Herr Blattmann, sehen Sie im Ukraine-Konflikt eine militärische Bedrohung für die Schweiz?
André Blattmann: Nein, nicht unmittelbar für uns. Ich gehe nicht davon aus, dass die Konfliktparteien eine Bedrohung für uns darstellen. Aber: Wenn etwas passiert, ist es zu spät. Es spricht heute niemand mehr von der Krim. Die ist weg.
Müssen wir wegen der Ukraine-Krise militärisch bereit sein?
Ja. Wir müssen militärisch bereit sein, weil es rund um die Krise Potentiale gibt.
Von was gehen Sie konkret aus?
Ich gehe nicht von einem Angriff auf die Schweiz aus. An der Peripherie von Europa gibt es Mittel, die auch für die Schweiz gefährlich sein könnten. Rundherum können Konflikte ausbrechen. Wir haben die Aufgabe, die bewaffnete Neutralität durchzusetzen. Zum Beispiel müssen wir den Luftschirm gewährleisten. Es hat kein Flugzeug unseren Luftraum zu missbrauchen, so wie wir am Boden nicht wollen, dass irgendjemand in unser Land eindringt.
Wenn es in der Ukraine zum Krieg kommt, müssten wir Soldaten an der Grenze haben?
Ich glaube es nicht. Wichtig ist der Nachrichtendienst. Wir müssen die Überwachung verbessern.
Ab wann müsste man Soldaten an der Grenze haben. Gibt es diesen Fall überhaupt noch?
Ich bin fest überzeugt, dass man die Schweiz zur Durchfahrt nutzen möchte. Diesen Fall hatten wir beispielsweise während dem Libyen-Konflikt. Dank dem UNO-Entscheid durften wir die Durchfahrt auch gewähren. Sonst würden wir das verhindern. Es gibt andere Möglichkeiten als der direkte militärische Stoss. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Kampf um Ressourcen zunehmen wird, insbesondere in Afrika. Da könnten Migrationsströme entstehen. Dann müssten wir unser Grenzwachtkorps unterstützen können.
Haben Sie einen Plan, wie Sie die Grenze schützen können?
Ja. Wir haben das auch schon geübt. Die Frage ist, wie weit reichen die Kräfte, wenn wir jetzt den Armeebestand reduzieren?
Mit dem zukünftigen Bestand von 100'000 Soldaten, können Sie die Grenze noch sichern?
Die Frage ist: Wie dicht ist der Schutz? Macht man das entlang der Grenze, dann muss man alle paar Meter jemanden aufstellen. Die Mittel sind relativ rasch ausgeschöpft. Dann haben wir für anderes keine Kräfte mehr.
Konkret: Wie viele Soldaten braucht es, um die Grenze zu schützen?
Ich kann Ihnen keine Zahl nennen. Aber für einen Grenzabschnitt von 20 bis 40 Kilometer braucht man etwa ein Bataillon. Sie müssen aber auch nicht jeden Berg bewachen. Nehmen Sie die Nordschweiz und Zürich als Beispiel: Der Bodensee ist kein Problem. Aber westlich sieht es anders aus (siehe Grafik). Die Frage ist: Wo kommt man am ehesten über die Grenze? Das braucht eine ganzheitliche Beurteilung, Zahlen sind ganz, ganz heikel.
Kann man die Grenze schützen mit den 35'000 Soldaten, die Sie mit der neuen Bereitschaft innert weniger Tage haben wollen?
Wir können auch 100'000 einsetzen, nur haben wir dann keine Ablösung. Die Soldaten wollen ja irgendwann wieder nach Hause. Wir können jetzt eine Leistung erbringen, die ist aber nicht für die Ewigkeit gewährleistet.
Für ein paar Monate?
Ja, für ein paar Monate und dann müsste man weiterschauen. Die Frage ist: Wie viel Risiko wollen wir eingehen? Das ist ein politischer Entscheid.
Konkret: Wenn wir über längere Zeit die Grenze schützen wollen, dann müssten wir ein anderes System haben. Mit dem jetzigen System können wir das nicht machen?
Ja, dann müssten wir mehr Leute haben. Das ist ganz einfach.