Es wird dunkel im abgelegenen Walliser Turtmanntal. Unter den Augen ihres Jagdhunds holen die beiden Wildhüter ihre Ausrüstung hervor: Fernglas, Wärmebildkamera, Gewehr. Ihr Auftrag: den Wolf zu schiessen, der in der Augstbordregion seit dem Frühling Dutzende Schafe gerissen hat. Dafür legen sie sich in einem Unterstand auf die Lauer.
Die nur etwa sechs Quadratmeter grosse Hütte mit Fenstern auf allen Seiten kam am Mittwochnachmittag per Helikopter auf die Schafalp. Nun schütteln die Wildhüter der Hirtin Frauke Spengler (49) die Hand. Sie trägt für die rund 500 Tiere auf der Alp die Verantwortung. Zusätzlich zu ihrem Gehilfen und acht Herdenschutzhunden verfügt sie nun auch über die Unterstützung der beiden Kantonsmitarbeiter. Sie werden die ganze Nacht auf der Lauer liegen. Erblicken sie den Wolf, hat seine letzte Stunde geschlagen.
Mehrere Exemplare sind in dem weitläufigen Gebiet unterwegs, abgesehen haben es die Wildhüter aber auf ein ganz bestimmtes Tier: Den Wolfsrüden M59. Er tötete im letzten Halbjahr mehr als 50 Schafe. Im Frühling riss er sogar im Dorf Tiere – in unbewachten Koppeln. Aber auch Schafe aus gut geschützten Herden fielen ihm zum Opfer. Deshalb erteilte die Walliser Regierung Mitte Juni eine Abschussbewilligung. Ausnahmsweise. Wölfe stehen unter strengem Schutz.
Zuletzt hatte M59 die Schafherde im hinteren Turtmanntal angegriffen – in der Vollmondnacht vom 20. Juli. Die Tiere waren eingezäunt, Herdenschutzhunde wachten.
Als er zuschlug, schlief Hirtin Spengler in einer Hütte ganz in der Nähe. «Er trennte einen Teil von der Herde ab und erlegte fünf Tiere.»
«Der Wolf ist schlau»
Vier Lämmer lagen tot im Fluss, das Mutterschaf frass er ganz. Eine Hündin war am Kopf verletzt, offenbar war es zu einem Kampf gekommen. «Der Wolf ist schlau. Es beobachtet uns sehr genau und schlägt zu, wo unsere Schwachstellen liegen.» Für die erfahrene Hirtin, die das zweite Jahr im Turtmanntal arbeitet, war der Angriff ein Rückschlag. «Wir hatten die Tiere eingezäunt, vier Herdenschutzhunde waren bei ihnen. Wenn dann trotz dieser Massnahmen am nächsten Morgen fünf Tiere tot sind, ist das schon hart!» Dabei hatten die Besitzer der Tiere nach mehreren Rissen im letzten Sommer und im Frühling aufgerüstet: Neben der Schäferin war auch ein Gehilfe im Einsatz.
Seit der fatalen Vollmondnacht wird die Herde mit einem zusätzlichen Zaun geschützt, der als Nachtpferch dient. Plastikwimpel sollen den Wolf davon abhalten, in das Gehege einzudringen. «Wie in Fort Knox», kommentiert Spengler, «mehr als diese Massnahmen wären einfach unverhältnismässig.»
«Alpendisco»
Ein Tal weiter hütet Simon Winteling 215 Hornschafe, die meisten davon Walliser Schwarznasenschafe. Im letzten Jahr habe es sieben Risse gegeben. Winteling (44) hält seine Tiere nachts hinter einem anderthalb Meter hohen Starkstromzaun in Sicherheit. Blinklichter sollen den Wolf einschüchtern. «Alpendisco», nennt Winteling sein System. Dass er in einem Zelt gleich neben der Herde übernachtet, bietet weiteren Schutz. Bisher hatte er mit seinem System Erfolg.
Für ihn und seine Kollegin Spengler ist klar, dass der Wolf nicht mehr aus den Schweizer Alpen verschwinden wird. Aber sie befürworten den Abschuss dieses einen, blutgierigen Wolfsrüden. «Er ist sehr schlau und wagt sich nah an den Menschen heran», sagt Spengler. «Wir wären froh, wenn die Wildhüter M59 erlegen könnten.»
Im kommenden Sommer stehen die Schäfer der Region vor einer weiteren Herausforderung. David Gerke (31) von der Gruppe Pro Wolf ist überzeugt: «In den nächsten Wochen wird es in der Region den Nachweis eines Wolfrudels geben.» Im Februar war die läufige Wölfin F14 mit dem Rüden M59 unterwegs. «Dass die Wölfin damals nicht gedeckt worden ist, ist sehr unwahrscheinlich.» Es gebe weitere Indizien für eine Rudelbildung: Im Mai war M59 plötzlich alleine unterwegs. «Das deutet darauf hin, dass die Wölfin Junge geworfen hat», sagt Gerke.
5 Uhr morgens im Turtmanntal. Allmählich wird es hell. Der Einsatz der Wildhüter ist für diese Nacht beendet. M59 ist ihnen nicht vor die Flinte gekommen. «Einen Hirsch und zwei Mal einen Fuchs haben wir gesehen, sonst blieb es ruhig.» Noch bis Mitte August haben die Walliser Wildhüter Zeit, den Wolf zu erlegen. Dann läuft ihre Abschussbewilligung aus.
Den Kollegen im Kanton Uri ist letzte Woche ein Abschuss gelungen. Der Urner Jagdverwalter Josef Walker: «Manchmal braucht es einfach auch etwas Glück.»