Temporär wird elitär
Jobs auf Zeit boomen

Vor allem in gut bezahlten Jobs gab es 2018 massiv mehr Temporär-Arbeitsverhältnisse. Die Gewerkschaften sehen das als Alarmzeichen.
Publiziert: 30.12.2018 um 01:01 Uhr
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IT-Jobs sind oft projektbasiert. Die Anstellung ist deshalb temporär.
Foto: Getty Images
Moritz Kaufmann
Moritz KaufmannWirtschaftsredaktor

In der Schweiz legt man Wert auf Kontinuität und Beständigkeit. Gerade im Beruf. Doch nun mischen Verträge mit Ablaufdatum den Schweizer Arbeitsmarkt auf. Immer häufiger ist bei einer Neueinstellung bereits das Ende absehbar.

Der Personaldienstleister ­Michael Page hat die gemeldeten Temporär- und Interimsjobs für SonntagsBlick ausgewertet. Sein Ergebnis: Im letzten Jahr nahm die Zahl dieser Arbeitsverhältnisse um 6,3 Prozent zu.

Jobs auf Zeit haben einen radikalen Imagewandel erfahren. Bis vor kurzem galten sie noch als Notlösung. Heute sind auch Spezialisten bereit, einen zeitlich befristeten Vertrag zu unterschreiben.

Keine Zweitklass-Angestellten mehr

«Ich bin seit vier Jahren in der Schweiz. Die Haltung gegenüber Temporärjobs hat sich seither komplett verändert», sagt Jérôme Bouin, Michael-Page-Chef für die Schweiz. Dies gelte vor allem für die Unternehmen.

«Temporärangestellte sind heute keine Zweitklass-Angestellten mehr, sondern Teil des Teams.» Bouin freut sich darüber: Sein Unternehmen vermittelt Arbeitskräfte. Aber profitieren auch die Arbeitnehmer?

Ja, findet Bouin. «Wir suchen drei Arten von Temporärangestellten.» Wenn eine Firma dringend und kurzfristig einen Profi braucht. Wenn Spezialisten für ein befristetes Projekt gesucht werden. Oder wenn es um eine Temporäranstellung vor dem festen, unbefristeten Vertrag geht. Bouin weiter: «In den ersten zwei Fällen verdienen die Temporärangestellten mehr als die Normalen.»

Temporärangestellte immer schlechter gestellt

Ganz anders klingt es bei der Unia. Auch Véronique Polito, Mitglied der Geschäftsleitung der Gewerkschaft, stellt fest: «Die Temporärarbeit nimmt ununterbrochen zu. Die Lohnsumme des verliehenen Personals hat sich innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt.»

Aber sie beurteilt die Entwicklung völlig anders: «Für uns ist dies ein Zeichen dafür, dass die Arbeitgeber immer weniger Verantwortung für ihre Mitarbeitenden übernehmen wollen.» Polito stellt klar, dass Temporär­angestellte immer noch schlechter gestellt sind: «Die Kündigungsfristen sind extrem kurz. Und bei Massenentlassungen gehen sie meistens leer aus.»

Neu ist, dass Temporärjobs auch im Hochlohnbereich auf Akzeptanz stossen. Temporär wird elitär. «Es gibt neue Berufe, die sehr flexibilisiert sind. Zum Beispiel die Informatik. Aber auch die Pharma», erklärt Marius Osterfeld, Ökonom beim Verband Swissstaffing, dem Verband der Schweizer Temporärbüros. «Das sind in der Regel hoch spezialisierte Wissenschaftler, die international von Projekt zu Projekt springen.»

Ein globaler Trend

Einwand der Unia-Expertin ­Polito: «Temporärfirmen bieten an, Fachkräfte im Ausland statt in der Schweiz zu rekrutieren. Dies auch in Branchen, wo es in der Schweiz nicht an Fachspe­zialistinnen fehlt.» Zum Beispiel in der IT: «Viele über 50-jährige Informatiker haben Mühe, einen Job zu finden.»

So oder so: Das Wachstum in der Temporärbranche wird weitergehen. Zwar hat es sich zuletzt etwas abgeschwächt. Aber: «Temporärjobs sind ein globaler Trend. Die Schweiz ist eher spät dran», sagt Jérôme Bouin. Jobs auf Zeit entsprächen den heutigen Ansprüchen der Angestellten: «Heute wollen viele nicht unbedingt mehr Lohn. Aber mehr Flexibilität.»

Ein Leben lang bei der gleichen Firma arbeiten wollen nicht alle. Und selbst für Angestellte, die gern einen fixen Job hätten, kann es sich lohnen, erst einmal temporär anzufangen. Ökonom Osterfeld: «Nach zwölf Monaten haben rund die Hälfte der Temporärangestellten, die eine Festanstellung gesucht haben, eine gefunden.»

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