Geschehen noch Zeichen und Wunder? Oder ist es doch bloss die ganz profane politische Leistung von Petra Gössi? Jedenfalls mutet die aktuelle Entwicklung mirakulös an: der Wandel des Freisinns von der engen Wirtschaftspartei zur weiten Umweltpartei. Darf man es Befreiung nennen? Oder Rückkehr?
Die FDP setzt wieder auf Staat, der Umwelt zuliebe: auf die CO2-Abgabe, die Flugticketabgabe, die Beschränkung des Pestizideinsatzes, den Ausstieg aus der Atomwirtschaft – auf eine umweltformidable Schweiz in möglichst naher Zukunft.
Das alles hat die FDP-Delegiertenversammlung in Zürich am letzten Samstag beschlossen: dank Petra Gössi, mit Petra Gössi, für Petra Gössi.
Petra, die Greta aus dem Kanton Schwyz?
Ganz im Gegenteil, der Parteipräsidentin fehlt jedes Thunberg-Pathos; sie liebt das Lachen; Überzeugungen vertritt sie mit spitzbübischem Charme. Wer statt Greta Petra zuhört, fühlt sich nicht als Sünder und Büsser.
Mehr als ein Jahrhundert lang war die FDP die Partei des Staates, den sie geschaffen hat. Die Staatspartei, die der Wirtschaft den Weg in Gesellschaft und Demokratie wies. Die Partei, die mit der Sozialdemokratie – brüderlich verfeindet – den modernen Sozialstaat schuf, sanft geschubst von den Christdemokraten, die dem sozialliberalen Geschehen ihre christliche Soziallehre beimengten.
So sehr identifizierte sich der Freisinn mit seinem Staat, dass Freisinn zur politischen DNA der Schweiz wurde. Peter Bichsel, des Landes zartester und zornigster Poet, Berater des legendären SP-Bundesrates Willi Ritschard, bekannte sarkastisch-resigniert: «Wir sind doch alle freisinnig!»
Doch der freisinnige Freiheitsbaum verlor seine ersten Blätter in den späten Siebzigerjahren, als ökonomische Missionare die Partei zum neoliberalen Glaubensbekenntnis verdonnerten: Die Staatspartei war plötzlich Antistaatspartei! Die restlichen Blätter rieselten aus der Krone, als sich die drei Buchstaben FDP auch als SVP lesen liessen: Die Staatspartei war plötzlich Rucksackpartei der rechten Populisten!
Jetzt also die Revolution, wie einst im September 1848?
Ja, die Zeit eilt, weil Zeitgeist droht – insbesondere deutscher Welt-Zeitgeist.
In der Bundesrepublik, die keine Erfolgsgeschichte freisinniger – liberaler – Politik kennt, machen sich die Grünen die Klimakrise zunutze: als Verbotspartei, als Welterrettungs- und Bürgererziehungspartei, als politischer Arm des Evangelischen Kirchentags!
Die Schweiz braucht dringend Freisinn. Und zwar nicht nur für Umweltvernunft. Auch sonst bedrängen Probleme Bürger und Gesellschaft.
Der globalisierte Kapitalismus, vor allem die Finanz- und Digitalwirtschaft, schmarotzt in ungeregelten, teilweise rechtsfreien Räumen; die Völkerwanderung wurde mit dem Uno-Migrationspakt zur Verheissung erhoben; der demokratische Rechtsstaat wird relativiert als politische Kultur des arroganten, ausbeuterischen Westens.
Es wäre also an der Zeit, die intellektuelle, die kulturelle, die politische Kraft der Aufklärung möglichst mächtig zu mobilisieren.
Dazu braucht es einen Freisinn, der politische Freiheit und wirtschaftliche Verantwortung zum Programm erhebt, der wieder kompetent politisiert, intellektuell wie kulturell.
Hat Petra Gössi da gerade etwas losgetreten, das grösser ist als sie selbst?
Es wäre kein Wunder.
Es wäre ein Wunder!