Im Zeitalter der Digitalisierung in der industriellen Massenproduktion kann eine Rückbesinnung auf das Handwerk den Arbeitsmarkt nachhaltig beleben. Zu diesem Schluss kommt Irmgard Nübler von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).
«Man kann eine steigende Nachfrage nach massgeschneiderten und individualisierten Gütern und Dienstleistungen sehen», sagt die Volkswirtin der Nachrichtenagentur dpa.
Schweiz gut gerüstet
Die Schweiz, Deutschland und Österreich seien dafür gut aufgestellt. «Die Weiterentwicklung des traditionellen Lehrlingssystems in ein modernes duales System mit Ausbildung in Betrieb und Berufsschule hat massgeblich dazu beigetragen, das Handwerk hier mehr als in anderen Ländern zu erhalten», sagte Nübler.
«Die Menschen wollen weniger Industrienahrung und Massenkleidung», sagte Nübler. Als Beispiel nennt sie die Zunahme von Mikrobrauereien, während der Bierkonsum insgesamt rückläufig sei.
In einer alternden Gesellschaft werde auch die Nachfrage nach massgeschneiderten Produkten im Gesundheitsbereich rapide steigen, etwa in der Orthopädie, Zahntechnik und Pflege.
So entsteht die nötige Kaufkraft
«Man muss sich das natürlich auch leisten können», sagt Nübler. Deshalb sei eine Umverteilung wichtig, damit die Kaufkraft für solche Produkte entstehe, etwa durch steigende Löhne der unteren und mittleren Einkommensschichten.
«Wir brauchen mehr soziale Gleichheit», fordert Nübler. Zudem könnten Einnahmen aus mehr Steuern auf höhere Einkommen gezielt zur Förderung von Start-ups im Handwerk und von kreativen Kleinunternehmern verwendet werden.
Auch Kleinunternehmer profitieren von Digitalisierung
Hier werde die Digitalisierung selbst einen wichtigen Beitrag leisten, ist Nübler überzeugt: auch das Handwerk und Kleinunternehmer machten sich neue Technologien zunutze, um individuelle Lösungen zu niedrigeren Preisen anbieten zu können.
In der Schweiz setzten Möbelbauer etwa Miniroboter (collaborative robots) ein, um den Preis individuell angefertigter Stücke deutlich zu drücken.
Auch in Zukunft geht die Arbeit nicht aus
Nübler hält Warnungen vor einer «Zukunft ohne Arbeit» für falsch. Veränderungen in der Gesellschaft durch neue Technologien habe es immer gegeben, und sie brächten immer auch neue Ansprüche hervor, die Arbeitsplätze schafften.
«Dieser Wandel wird nur gelingen, wenn die hohen Produktivitätsgewinne, die mit den neuen Technologien erzielt werden, sich nicht in den den Händen weniger konzentrieren, sondern mit den Arbeitern, Konsumenten, kreativen Unternehmern und Handwerkern geteilt werden.» (SDA)