Zu viel Milch, zu wenig Fleisch
Die Schweiz hat die falschen Kühe

Verschwinden die Kühe im Tempo der letzten fünf Jahre weiter, gibt es in 50 Jahren keine mehr. Der Rückgang macht der Fleischwirtschaft bereits zu schaffen. Die Milchwirtschaft dagegen sollte sich freuen über jede Kuh, die es weniger gibt.
Publiziert: 20.08.2018 um 00:42 Uhr
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Aktualisiert: 22.10.2018 um 08:31 Uhr
Kuhbestand in der Schweiz: Seit dem Höhepunkt im Jahr 1961 verschwanden über 250'000 Kühe.
Foto: Blick Grafik
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Claudia Gnehm

Die Schweiz vermarktet sich als Kuhland. Wer am Flughafen Zürich eintrifft, hört es in der Skymetro zuerst muhen, dann bimmeln. Doch wer sich die Mühe machen würde, die Kühe zu zählen, wäre überrascht: Im Kuhland Schweiz schwindet der Kuhbestand wie die Gletscher im Hochsommer. Lebten im Jahr 1961 knapp eine Million Kühe im Land, waren es letztes Jahr weniger als 700’000. Besonders rasant geht es mit dem Milchkuhbestand nach unten, er macht rund 80 Prozent aller Kühe aus.

In den letzten fünf Jahren beschleunigte sich der Rückgang der Kühe jährlich um rund 10’000 Stück. Das setzt die Fleischindustrie unter Druck. Laut dem Direktor des Branchenverbandes Proviande, Heinrich Bucher (57), wurden im ersten Semester 2018 erneut mehr Kühe geschlachtet als im Vorjahr. «Weil der Bedarf an Verarbeitungsfleisch meist nicht gedeckt werden kann, muss oft Kuhfleisch importiert werden», sagt Bucher zu BLICK.

Fleischkühe von Milchleistungskühen verdrängt

Wegen Dürre und Futtermittelmangel mussten in den letzten Wochen besonders viele Kühe geschlachtet werden. Proviande bestellte im Juli Fleischimporte, kam dafür prompt unter Beschuss. Bucher betont jedoch: «Mit dem sinkenden Inland-Angebot von Verarbeitungsfleisch muss die Nachfrage durch Importe gedeckt werden.» Ohne Importe drohten Engpässe bei der Versorgung der Konsumenten.

Für die Fleischbranche gibt es derzeit nicht nur zu wenige Kühe, sondern vor allem zu wenige von den geeigneten Fleisch- und Zweitnutzungsrassen. Diese haben in den letzten Jahrzehnten gegenüber den einseitig stark milchbetonten Rassen an Boden verloren. Konkret zeigt sich das am Beispiel der Simmentaler Kuh, einer beliebten Rasse für Fleisch sowie Milch.

Laut dem Rindviehzuchtverband Swissherdbook waren im Jahr 1946 die Original Simmentaler mit einem Bestand von 51 Prozent noch die meistverbreitete Kuhrasse in der Schweiz. Inzwischen ist ihr Anteil auf vier bis fünf Prozent gesunken.

Coop und Bell wollen Simmentaler Kühe retten

Nun gehen Fleischverarbeiter Bell und Detailhändler Coop für diese Rasse in die Offensive. Am 1. September gründen sie in Gstaad BE zusammen mit Simmentaler Bauern den Verein Original Simmentaler. Ziel des Vereins: «Diese robuste, hochwertige Schweizer Viehrasse langfristig zu fördern und zu erhalten», wie es in einer Einladung zur Gründung heisst.

Von einer Mangellage wie in der Fleischwirtschaft können die Milchbauern dagegen nur träumen. Die Schweizer Landwirtschaft leidet seit Jahren unter einem Milchüberangebot und immer tieferen Milchpreisen, die die Produktionskosten nicht mehr decken. Grund für die Überproduktion ist die massiv gestiegene Milchleistung. Allein seit dem Jahr 2000 erhöhte sich die vermarktete Milchmenge pro Kuh im Mittel um 26 Prozent.

Kuhschwund erwünscht

Die Haltung von Milchkühen rentiert sich folglich immer weniger. Fast jeder zweite Milchbauer musste in den letzten 17 Jahren aufgeben. Ende 2017 gab es noch 20'357 Milchproduktionsbetriebe. Trotzdem geben die Kühe immer noch deutlich mehr Milch her, als die Schweiz im Inland braucht. Die überschüssige Milch geht verarbeitet als Käse, Pulver oder Schokolade ins Ausland.

Sollte die Milchproduktion weiter sinken, würden zuerst die wertschöpfungsschwachen Exporte zurückgehen, sagt Sabine Helfenstein vom Schweizerischen Bauernverband. «Sprich, eine Reduktion der Milchproduktion wäre für die Bauern nicht schlecht, denn dann stiegen die Preise.»

Schweiz fehlt Futter für alle Kühe

Das Kuhsterben ist für den Bauernverband de facto erwünscht, damit es den Bauern insgesamt besser geht. Positiv wäre ein weiterer Rückgang der Bestände aber auch aus ökologischer Sicht: Laut dem Zürcher Landwirtschaftsökonomen Felix Schläpfer (49) ist der hohe Kuhbestand verantwortlich für überhöhte Ammoniakwerte wegen des vielen Kuhdungs.

Zudem stammten 15 Prozent der Schweizer Milch aus Kraftfutter, das hauptsächlich importiert werde. Für die vier Millionen Tonnen jährlich produzierte Milch reiche das inländische Futter gar nicht aus. «Ökonomisch und ökologisch sinnvoll wäre eine Milchproduktion von 3,5 Millionen Tonnen jährlich. Doch davon sind wir mit den heutigen Tierbeständen noch weit entfernt», so Schläpfer.

Ohne Kühe droht Verwilderung der Alpen

Aus Sicht der Milchbauern kommt es sehr wohl darauf an, ob es im Land ein paar 100’000 Kühe mehr oder weniger gibt. Ohne Kühe würde unser Land nicht so aussehen, wie es ist, erklärt Milchbauer Albert Breitenmoser vom appenzellischen Seealpsee. Die Bergregionen würden verwildern und zuwachsen. Es werde sich zeigen, mit wie vielen Kühen die Landschaftspflege aufrechterhalten werden könne.

Breitenmoser ist einer der vielen Milchbauern, die in andere Geschäfte diversifiziert haben. Seit elf Jahren vermietet er seine 19 Milchkühe monatsweise interessierten Unterländern. «Ab und zu ist die Kuhmiete ein Geschenk für ehemalige Bauern oder Älpler», sagt er. An dieser Kundengruppe wird es wohl auch in Zukunft nicht fehlen.

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