Nick Hayek: Guten Tag, stört es Sie, wenn ich meine Zigarre rauche?
SonntagsBlick: Zuletzt rauchte der Ölhändler Marc Rich während eines SonntagsBlick-Interviews eine Zigarre.
Dann höre ich sofort auf. Der Vergleich mit einem Rohstoffhändler gefällt mir nicht besonders.
Uns stört es nicht, wenn Sie rauchen. In welcher Sprache möchten Sie das Interview führen?
Eine andere Sonntagszeitung wollte eines auf Schweizerdeutsch machen. Das ist aber zu kompliziert.
Weil man Schweizerdeutsch nicht wirklich lesen kann?
Vielleicht. Noch schwieriger ist es, Schwiizertüütsch zu schreiben.
Dann publizieren Sie den Swatch-Geschäftsbericht auf Schweizerdeutsch, weil ohnehin keiner Geschäftsberichte liest?
Falsch. Viele lesen ihn. Sogar Journalisten, weil sie immer auf der Suche nach potenziell Brisantem sind – wie die Löhne des Managements.
Mehr als ein kluger Marketing-Gag ist der schweizerdeutsche Geschäftsbericht dennoch nicht.
Wir schämen uns nicht, eine Schweizer Firma zu sein – und dazu eine globale. Der Dialekt gehört zur Schweiz. Er steht für die Vielfalt des Landes und der Swatch Group.
Warum liegt Ihnen die Schweiz so sehr am Herzen?
Sie liegt mir nicht nur am Herzen. Ich lebe hier. Es ist meine Heimat. Die Menschen haben Vertrauen in das, was die Schweiz repräsentiert.
Wofür steht denn das Schweizer Kreuz?
Über die Flagge rede ich nicht, ich spreche über das Land. An meinem Fenster hängt eine Piratenflagge.
Und wofür steht das Land?
Für Vielsprachigkeit, Föderalismus, Toleranz – weil wir Eigenheiten zulassen und als kleines Land nie ein anderes besetzt haben. Wir sind fleissig und zuverlässig, all das schafft Vertrauen.
Sie fürchten nun, die Schweizer Industrie verwässere ihre Produkte.
Kauft jemand etwas mit der Aufschrift «Swiss Made», geht er zu Recht davon aus, dass alles in der Schweiz hergestellt worden ist. Akzeptieren wir faule Kompromisse wie die 50 Prozent, schneiden wir den Ast ab, auf dem wir sitzen.
Für den Grossteil der Schweizer Industrie ist das unmöglich.
Eine Swatch kostet seit dreissig Jahren 50 Franken. Wir stellen sie zu fast 100 Prozent in der Schweiz her. Können wir das, muss das für viele andere Konsumgüter möglich sein. Dass dies bei Investitionsgütern wie Maschinen schwieriger ist, verstehe ich. Diese Güter werden ja nicht von einem Endkonsumenten gekauft. Niemand ist gezwungen, «Swiss Made» auf seine Produkte zu schreiben.
Ist der angepeilte Kompromiss – 60 Prozent Swissness bei Uhren, 50 Prozent beim Rest – sinnvoll?
Eigentlich reichen mir 60 Prozent nicht, ich hätte gerne mehr. Aber der Uhrenverband hat demokratisch entschieden, dass es mindestens 60 Prozent sein sollten.
Dann tritt Ihr Verband nun doch nicht aus Economiesuisse aus?
Vielleicht braucht es die Economiesuisse ja bald nicht mehr. Verbände gibt es schon viel zu viele.
Was haben Sie gegen die Economiesuisse?
Sie wirkt wie eine Elite-Organisation, die nur noch die Sprache der Teppichetagen spricht. Sie sollte sich lieber glaubwürdig und engagiert um den Werkplatz und den Industriestandort kümmern.
Das tut sie nicht?
Nicht genug. Statt Kampagnen mit Werbeagenturen zu führen, sollte sie die Interessen derer vertreten, die in diesem Land Produkte herstellen und verkaufen. Das sind viele Industrie- und Gewerbebetriebe, die fest verankert sind in den verschiedenen Regionen der Schweiz. Zusammen bilden sie einen Pfeiler unseres Wohlstandes.
