Heiler und Wahrsager sind dick im Geschäft
Milliarden-Business Esoterik

Die meisten Kunden sind Frauen. Die Esoterik-Messe, die Ende Februar stattfindet, erwartet einen Rekordansturm.
Publiziert: 02.02.2014 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:52 Uhr
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Esoterik-Unternehmer Mike Shiva – er sucht laufend neue Angestellte.
Foto: Tomas Wuethrich
Von Cyrill Pinto und Fibo Deutsch

Ein Grüppchen von etwa 15 Leuten hat sich am Donnerstagabend im Saal des Restaurants Brünig in Hergiswil NW versammelt. Alle haben ein Leiden – und alle hoffen auf den Berner Heiler Martin Frischknecht (64). Eine Frau hat Frischknechts 2200 Franken teuren «Zapper» gekauft – ein wundersames elektronisches Gerät, das durch Hochfrequenz-Schwingungen die Zellspannung erhöhen und dadurch sogar Aids und Krebs beseitigen soll. Bei der Frau hat der Zapper versagt –  ihre Entzündung am Fuss ist immer noch da. «Wahrscheinlich liegt bei Ihnen eine Blockade beim Energiefluss vor», lautet Frischknechts Diagnose.

Fragen nach Belegen für die Wirksamkeit kontert Frischknecht gern mit dem Satz: «Hauptsache, es wirkt!» Sogar die Uni München soll in einer Studie ihren Segen gegeben haben.

Sicher ist nur: Frischknechts Geschäft läuft. Und wie. Fast dauernd ist er auf Achse. Allein bis Ende März hat er rund 20 Auftritte. Im Sommer reist er nach Australien, um auch dort sein Allheilmittel zu verkaufen, das – nebenbei – auch gegen Haarausfall gut sein soll.

Wundermittel wie Frischknechts «Zapper» boomen in der Schweiz ungebremst – obwohl viele Menschen esoterische Ideen für gefährlich halten. Der Esoterik-Experte Hugo Stamm (64) schätzt, dass pro Jahr eine Milliarde Franken mit Lehren und Methoden umgesetzt werden, die ganz oder teilweise in der Esoterik verwurzelt sind. 500 Disziplinen buhlen um Kunden, die meisten davon weiblich: «75 Prozent sind Frauen», sagt Stamm.

Höhepunkt des Esoterik-Jahres ist die Messe «Lebenskraft», die Ende Monat wieder in Zürich über die Bühne geht. Messeleiterin Angelika Meier hat diverse selbst ernannte Heiler abgewiesen, die sie für unseriös hält. Trotzdem wächst ihre Messe ungebremst: Sie begann 1989 mit etwa 80 Ausstellern, inzwischen sind es fast doppelt so viele.

Der wahrscheinlich erfolgreichste Esoterik-Unternehmer hierzulande ist der Mann mit dem kultigen Kopftuch: Mike Shiva (49). 50 freie Berater arbeiten inzwischen für Shiva-TV. Hellseher Shiva, der für SonntagsBlick nicht zu erreichen war, ist nicht nur auf TV-Sendern wie Sat.1, S1 und Super RTL aktiv – inzwischen hat er ins Internet expandiert und bietet dort Rat in allen Lebenslagen. Auf seiner Internetseite sucht Shiva «laufend seriöse und gute Zukunftsberater». Voraussetzung für den Job ist «die Fähigkeit, auf irgendeine Art und Weise in die Zukunft zu schauen», heisst es im Stelleninserat auf Shivas Seite.

Auf Expansion setzt auch der Baselbieter Pascal Voggenhuber (33), Autor von sieben Büchern. Für 150 Franken stellt der Shooting-Star der Esoterik-Szene für 45 Minuten Kontakte ins Jenseits her. Seit neustem bildet Voggenhuber, der ebenfalls keine Fragen beantworten wollte, selbst Nachwuchs-heiler aus. Sein Diplomlehrgang «Geistiges Heilen» dauert ein Jahr – und kostet mindestens 8000 Franken.

Besonders umstritten sind die Geschäftspraktiken von Mike Shivas Konkurrenz, dem Spartenanbieter Eso-TV. Der Sender 3+ gibt den Esoterik-Beratern von Eso-TV täglich bis zu neun Stunden Gastrecht. Mit dem Inhalt wollen die Sender nichts zu tun haben. So einfach ist das aber nicht. Das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) hat gegen 3+ schon mehr als einmal eine Verfügung mit Kostenfolge erlassen, weil Eso-TV gesundheitsgefährdende Werbung betrieben hatte. Letztes Jahr empfahl die «afrikanische Ritualmeisterin» Simone einer Anruferin eine cholesterin­senkende Methode – die sogar Krebs heilen könne.

«In der Esoterik kann man sich eine Philosophie massschneidern»

Was macht Esoterik – den Glauben an übersinnliche Kräfte und Mächte jenseits der Kirchen – für viele so attraktiv? Religionswissenschaftler Prof. Dr. Rafael Walthert (35, Bild) von der Universität Zürich nennt die wichtigsten Gründe.

