Für die einen ist es ein Himmelfahrtskommando, für die anderen ein einträgliches Geschäft. Mitunter mehrere tausend Franken müssen Migranten den Schleppern für die riskante Überfahrt über das Mittelmeer bezahlen. Wer kein Geld hat, muss für die Banden arbeiten – teilweise über Monate hinweg.
Naja Kourdi, eine junge Syrerin, die nach der Flucht aus ihrem vom Bürgerkrieg gebeutelten Heimatland in Ägypten gestrandet war, sagte in einem Beitrag der BBC, ihre Familie habe den lokalen Menschenschmugglern 9'300 Dollar für die Reise auf den Tisch legen müssen.
Die Schlepper hätten ihnen dafür Asyl in Schweden versprochen und behauptet, dort bekomme jeder Einwanderer ein Haus, eine Arbeit, sogar Geld. «Wir hatten keine Ahnung von den Risiken», sagt Kourdi. «Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich das Boot mit meiner Tochter niemals betreten.»
Mit vorgehaltener Waffe
Doch eine Wahl haben die Flüchtlinge meistens nicht. Oft werden sie mit Gewalt auf die klapprigen Boote gedrängt. Auch beim jüngsten Drama vor der libyschen Küste war das offenbar der Fall: «10vor10» berichtete, Schlepper hätten die rund 550 Menschen mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen, trotz hohen Seegangs in das Schiff einzusteigen – 400 Menschen bezahlten das mit ihrem Leben.
Ein Bericht von Amnesty International, der Ende des vergangenen Jahres publiziert wurde, bestätigt das skurpellose Vorgehen der Schlepper.
Migranten, welche die Reise nach Europa überlebten, schildern darin die dramatischen Szenen, welche sich auf ihren Flüchtlingsbooten oder gar noch vor der Abfahrt abgespielt hatten. «Ich sah Afrikaner, die mit Holzknüppeln und Eisenstangen geprügelt wurden», sagt etwa der 37-jährige Abdel aus Syrien. Einige hätten das nicht überlebt. «Sie haben sie nicht wie menschliche Wesen behandelt», so Abdel.
Die Menschen schrien: «Wasser, Wasser!»
Wilson, ein 19-Jähriger aus Ghana, erzählte der Hilfsorganisation: «Nach rund sieben Stunden begannen die Leute aus dem Innern des Bootes ‹Wasser, Wasser› zu rufen. Wir gaben ihnen dann, weil wir ein paar Flaschen mitgenommen hatten. Aber irgendwann hatten wir keines mehr.»
Amnesty International schreibt, dass die Versorgung der Passagiere mit Nahrungsmitteln eines der grössten Probleme auf den Booten sei. Essen und Wasser würden zumeist nicht zur Verfügung gestellt. Und wenn doch, dann nur in ungenügender Menge.
Schliesslich wollen die Schlepper nicht unnötig Platz verschwenden. Denn jeder Flüchtling mehr, der auf ein Boot gepfercht werden kann, bringt Geld. Ganz egal, ob er überlebt oder nicht.
Boot von Schleppern versenkt
Wie wenig den Schleppern ein Menschenleben wert ist, zeigt auch ein Zwischenfall, der sich im September 2014 auf dem Mittelmeer zugetragen haben soll.
Die Flüchtlinge, so sagten später Überlebende aus, hätten auf der Übefahrt nach Europa mehrmals das Schiff wechseln müssen. Als sie sich dann weigerten, auf ein kleineres Boot umzusteigen, hätten die wütenden Schlepper den Kahn gerammt. Vor Malta sank das Boot – mehrere hundert Menschen starben.
«Menschen über Bord geworfen»
Christoph Hein, Direktor der Nichtregierungsorganisation Italienischer Flüchtlingsrat, erklärte damals, er halte die Schilderungen für glaubwürdig.
«Wir wissen von vielen früheren Ereignissen im Mittelmeerraum, dass die Schlepper absolut brutal sein können», so Hein zum «Echo der Zeit» von Radio SRF. «Dass sie Menschen einfach über Bord geworfen haben, Kinder über Bord geworfen haben, schwangere Frauen über Bord geworfen haben.»
Vergangenes Jahr kamen über 3500 Flüchtlinge bei der Überfahrt nach Europa ums Leben. In diesem Jahr sind es bereits 900. (bau)