Herr Biver, Sie haben ein Buch über Ihre Lebens- und Managementphilosophie geschrieben: «Du kannst alles, wenn du nur willst». Wer soll das lesen?
Jean-Claude Biver: Die jungen Unternehmer und Studenten, die zu meinen Vorträgen kommen, die ich etwa 30-mal im Jahr an verschiedenen Unis halte.
Und warum?
Weil ich gemerkt habe, dass Studenten viel über Technologie und Technokratie lernen, was aber Instinkte tötet. Bauchgefühl spielt keine Rolle mehr, man intellektualisiert alles. Wenn man aus diesen Schulen kommt, hat man viel Wissen angehäuft, aber von Moral und Ethik wenig mitbekommen. Ich bin das Gegenmodell der Technokraten, ich habe nicht richtig studiert.
Kann man auf 128 Buchseiten lernen, Biver zu sein?
Stimmt, das Büchlein ist sehr bescheiden und klein, damit man es auf der Toilette lesen kann.
Was macht den Biver aus?
Ich habe gelernt, indem ich neben der Schule von abends um acht bis morgens um fünf auf der Post gearbeitet habe. Ich habe mit nichts angefangen und es trotzdem geschafft. Das will ich den Studenten beibringen: Für jeden gibt es immer einen Weg, wenn man die Leidenschaft, die Ehrlichkeit und die Authentizität hat für das, was man macht. Und nicht an die Karriere und das Geld denkt. Das kommt dann sowieso.
Der Luxemburger Jean-Claude Biver (67) kam als Zehnjähriger in die Schweiz, als sich seine Eltern scheiden liessen und ihn zusammen mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Marc (später Tour-de-Suisse-Direktor) in ein Westschweizer Internat brachten. Sein Vermögen machte er mit der Wiederbelebung der Uhrenmarke Blancpain, die er 1992 für 60 Millionen Franken an die heutige Swatch Group verkaufte. Heute leitet er die Marken Hublot, TAG Heuer und Zenith. Biver ist zum zweiten Mal verheiratet und hat eine Tochter sowie zwei Söhne. Er wohnt in einem Manoir bei Montreux VD zusammen mit drei Hunden.
Der Luxemburger Jean-Claude Biver (67) kam als Zehnjähriger in die Schweiz, als sich seine Eltern scheiden liessen und ihn zusammen mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Marc (später Tour-de-Suisse-Direktor) in ein Westschweizer Internat brachten. Sein Vermögen machte er mit der Wiederbelebung der Uhrenmarke Blancpain, die er 1992 für 60 Millionen Franken an die heutige Swatch Group verkaufte. Heute leitet er die Marken Hublot, TAG Heuer und Zenith. Biver ist zum zweiten Mal verheiratet und hat eine Tochter sowie zwei Söhne. Er wohnt in einem Manoir bei Montreux VD zusammen mit drei Hunden.
Automatisch?
Automatisch, ja. Man weiss nicht so genau wann, deswegen braucht man auch Geduld und Disziplin. Und eben die Leidenschaft.
Kann man das alles lernen?
Ja klar. Geduldig zu sein, ist nicht mein Charakter, aber ich hab es lernen müssen. Mut, Optimismus oder eine Ethik zu haben – alles kann man lernen. Selbst eine Leidenschaft zu haben, kann man lernen – nur einem von tausend Menschen hat der Liebe Gott eine Leidenschaft bei der Geburt mitgegeben.
Wie lernt man Leidenschaft?
Indem man neugierig ist. Dann stellt man Fragen oder versucht zu verstehen. Und je mehr ich in eine Sache eintauche, desto weiter komme ich ins Wunderland der Welt, und je länger ich dort herumgehe, desto eher kann ich eine Leidenschaft entwickeln. Das Oberflächliche kann mir keine Leidenschaft bringen, nur eine temporäre Freude bereiten.
Was bringt Ihnen die Leidenschaft?
