Über Veterinäre am Anschlag war zuletzt in Medien wie dem BLICK viel zu lesen. Der Job des Viehdoktors ist hart: Notfälle mitten in der Nacht, weite Wege zu entlegenen Höfen und lange Arbeitszeiten. Das schreckt immer mehr Tierärzte davon ab, sich um Nutzvieh wie Kühe, Schafe oder Geissen zu kümmern. Lieber pflegen sie Hamster, Büsi oder Schildkröten, statt mitten in der Nacht einer Kuh beim Kalben zu helfen.
Tierarzt Werner Schönenberger (44) aus Wil SG führt seit sieben Jahren eine Praxis für Nutz- und Kleintiere – zusammen mit einer zweiten Tierärztin. Weil diese gekündigt hat, sucht er auf den September einen Nachfolger. «Das ist schwierig, der Markt ist ausgetrocknet», sagt er. Er hofft, bald einen Kollegen zu finden. Eine Suche in Deutschland oder Österreich mache keinen Sinn. «Dort ist die Lage genauso prekär.»
Schönenberger ist auf dem Hof von Bauer Philipp Hui (36) in Kirchberg SG. Er behandelt Kuh Rabiusa, die an einer Entzündung am Euter und an der Gebärmuttter leidet. «Im Schnitt muss ich einmal wöchentlich in der Nacht zu einem Notfall. Das kann eine Kuh sein, die kalbt oder ein Tier mit einer Blutvergiftung. Dann muss es schnell gehen», sagt Schönenberger. «Es gibt aber auch Wochen, in denen ich viermal aus dem Bett steigen muss.» 50 bis 60 Arbeitsstunden pro Woche seien normal. «Zuweilen sind es auch deren 70. Aber das weiss man, wenn man den Job wählt.»
Arbeitsbedingungen sollen besser werden
Die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) – sie vertritt die Interessen von 3000 Tierärzten – hat die Problematik erkannt und will die Arbeitsbedingungen attraktiver gestalten. «Es wird immer schwieriger, einen Nachfolger für eine Nutztierpraxis zu finden», sagt Sprecherin Nadja Pfaffhauser. Und das, obwohl an den Unis Bern und Zürich jährlich 120 Studenten abschliessen, 90 Prozent Frauen.
Nutztierärztinnen und -ärzte im Alter ab 35 bis 40 Jahren würden vermehrt Teilzeit arbeiten wollen, um Familie und Job unter einen Hut zu bringen. Die GST lanciert deshalb das Projekt «Familienfreundliche Nutztierpraxen». «Damit wollen wir die Planbarkeit des Berufs fördern und die Vereinbarkeit von Job und Familie verbessern», sagt sie.
Auch der Strukturwandel in der Landwirtschaft beeinflusse die Arbeit der Tierärzte. «In vielen Regionen gibt es weniger, dafür grössere Bauernhöfe. Sie sind weiter auseinandergelegen», sagt sie. Die Betriebe würden einem grossen Kostendruck unterliegen. «Die Nutztierärzte können die weiten Anfahrtswege nicht mehr kostendeckend verrechnen.» Sie hält aber fest, dass Tierärzte noch immer gut verdienen können. «Auch wenn sich der Kostendruck in der Landwirtschaft auch auf die Nutztierärzte auswirkt.»
Die Tendenz gehe klar hin zu grösseren Praxen. «Der Einzelkämpfer, der 365 Tage im Jahr arbeitet, ist fast verschwunden.» In Randregionen würden grosse Gemeinschaftspraxen aber wenig Sinn machen.
Für Tierarzt Schönenberger ist klar: «Wir müssen untereinander besser zusammenarbeiten, etwa beim Notfalldienst», sagt er. In Sachen Salär sei nicht viel zu machen. «Der Lohn eines angestellten Nutztierarztes ist im Vergleich mit Humanmedizinern nicht überragend. Aber die Margen lassen keine höheren Saläre zu», sagt Schönenberger. Und doch: «Tierarzt ist und bleibt mein Traumjob.»