Seine Fantasien, seine Familie, sein Leben
Neue Details über den Bubi-Amok von München

War es ein Zufall, dass Ali David Sonboly (†18) genau am Tag des fünfjährigen Jubiläums des Amoklaufs von Anders Breivik ausrastete und wahllos Menschen umbrachte? Anscheinend nicht, denn: Der Attentäter hatte sich akribisch auf seine Tat vorbereitet. Wer ist der Amok-Bubi?
Publiziert: 23.07.2016 um 14:49 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 15:07 Uhr
War fasziniert von Amokläufen: Müncher Todesschütze Ali Sonboly.
Foto: bild.de
«Er hat sich intensiv mit Amok beschäftigt»
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Münchner Polizei informiert über den Täter:«Er hat sich intensiv mit Amok beschäftigt»

Gestern jährte sich das Attentat von Anders Breivik in Norwegen zum fünften Mal. Am 22. Juli 2011 ermordete der Terrorist in Oslo auf der Insel Utoya 77 Menschen – überwiegend Teilnehmer eines Zeltlagers einer Jugendorganisation. Gestern nun starben bei einem Amoklauf in München neun Menschen, anschliessend richtete sich der Attentäter selbst. Die Verbindung zwischen den beiden Attentaten «liegt auch für die Münchner Polizei deutlich auf der Hand», wie sie sagt.

Tötete am 22. Juli 2011 auf der Ferienlager-Insel Utoya 77 Menschen: Anders Breivik hier beim Prozess im März 2016.
Foto: AP

Wie fasziniert Ali David Sonboly (†18) vom Thema Amok war, zeigte sich bereits in dessen Zimmer, das die Ermittler in der Wohnung seiner Eltern durchsucht hatten. Die Polizei fand in der Wohnung zum Beispiel das Buch mit dem Titel «Amok im Kopf – Warum Schüler töten». Weitere Zeitungsartikel von Polizeieinsätzen im Zusammenhang mit Amokläufen beschlagnahmte die Polizei ebenso wie einige EDV-Geräte. Diese müssen nun allesamt noch ausgewertet werden.

Ausserdem soll Ali David Sonboly angeblich ein Foto des norwegischen Massenmörders und Rechtsextremen Anders Behring Breivik als Profilbild im Messaging-Dienst Whatsapp verwendet haben. Dies berichtet «Bild». Den Amoklauf von Tim Kretschmer in Winnenden soll er vor Freunden immer verherrlicht haben.

«Seine Eltern sind liebe, gebildete Menschen»

Woher dieser Hass? Familienprobleme? Offenbar nicht. Die Mutter eines ehemaligen Schulfreunds sagt gegenüber der «Bild am Sonntag»: «Ich kenne die Eltern. Sehr nette und liebe Menschen. Sehr gebildet. Der Vater spricht fliessend deutsch, liest Kant und Schopenhauer.» Der Vater ist Taxiunternehmer, die Mutter arbeitet laut Nachbarn als Verkäuferin in einem Warenhaus.

Im heimischen Umfeld schien Sonboly seine Gewaltphantasien gut verstecken zu können, liess sich nichts anmerken: «Er war ein guter Mensch», sagte die Nachbarin.

Viele Social-Media-User fragte sich erst, warum ein Deutsch-Iraner den jüdischen Namen David trägt. Doch der Name hat sowohl im hebräischen wie auch im persischen seine Bedeutung (Der Geliebte Gottes). Im Iran wird er meistens «Davoud» oder «Davood» geschrieben.

Ein Amoklauf im klassischen Sinne

Ein Experte sagte an der Pressekonferenz, die heute Mittag in München stattgefunden hatte, es habe sich bei Sonbolys Tat um einen Amoklauf im klassischen Sinne gehandelt. So wie er oft auch an US-amerikanischen Schulen vorkäme. Abgesehen von der Tatsache, dass in München keine Schule involviert gewesen sei, sondern ein Einkaufszentrum.

«Amok im Kopf»: Dieses Buch fand die Polizei in der Wohnung des Täters.

Das Fakeaccountgerücht, das sich heute via soziale Medien rasant verbreitete, konnte die Polizei an der Pressekonferenz weder bestätigen noch dementieren. Es sei aber mit grösster Wahrscheinlichkeit so, dass Sonboly einen Facebookaccount eines Mädchens gehackt und diesen dazu missbraucht hatte, extra viele Leute zur MacDonald's-Filliale neben dem Olympia-Einkaufszentrum zu locken.

Keine Verbindung zum IS

Obschon Sonboly bis jetzt keine Verbindungen zum IS nachgewiesen werden konnten, scheint er einen Fremdenhass in sich getragen zu haben. Die Mehrheit seiner Opfer waren ausländischer Abstammung.

Sonboly befand sich zurzeit in ärztlicher und psychologischer Behandlung. Anscheinend war er depressiv gewesen. Wie die «Bild» aus Regierungskreisen erfahren haben will, soll er an ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) gelitten haben. Einen Abschiedbrief hatten die Ermittler beim Durchsuchen der Wohnung nicht gefunden.

Vor der Tat fiel er durch eine Prüfung

Doch am Tattag war er durch eine Prüfung an der Fachoberschule gefallen. War das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Denn Sonboly soll in der Schule laut «Bild» angeblich von Türken und Arabern gemobbt worden sein und bei einigen seiner ehemaligen Mitschüler durch extreme Gewaltbereitschaft aufgefallen sein. Angestaute Wut, die er schon durch Drohungen bei einer Online-Game-Community zum Vorschein kommen liess. «Wir haben ihn vor über einem Jahr aus der Gruppe ausgeschlossen, weil er uns immer wieder bedroht hat», zitiert «Bild» einen ehemaligen Schulkameraden. Doch der Schüler habe immer wieder neue Profile erstellt – unter anderem angeblich unter Namen wie «Psycho» oder «Bis ich keinen Sinn mehr sehe».

Dieses Foto zeigt Sonboly in jüngeren Jahren.

Nicht nur über Facebook, sondern auch diese Online-Plattform soll Sonboly seine ehemaligen Mitschüler aufgefordert haben, zur Mc-Donald’s-Filiale beim Olympia-Einkaufszentrum zu kommen – und gedroht haben, sie sonst zu holen und zu erschiessen. Den Amoklauf habe er dabei, berichtet «Bild», explizit erwähnt, doch die Jugendlichen hätten die Ankündigung «für blosses Gerede gehalten».

Doch an diesem Tag wurden aus seinen Drohungen trauriger Ernst. Sonboly wollte so viele mit in den Tod reissen, wie möglich. In seinem Rucksack fanden die Ermittler nach seinem Selbstmord noch 300 Schuss Munition. (stj/sin)

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