Rafaella (27) hat sich aufgebrezelt. Aus dem Ausschnitt des dunkelblauen Bustiers quillt ein üppiger Busen. Die Hotpants zeigen mehr, als sie verdecken. Die Moldawierin schwingt sich auf einen der Barhocker, schlägt ihre langen Beine übereinander. Die roten Stilettos wippen im Takt der Musik. Ihre Augen ruhen auf der leeren Bar.
Es ist 18 Uhr. Der Maxim Club in Chiasso TI hat schon seit vier Stunden geöffnet. «Nicht viel los», sagt die Prostituierte, «aber das kommt noch.» Seit 2015 schafft sie in der Schweiz an. Mal im Tessin, mal in der Deutschschweiz. «Ich bin gelernte Mode-designerin», erzählt Rafaella, «wenn ich genug Geld zusammen habe, dann kehre ich nach Hause zurück und gründe mein eigenes Mode-Label.» 4000 Franken kann sie monatlich zur Seite legen. Ein guter Schnitt in Krisenzeiten.
Früher war das Tessin ein Eldorado der Lust
Im Tessin herrscht ein Testosteron-Ausnahmezustand. Noch vor einigen Jahren strömten Freier (vor allem aus Italien) in gut drei Dutzend Bordelle. Über 1000 Dirnen verwandelten die Sonnenstube in ein heisses Eldorado der Lust.
Heute kämpfen gerade noch 15 Puffs um magere Kundschaft. Die Zahl der angemeldeten Prostituierten sank 2016 verglichen mit dem Vorjahr von 900 auf 780, berichtet «Il Caffè». Alles die Folge des starken Frankens, der Wirtschaftsflaute und der kantonalen Meldepflicht fürs horizontale Gewerbe. Und offenbar nicht nur deswegen.
Bordell-Betreiber wird Wucher vorgeworfen
Ulisse Albertalli (67) war Boss des einst grössten Bordells der Schweiz, dem Oceano in Lugano TI. Für ihn ist klar, wer schuld daran ist. «Der Kanton hat mit seiner Hexenjagd alles kaputt gemacht», sagt Albertalli und meint die Operation «Domino» im Jahr 2012.
Ständig habe es Razzien gegeben. Prostituierte wurden verfolgt, die Freier verschreckt, die Betreiber angeklagt. «Mir beispielsweise wird Wucher vorgeworfen, weil ich den Mädchen die Zimmer vermietete. Zu ganz normalen Preisen. Auf den Prozess warte ich heute noch.»
Alles sei viel zu kompliziert geworden, meint der Ex-Bordell-König weiter, «Steuern hier, Steuern da. Krankenkasse und so weiter. Die Mädchen tauchen in Appartements ab oder ziehen nach Österreich. Dort ist es viel einfacher». Hinzu käme die Krise in Italien. «Immer mehr Italienerinnen prostituieren sich. Du findest im Grenzgebiet Mädchen in jedem Loch zum Spottpreis.»
Der Amtsschimmel ist kein Hengst
Auch Massimo Marchetti (37) musste das Hollywood in Cadenazzo TI aufgeben. Gut 20 Jahre war der Puff im Wohngebiet. Verboten nach dem kantonalen Prostitutionsgesetz. Das Hollywood musste schliessen. Das war 2014. Seitdem plant Marchetti einen Liebestempel mit Sauna und Boutiquen jenseits der Kantonsstrasse. Ganz legal im Gewerbegebiet. Doch der Amtsschimmel ist kein Hengst.
«Ehe ich wirklich bauen darf, vergehen sicher noch weitere zwei Jahre.» Die Bürokratie sei desaströs, meint der Tessiner. Zudem sei der gute Ruf des Gewerbes dahin. «Man bekommt fürs Rotlicht keinen Bank-Kredit mehr.»
«Ohne Shows und Partys geht nichts»
Rafaella zupft ihr Top zurecht. «Wenn ich ins Tessin komme, dann arbeite ich nur im Maxim», sagt die Blondine, «hier macht es Spass.» Dafür sorgt Stefano Taroni (35), der Event-Manager des Clubs. «Wir machen Topless-Partys, Strip-Shows, Kostümfeste. Wir prämieren den schönsten Busen, den knackigsten Po, den besten, aber auch den stümperhaftesten Blow-Job und den miesesten Freier. Alle zwei Tage geht hier die Post ab», sagt Stefano Taroni. «Und am Wochenende ist Diskothek. Nur so kriegen wir noch den Laden voll.»