Esoterik braucht kein Jenseits: «Nur wenige Menschen in der Schweiz haben heute noch einen starken Jenseitsglauben, wie ihn die Religionen fordern. In der Esoterik geht es ums Wohlbefinden im Hier und Jetzt, das macht den Zugang leichter.»

Esoterik zielt aufs Konkrete: «In der Esoterik geht es nicht um abstrakte Heilsvorstellungen wie zum Beispiel im Christentum, sondern um die Einzelperson, häufig auch ganz konkret um ihren Körper.»

Esoterik ist unverbindlich: «In der Esoterik sind die Bindungen nur vorübergehend. Man kauft und liest ein Buch oder belegt einen Kurs. Der finanzielle und zeitliche Aufwand ist überschaubar.»

Esoterik ist persönlich: «Man gehört keiner Institution an, die ja gerade im religiösen Bereich sehr kritisch gesehen werden. Esoterik geht meist von Einzelpersonen aus, etwa von einem Kursleiter oder Autor.»

Esoterik ist offen: «Man kann sich immer neu entscheiden zwischen den Angeboten, sich eine eigene Philosophie massschneidern. Religionen sind da wesentlich verpflichtender und festgelegter.»

Esoterik ist einfach: «Hinter Esoterik stehen keine komplexen Theologien, auf die man sich einigen müsste. Für die Verbindung genügen schon einfache Rituale, etwa eine gemeinsame Räucherzeremonie mit Düften und Musik.»

Esoterik löst kaum Zweifel aus: «Sekten sind seit vielen Jahren in der Diskussion und Kritik. Esoterik ist viel weniger fassbar, weil sie kein Zentrum hat. Es sind alles Einzel­angebote, oft recht kurzlebig dazu. Dadurch gibt es kaum einen öffentlichen Diskurs.»

Fast alle zentralen Elemente der Esoterik widersprechen der Schweizer Volksreligion, dem Christentum. So etwa Astrologie, das Anbeten von Steinen, Bäumen oder dem «Universum», die Wahrsagerei, Jenseitskontakte oder Seelenwanderung. Ra­fael Walthert: «Viele sehen darin trotzdem keinen Widerspruch. Viele Nutzer von Esoterikangeboten haben parallel eine Kirchenmitgliedschaft.» 

Was macht Esoterik – den Glauben an übersinnliche Kräfte und Mächte jenseits der Kirchen – für viele so attraktiv? Religionswissenschaftler Prof. Dr. Rafael Walthert (35, Bild) von der Universität Zürich nennt die wichtigsten Gründe.

Esoterik braucht kein Jenseits: «Nur wenige Menschen in der Schweiz haben heute noch einen starken Jenseitsglauben, wie ihn die Religionen fordern. In der Esoterik geht es ums Wohlbefinden im Hier und Jetzt, das macht den Zugang leichter.»

Esoterik zielt aufs Konkrete: «In der Esoterik geht es nicht um abstrakte Heilsvorstellungen wie zum Beispiel im Christentum, sondern um die Einzelperson, häufig auch ganz konkret um ihren Körper.»

Esoterik ist unverbindlich: «In der Esoterik sind die Bindungen nur vorübergehend. Man kauft und liest ein Buch oder belegt einen Kurs. Der finanzielle und zeitliche Aufwand ist überschaubar.»

Esoterik ist persönlich: «Man gehört keiner Institution an, die ja gerade im religiösen Bereich sehr kritisch gesehen werden. Esoterik geht meist von Einzelpersonen aus, etwa von einem Kursleiter oder Autor.»

Esoterik ist offen: «Man kann sich immer neu entscheiden zwischen den Angeboten, sich eine eigene Philosophie massschneidern. Religionen sind da wesentlich verpflichtender und festgelegter.»

Esoterik ist einfach: «Hinter Esoterik stehen keine komplexen Theologien, auf die man sich einigen müsste. Für die Verbindung genügen schon einfache Rituale, etwa eine gemeinsame Räucherzeremonie mit Düften und Musik.»

Esoterik löst kaum Zweifel aus: «Sekten sind seit vielen Jahren in der Diskussion und Kritik. Esoterik ist viel weniger fassbar, weil sie kein Zentrum hat. Es sind alles Einzel­angebote, oft recht kurzlebig dazu. Dadurch gibt es kaum einen öffentlichen Diskurs.»

Fast alle zentralen Elemente der Esoterik widersprechen der Schweizer Volksreligion, dem Christentum. So etwa Astrologie, das Anbeten von Steinen, Bäumen oder dem «Universum», die Wahrsagerei, Jenseitskontakte oder Seelenwanderung. Ra­fael Walthert: «Viele sehen darin trotzdem keinen Widerspruch. Viele Nutzer von Esoterikangeboten haben parallel eine Kirchenmitgliedschaft.» 

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