Ich wollte sie nicht, ich brauchte sie. Arbeiten ist für mich keine Freude. Ich hasse Arbeit sogar. Also sagte ich mir, wenn ich eine Leidenschaft finde, die meine Arbeit wird, dann hätte ich ja nicht mehr den Eindruck, dass ich arbeite.
Was war Ihre Leidenschaft?
Ich hatte keine Leidenschaft, die ich in eine Arbeit verwandeln könnte. Ich war ein Hippie, wir haben gefeiert, wir hatten die Natur gern, Bio-Ananas und Vollreis gegessen und Bio-Tee getrunken. Und dazu Sport getrieben. Das hat mir gefallen, aber ich konnte es nicht in ein Geschäftsmodell verwandeln. Also habe ich überlegt: Was war mein Spielzeug als Bub? Eine Dampfmaschine. Und was kann mein Spielzeug als Erwachsener sein? So kam ich auf die Uhr, die meine Leidenschaft wurde.
Sie beschreiben sich im Buch auch als Rebellen. Wogegen haben Sie rebelliert?
Gegen die Generation, die älter war als wir. Damals, in den 1960er-Jahren, sahen Söhne aus wie Mini-Väter und ergriffen die gleichen Berufe wie die Väter. Meine Generation wollte das nicht mehr. Wir wollten uns nicht die Haare schneiden lassen für den Militärdienst, lange Haare wollten wir. Wir wollten uns anders anziehen. Und wir wollten einen Bart haben. Wir haben natürlich den Mai 1968 in Paris mitbekommen und Flower Power in San Francisco. Und die Musik: die Rolling Stones, die Beatles, die Animals – all das hat mich bewogen, mich diesem Trend anzuschliessen.
Was hat Sie am meisten fasziniert?
Die Musik.
Stones oder Beatles?
Eigentlich mehr die Stones – wegen der harten Musik. Aber von den Texten her eher die Beatles. Die haben die schlaueren Texte gemacht, philosophischer.
Sie waren ein 68er …
… ja ...
… eher auf der Linie der Barrikaden wie in Paris oder des Flower Power wie in San Francisco?
Flower Power – das war mehr Gemeinschaft und Teilen. Das Teilen war für mich immer ein wichtiges Element. Ich bin eigentlich ein Clan-Mensch. Wenn Sie mein Bruder wären, oder mein Neffe oder auch nur mein Freund, und Sie hätten eine Bäckerei, es käme mir nie in den Sinn, das Brot nicht bei Ihnen zu kaufen – sogar wenn ich genau wüsste, dass es woanders besser wäre.
Wo waren Sie 1968?
Na hier in der Schweiz natürlich, in der Schule.
Wie haben Sie 1968 erlebt – als Mitläufer oder bereits als Anführer?
Ich habe mal einen Schulstreik in der Handelsschule Lausanne organisiert, eine Kopie von Mai 68. Ich wollte ein Held oder ein Leader sein. Wir haben an einem Nachmittag gestreikt. Das war ganz nett.
Und wenn Ihr Sohn einen Schulstreik organisieren würde?
Wenn mein Sohn auch nur die Hälfte von dem machen würde, was ich gemacht habe, dann würde ich mir viele Sorgen machen.
Was haben Sie denn gemacht – Exzesse mit Drogen, Sex und Alkohol?
Wir waren nicht exzessiv. Wir waren von der Erziehung her relativ strukturiert und sind nie über die Grenzen gegangen.
Wo waren die Grenzen?
Wir haben nie Drogen angerührt, nicht einmal gekifft.
Nüchterne 68er?
Nein, das schon nicht. Wir haben Alkohol getrunken. Keinen Schnaps, aber Wein und Bier. Und davon von Zeit zu Zeit viel – zu viel.
Wie haben Sie als Hippie ausgesehen?
Ganz normal: lange Haare und Bart – wie alle Hippies.
Und was war sonst noch Ihr Hippie-Lebensstil?
Wir sind mit dem VW-Bus herumgereist, drei Monate durch den Balkan bis nach Griechenland und in die Türkei.
Wann war fertig mit Hippie, Bart und langen Haaren?