Dann ist ja doch alles gut?
So lange wir unseren Pragmatismus behalten, schon. Viele Unternehmer, Mitarbeiter und Gewerkschafter wie lokal verankerte Politiker sind nach wie vor sehr pragmatisch und lösen Probleme erfolgreich. Im Moment werden wir überschüttet von dogmatischer Parteipolitik jeder Couleurs – und von immer mehr Zentralismus.
Dann versagt die Politik in Bern?
Nicht nur. Das Problem ist überall zu finden. Zu viele Leute meinen, alles müsse zentralistisch mit neuen Regeln gelöst werden. Das ist eine typische Funktionärs- und keine Unternehmers-Philosophie.
Dem Hayek gehört die Wahrheit?
Sicher nicht. Ich bin weder arrogant noch habe ich immer recht. Es geht um die Grundlage unseres Wohlstandes. Dazu kann ich nicht schweigen.
Wie hoch ist der tiefste Lohn der Swatch Group in der Schweiz?
Das ist von Region zu Region ganz verschieden, ohne die Spezialsituation der Grenzgänger liegt er etwas unter 4000 Franken im Monat.
Das sind knapp 45000 Franken im Jahr. Sie verdienen 6,2 Millionen. Käme die 1:12-Initiative durch, müssten Sie allen mindestens 516666 Franken zahlen.
Es ist eine dogmatische Initiative mit starren Forderungen. Mein 1:12-Vorschlag sähe anders aus. Auf zwölf Angestellte sollte in einem Betrieb mindestens ein Lehrling kommen. Das wäre konstruktiv. Die Jungen erhalten Perspektiven – und sie identifizieren sich früh mit einem Unternehmen. Das hilft dem ganzen Werkplatz.
Sie fordern ebenfalls Regeln?
Mein 1:12 ist eine Zielsetzung. Dabei gibt es nur Gewinner, lang- wie kurzfristig. Ich bin überzeugt, dass viele Unternehmer und die Gewerkschaften sofort mitmachen würden, bei den Parteien bin ich mir nicht sicher.
Gerade die Gewerkschaften sind doch sehr dogmatisch.
Das finde ich für den Industrieteil der Gewerkschaften im Vergleich zur SP überhaupt nicht. Nehmen Sie die Initianten der 1:12-Initiative. Anstatt richtige Revoluzzer zu sein mit revolutionären Ideen erscheinen sie mir manchmal eher wie etwas biedere Hausabwarte. Sie wollen gerne kontrollieren, wann man das Licht zu löschen hat und wie laut die Musik ertönen darf. Das alles hat einen sehr moralhüterischen Ton.
Woher kommen die Angriffe auf Löhne in der Schweiz?
Sie haben ihren Ursprung in der anglophilen Börsen-Shareholder-Kultur. Zuvor haben die Konzerne in Ruhe gearbeitet. Heute ist alles zu vergolden, was dem oftmals kurzfristigen Börsenplatz gefällt. Es ist doch verrückt, Rekordgewinne zu vermelden – und 5000 Leute zu entlassen. Der Börsenkurs geht hoch und das Management zahlt sich 10 bis 20 Millionen Franken Belohnung. Wir müssen wieder darauf achten, dass ein Unternehmen für alle Beteiligten einen Mehrwert schafft, nicht nur für die Aktionäre.
Sie würden die Swatch Group gerne von der Börse wegkaufen.
Leider geht das nicht, ohne uns zu verschulden.
Aber Sie würden es gerne tun?
Ja, es wäre uns lieber. Dann müssten wir nicht alle sechs Monate mit viel Aufwand unsere Zahlen publizieren. Wir konzentrieren uns lieber auf den Verkauf von Uhren.
Sie wollen weniger Transparenz?
Was hat Transparenz denn gebracht? Dass die Löhne steigen. Jeder sieht jetzt, was der andere verdient – und will selber mehr.
Hier lesen Sie Teil 2 des Interviews.