Christoph Egger ist chemisch kastriert
Wie gefährlich ist der flüchtige Pädophile?

Früher entfernten Chirurgen Sex-Tätern die Hoden. Heute gibt es Medikamente, die den Sex-Trieb ausknipsen. Der flüchtige Basler Kinderschänder unterzog sich dieser Methode.
Publiziert: 04.03.2014 um 00:00 Uhr
|
Aktualisiert: 05.10.2018 um 21:57 Uhr
Teilen
Anhören
Kommentieren
1/2
Abgehauen: Christoph Egger (46).
Foto: Kantonspolizei Basel-Stadt

Der in Basel untergetauchte Kinderschänder Christoph Egger (46) hat sich freiwillig für eine «chemische Kastration» entschieden. «Das Medikament Lucrin dämpft meinen Trieb», schrieb Egger im letzten Herbst in der «Basler Zeitung». Die Behandlung ist allerdings raffinierter, als ihr grobschlächtiger Name vermuten lässt.

Ältere Methoden der «chemischen Kastration» sorgten dafür, dass das männliche Sexualhormon Testosteron keine Wirkung mehr hat. Der Körper schüttete den Sex-Botenstoff weiter munter aus – doch in den Hoden passierte nichts mehr, weil das Medikament dort die Testosteron-Andockstellen blockierten. Die Hormone liefen ins Leere, konnten nicht wirken.

Anders die modernere Methode, mit der sich Egger freiwillig behandeln liess. Sie setzt höher an – im Kopf. Und verhindert dort, dass das Testosteron überhaupt erst ausgeschüttet wird. Egger bekam alle drei Monate eine Lucrin-Spritze. Die letzte erhielt er vor sechs Wochen. «Das Lucrin funktioniert nach dem «Alles-oder-nichts»-Prinzip», sagt Klinikdirektor Marc Graf. «Das heisst, das Medikament kann nicht nach einigen Jahren reduziert werden.»

Der Basler Kinderschänder ist also gefährlich: Denn damit die Wirkung der chemischen Kastration anhält, muss sich Egger regelmässig spritzen lassen. Die Polizei muss ihn schnell finden: Denn die chemische Kastration wirkt nur noch sechs Wochen. 

Die Hormondrüse wird systematisch überfordert

Der Wirkstoff im Medikament Lucrin und verwandten Arzneien heisst Leuprorelin. Ein künstliches Hormon, das im Hirn eine Kettenreaktion auslöst, die schliesslich zur Produktion der Sexualhormone Östrogen und Testosteron führt. Das klingt zunächst paradox – die «chemische Kastration» soll ja die Hormonproduktion stoppen, nicht antreiben. Doch Medikamente wie Lucrin schütten so viel vom Wirkstoff aus, dass die Hormondrüse im Gehirn streikt und gar kein Testosteron mehr produziert.

«Damit wird nicht nur die Wirkung des Testosterons, sondern auch deren Freisetzung unterbunden», sagte Psychiatriefacharzt Martin Graf 2009 gegenüber der Basler Zeitung. «So können wir das Testosteron-Niveau praktisch auf null senken.» Das Resultat: Die Patienten sind weniger aggressiv, der Trieb ist gedämpft, die Sexualität verschwindet aus ihrem Leben. Als ob man ihnen die Hoden chirurgisch entfernt – eben: Die Patienten kastrieren würden. Mit dem Unterschied, dass sich die Medikamente wieder absetzen lassen.

Kinderschänder-Medikament hilft auch gegen Pubertät

Damals schätzte Graf die Zahl der Lucrin-Patienten in der Schweiz auf ungefähr 25, die meisten davon wie nun Egger in Basel. Er bekommt für seine Behandlung nur alle drei Monate eine Spritze. Das Medikament wird in einen Muskel oder unter die Haut gespritzt, wo es als Gelförmiges «Depot» zunächst erhalten bleibt und den Wirkstoff nach und nach abgibt.

Lucrin hilft nicht nur Sex-Tätern. Auch andere Krankheiten, bei denen Hormone der Gesundheit in die Quere kommen, können damit behandelt werden. Etwa, wenn die Pubertät bei Buben oder Mädchen viel zu früh einsetzt, bei Prostatakrebs oder bei der Brustkrebs-Therapie. (ads/btg/ckr)

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?