Ich bin Hippie geblieben im Kopf. Ich bin heute noch für das Teilen und den Respekt. Ich bin immer noch jederzeit bereit, meine eigenen und auch Ihre Irrtümer zu verzeihen. Die Mentalität hat sich nicht geändert, nur die Form. Ich kann nicht mein ganzes Leben das Gleiche machen und nachtsüber in der Post arbeiten. Jetzt ist es umgekehrt, ich arbeite von fünf Uhr morgens bis acht Uhr abends.
Wie sind Sie als Hippie zum Ökonomiestudium gekommen?
Weil ich nicht wusste, was ich tun sollte. Meine Matur reichte nicht für viele Hochschulen, ich hatte weder Latein noch viel Mathe. Da blieb eben nur Ökonomie, oder vielleicht noch Sozialwissenschaften.
Gibt es Leute aus Ihrem Hippie-Umfeld, die es nicht geschafft, keine Karriere gemacht haben?
Ja, gibt es auch. Ein Freund aus dieser Zeit ist in die Drogenszene geraten und vor Jahren an einer Überdosis gestorben.
Als 68er haben Sie sich gegen Grenzen aller Art aufgelehnt. Verstehen Sie die Jungen, die das heute tun?
Die Jugend hat heute nicht mehr diese Chance. Es gibt ja kaum noch Grenzen. Es ist total schwierig, wenn man sich gegen nichts mehr auflehnen kann. Wir hatten noch dieses Privileg.
Worüber streiten Sie mit Ihren Kindern?
Über Unwichtiges. Etwa mit meinem Sohn, wenn ihm die Hunde abgehauen sind, weil er nicht richtig aufgepasst hat. Aber sonst versuche ich zu verstehen – ihre Musik, ihre Kleider, ihre Vorlieben.
Sie werden bald 68 und fahren noch jeden Tag ins Büro. Ist die Idee eines fixen Rentenalters überholt?
Nein, überhaupt nicht, es ist topaktuell. Einen müden Körper muss man in den Ruhestand schicken. Viele Leute arbeiten ja, weil sie müssen. Diese Leute haben es verdient, noch zehn oder fünfzehn Jahre richtig zu leben, bevor sie sterben müssen.
Und Sie?
Meine grösste Hoffnung ist, dass ich nie in den Ruhestand muss. In zwei Jahren werde ich anfangen, weniger operativ zu arbeiten und mehr als Coach und Motivator zu helfen. So werde ich dann weitermachen, bis ich 80 bin. Dann schauen wir weiter.
Ihr Vermögen wird auf rund eine Viertelmilliarde Franken geschätzt. Wie einfach machen Sie es Ihren Kindern?
Ich bin relativ streng. Als mein älterer Sohn 2002 sein erstes Studienjahr nicht bestanden hat, stellte ich ihn vor die Alternative: Entweder einen Job suchen oder in China weiterstudieren. Er ging nach Asien und war erfolgreich. Mein jüngerer Sohn ist 17 und verdient sich sein Taschengeld mit dem Import und Verkauf von T-Shirts.
Ihre erste Ehe scheiterte, Sie haben sehr darunter gelitten. Was machen Sie jetzt mit Ihrer zweiten Frau besser?
Ich nehme mir mehr Zeit. Für die Liebe müssen Sie immer geben, nicht nehmen. Ich habe zu lange gedacht, die Liebe komme zu mir. Auch für meinen jüngsten Sohn habe ich mir mehr Zeit genommen. Bei meinen zwei älteren Kindern habe ich mich entschuldigt, dass ich für sie ein weniger guter Vater war.
Das klingt ein bisschen traurig. Was würden Sie im Leben anders machen, wenn Sie könnten?
Nichts, gar nichts! Wenn ich nochmals Leben könnte, würde ich das nur akzeptieren, wenn ich eine hundertprozentige Kopie meines jetzigen Lebens bekäme.
Warum?
Ich habe ja schon so viel Erfolg, mehr brauche ich nicht. Ich habe eine zu gute Gesundheit, eine zu gute Frau, zu gute Freunde. Was will ich mehr? Es kann mir gar nicht besser gehen.