Liebevoll reinigt Heinz Eppenberger (62) in einer unscheinbaren Tiefgarage am Stadtrand von St. Gallen mit einem sauberen Lappen die Frontscheibe seines Volvo V90. Dann setzt sich der Taxifahrer ans Steuer. Es ist 3.30 Uhr. «Um diese Zeit fahren noch keine Busse und fast keine anderen Taxis», erklärt er. «Aber es müssen viele Menschen zur Arbeit oder auf den ersten Zug.»
Ob Taxifahrer ein Traumberuf sei? «Nein. Niemand verlässt die Schule und sagt, dass er Taxifahrer werden will», sagt er. «Zudem könnte ich mit dem Verdienst keine Familie ernähren.» Aber der Job, den er seit zehn Jahren ausübt, gefalle ihm. «Ich bin mitten im Leben, unter Menschen. Das ist es, was ich brauche.» Der gelernte Uhrmacher arbeitete lange in der Gastronomie, 18 Jahre führte er den legendären Flamingo Club.
45'000 Kilometer pro Jahr
Das Rauchverbot habe ihm die Lust am Job genommen. «Und mit 50 Jahren hat man keine grosse Auswahl mehr, eine neue Stelle zu finden.» So machte er die Taxiprüfung und sitzt seither 45’000 Kilometer pro Jahr hinter dem Steuer. Mit viel Herzblut. Das merkt man, wenn er Hanna G.* (92) einmal die Woche zur Apotheke fährt, zum Coiffeur bringt oder in die Physiotherapie. «Ich habe viele Stammkunden, für die mach ich das gerne.»
Dann kommt über Funk der nächste Auftrag rein. Es geht den Rosenberg hoch zur HSG. Ein Dozent lässt sich zum Hotel Einstein chauffieren, holt dort seinen Koffer ab. Dann bringt ihn Eppenberger zum Bahnhof. Der Gast setzt sich auf die Rückbank. «Solche Menschen lass ich in Ruhe, die wollen meistens nicht gross reden», weiss er.
«Einfach nur ein dummer Taxifahrer»
Ganz anders Angela Bräker (61), schon fast eine Freundin Eppenbergers. Sie ist krank, mag nicht alleine einkaufen gehen und muss zum Arzt. Eppenberger redet angeregt während der 15-minütigen Fahrt durch die Stadt. Und trägt ihr später auch noch die Einkäufe hoch – obwohl es ihn im Knie zwickt.
Solche Fahrgäste mag er. Andere nerven ihn. Etwa Jugendliche, die nach einer Party nicht auf den ersten Zug warten mögen und mitten in der Nacht für nur 50 Franken nach Zürich gefahren werden wollen. «So was lehne ich ab», sagt er. «Sturzbetrunkene lasse ich am Strassenrand stehen.» Das würde nur Theater geben. «Auch gewisse Touristen geben mir das Gefühl, dass ich einfach nur ein dummer Taxifahrer bin. Das tut weh.»
Blaues Auge kassiert
Trotz aller Vorsicht und Routine macht auch Eppenberger negative Erfahrungen. «An einem frühen Sonntagmorgen warteten in der Innenstadt einmal rund 50 Partygänger auf ein Taxi. Ein Pärchen stieg hinten ein. Plötzlich auch noch ein Mann auf dem Beifahrersitz», erinnert er sich. Er habe ihn freundlich aufgefordert, den Wagen zu verlassen.
Da sei der Gast ausgerastet, ausgestiegen und habe gegen den Kotflügel getreten. Eppenberger stellt ihn zur Rede. Da schlägt der Mann unvermittelt zu. Eppenberger geht zu Boden. Und ist für ein paar Tage mit einem blauen Auge unterwegs. «Solche Erlebnisse haben mich bewogen, vermehrt tagsüber zu fahren.»
«Beim Rotlicht sind sie einfach abgehauen»
Trotzdem gibt es auch heute immer wieder mal Ärger mit Kunden. «Drei Jugendliche liessen sich von Eggersriet nach St. Gallen fahren. An einem Rotlicht sind sie einfach abgehauen, ohne zu bezahlen.» Einmal habe er eine Prostituierte gar eigenhändig aus dem Wagen spedieren müssen. «Sie wollte einfach nicht mehr als zehn Franken für die Fahrt bezahlen.»
Lukrativer war da Eppenbergers längste Fahrt. «Ich musste eine Kühlbox mit einem Organ nach Lausanne bringen. Unterwegs war ich in ständigem Kontakt mit den Ärzten, damit sie den Patienten für die Operation vorbereiten konnten.» 1300 Franken hat ihm der Transport eingebracht. Das seien dann Fälle, auf die Kollegen neidisch würden. Die Konkurrenz unter den Fahrern sei in den vergangenen zehn Jahren grösser geworden.
Noch kein Sex auf der Rückbank
Ob er schon einmal ein Pärchen beim Sex auf der Rückbank erwischt habe? Eppenberger lacht laut. «Nein, noch nicht», sagt er. Aber es komme immer wieder vor, dass Fahrgäste «umeschmüseled», wie er es nennt. «Das stört mich nicht. Es zeigt, dass sie sich wohlfühlen in meinem Wagen.»
Nächstes Jahr lässt sich Eppenberger pensionieren. Den Autoschlüssel an den Nagel hängen will er deshalb aber nicht. «Ich liebe meinen Job und den Kontakt mit all den Menschen zu sehr.» Er werde die Winter in Thailand verbringen und sich im Sommer dann wieder in St. Gallen hinter das Steuer setzen.
Kurz nach 15 Uhr meldet sich Eppenberger am Funk ab und fährt seinen Volvo in die Garage. Dort saugt er noch schnell den Innenraum. «Der erste Kunde soll morgen in einem sauberen Taxi sitzen.»