverkehr aus
Die sogenannte Luftsäule muss im Gotthard von den Zügen also über die ganzen 57 Kilometer bewegt werden, was sehr viel Energie kostet. Verschlimmert wird das Problem durch die Güterzüge, die langsamer durch den Tunnel fahren als die Personen-Schnellzüge. Fährt ein langsamer Güterzug vor einem Schnellzug durch den Tunnel, bremst er das Luftpaket, in dem sich der Schnellzug bewegt, zusätzlich ab.
Ob alle Lokomotiven der Schnellzüge genügend stark sind, um dagegen anzuhalten, ist unklar. Ingenieure gehen aufgrund der bisherigen Testfahrten davon aus, dass die praktisch erreichbare Höchstgeschwindigkeit im Tunnel zwischen 160 und 180 km/h liegen wird und nicht wie versprochen bei 200 km/h. Das würde die Reisezeit weniger verkürzen als geplant.
An den Grenzen des Möglichen
Weniger als 100 Tage vor Beginn des planmässigen Verkehrs im Gotthardtunnel gibt es also viele Unsicherheiten. «Wir sind mit diesem gigantischen Projekt in allen Bereichen, auch beim Betriebskonzept, bis an die Grenzen des Möglichen gegangen. Entsprechend hoch sind die Risiken, mit denen wir uns nun auseinandersetzen müssen», so ein Fahrplan-Spezialist gegenüber der Zeitung. (sf)