Bewohner an der Emme in Todesangst
Die 300-Jahre-Flut von Schangnau

Die Bewohner von Schangnau BE sind sich heftige Gewitter gewohnt, aber so etwas haben sie noch nie gesehen. Die Emme riss alles mit. Der Schaden ist riesig.
Publiziert: 25.07.2014 um 00:00 Uhr
|
Aktualisiert: 30.09.2018 um 22:20 Uhr
1/23
Insel in der braunen Brühe: der völlig überschwemmt Hof Schwand zwischen Bumbach und Kemmeriboden.
Foto: Niklaus Waechter
Von Michael Spillmann

Schangnau BE ist im Ausnahmezustand. Die Emme verwandelt sich gestern in einen reissenden Strom, fliesst über Felder und quer durch Bauernhöfe.

Die schlammig-braune Brühe reisst Autos und Maschinen wie Spielzeuge mit, reisst Holzbrücken weg. Strassen sind überflutet, Bäume entwurzelt, Gerölllawinen walzen alles nieder. «Ich hatte Todesangst», sagt Bauer Fritz Stettler (62). «Wir mussten hinten zum Fenster raus, das Wasser kam so schnell.»

Um sechs Uhr braut sich das Unheil in Kemmeriboden zusammen. Im Tal giesst es wie aus Kübeln: 100 Liter pro Quadratmeter kommen in drei Stunden runter.

Die Emme schwillt an, tritt über die Ufer. Die Wassermassen schiessen in Richtung Bumbach BE. Andreas Wüthrich (45), Feuerwehrkommandant: «Der Fluss ging plötzlich mitten durchs Dorf, die Kraft war unvorstellbar.» Die Feuerwehr steht ab 8.45 Uhr im Dauereinsatz.

Das Wasser steigt bedrohlich. Keller werden geflutet, Baumstämme und Autos treiben mitten durchs Dorf. Weiter oben wird der Sädel­graben zum tosenden Sturzbach, reisst alles in die Emme, bricht über eine Wiese aus.

Wie nach einem Bergsturz

Eine junge Frau wird mitten auf der Strasse von den Fluten im Auto eingeschlossen. Sie muss mit einem Heli gerettet werden. Stunden später sieht es aus wie nach einem Bergsturz.

«Das kann man sich gar nicht vorstellen, wie das getan hat», sagt Landwirt Hansruedi Oberli (62) aus Bumbach. «Tonnenschwere Maschinen hat es einfach weggerissen.» In Bumbach kommt die Emme den Häusern bedrohlich nah und näher.

«Ich wohne seit 50 Jahren hier. So etwas habe ich noch nie gesehen», sagt Vreni Wüthrich (64). «Ich habe Angst bekommen, gehofft, dass das Wasser endlich stoppt.»

Eine Holzbrücke im Dorf wird fortgerissen. Käthi Wüthrich (59): «Das war unheimlich, der Fluss ging vor unserem Haus durch, dann ergoss er sich in den Keller.»

Bauer rettet sich aus dem Fenster

Das tobende Wasser zieht eine Spur der Verwüstung, kilometerweit. Weiter unten, in Schangnau, wird hinter der Räbenbrücke die Strasse weg­gerissen.

Bauer Fritz Stettler ist eingeschlossen. Er lässt die Geissen frei. Der Hühnerstall wird weg­geschwemmt, 100 Hühner ertrinken. In letzter Minute kann er sich mit der Tochter aus dem Fenster retten.

Gemeindepräsident Ueli Gfeller (52): «Was passiert ist, zeigt, wie machtlos wir bei Unwettern sind. Dieses hatte ein extremes Ausmass. Aber wir sind auch solidarisch.»

Gestern bereits machte sich das ganze Dorf ans Aufräumen. Die Emmentaler stehen zusammen. In der Not erst recht.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?