Sogar Johann Schneider-Ammann muss sich darüber Gedanken machen
Ersetzen Google, Apple und Co den Nationalstaat?

Das «Ende der Nationen» ist Thema beim diesjährigen World Web Forum in Zürich. Was passiert, wenn Nationalstaaten nicht länger existieren? Wir haben bei Fabian Hediger, Gründer der Digitalkonferenz, nachgefragt.
Publiziert: 16.01.2018 um 23:45 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 16:25 Uhr
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Zerstörte Häuser, dunkle Wolken: Mit diesem Plakat wirbt das World Web Forum für die diesjährige Konferenz zum Thema «End of Nation».
Foto: ZVG
Katia Murmann

Dunkle Wolken, zerstörte Häuser und Strassen, Anarchie: Was wäre, wenn Nationalstaaten nicht länger existierten? Was tritt an ihre Stelle? Und wer garantiert dann Sicherheit, Wohlstand und Mitsprache der Menschen?

Das «Ende der Nationen» ist nicht etwa ein Szenario aus einem Computerspiel. Sondern ein Thema, mit dem sich Vordenker im Silicon Valley seit längerem beschäftigen . Ihre Kernthesen: Grundlage des Fortschritts ist das Internet, das alles auf der Welt vernetzt. Die Sicherheit liegt künftig in den Händen von Tech-Giganten wie Google, Facebook, Apple und Amazon. Communitys treten an Stelle von Gemeinwesen. Ihr Denken ist radikal marktwirtschaftlich und technikgetrieben – aber, zumindest wenn es nach ihnen geht, keine Utopie.

In dieser Woche wird das Thema erstmals in prominenter Besetzung in der Schweiz diskutiert. Das World Web Forum , eine Konferenz digitaler Entscheider, hat «End of Nations » zu seinem diesjährigen Hauptthema gemacht. Und nutzt jenes dunkle Bild vom Anfang, um dafür zu werben.

Foto: Anja Wurm

Sogar Bundesrat Johann Schneider-Ammann wird in Zürich zu dem Thema sprechen – und versuchen, den Fantasien der Tech-Community Einhalt zu gebieten. Das Motto seiner Rede: «Der Nationalstaat ist nicht am Ende. Es braucht ihn mehr denn je.»  Schneider-Ammanns Vorredner ist Fabian Hediger, Gründer des World Web Forum. Er will mit dem Thema für Diskussionen sorgen. Doch glaubt er wirklich daran, dass der Nationalstaat ausgedient hat und die Weltordnung, wie wir sie kennen, abgelöst wird? Wir haben nachgefragt.

Blick: Herr Hediger, eine Welt ohne Nationen: Wie soll das funktionieren?
Fabian Hediger : Wenn wir zurück in die Geschichte schauen, wird klar, dass bei grösseren Umwälzungen immer eine technologische Basis-Innovation vorausging. Danach kam es zu signifikanten Umbrüchen, auch der politischen Systeme. Das Internet ist so eine Innovation.

Die Digitalisierung verändert sehr viel. Aber wie soll das Internet unsere Staaten ersetzen?
Es kommt gerade zu grossen  Veränderungen: Wo die Macht ist, wer die Verhandlungsmacht hat. Es gibt Unternehmen, die überdurchschnittlich gross sind und die so schnell wachsen, dass kein Staat sie stoppen kann. Gleichzeitig werden die Widerstände grösser: Es gibt einen Mindset-Graben zwischen denen, die in der technologischen Revolution Chancen sehen, und denen, die versuchen, den Fortschritt zu verhindern.

Die Macht von Google, Amazon, Facebook und Apple, kurz Gafa, ist enorm. Muss der Staat hier nicht handeln?Die EU versucht, mit Regulierung diese Entwicklung aufzuhalten. Ich frage mich, ob das der richtige Weg ist. Denn mit Regulierung behindern Staaten und die EU vor allem Unternehmen und damit Fortschritt in ihren Ländern.

Wo steht die Schweiz?
Die Schweiz ist weltweit mit führend bei den digitalen Fähigkeiten, der Infrastruktur, der Kommunikationsqualität, dem Forschungsbudget und den Hochschulen. Aber ist die Wirtschaft auch so weit? Vor allem KMU experimentieren zu wenig und sind zu wenig technologisch getrieben.

Sehen Sie in der Schweiz Anzeichen für ein «End of Nation»?
Nein, da sind andere Länder viel eher gefährdet. Hier ist nicht genügend transparent, wo wir stehen. Was ich beobachte: Das Sicherheitsdenken ist gross. Und auch die Abwehrhaltung. Wenn wir es nicht schaffen, in Politik und Verwaltung kompetentes Personal anzustellen, besteht die Gefahr, dass wir abgehängt werden.

Ist die Politik zu spät auf den digitalen Zug aufgesprungen?
Ich will nicht verallgemeinern. Es geht nicht um ein Land, das zurückbleibt. Sondern um Menschen und Unternehmen, die nicht Schritt halten. Ich habe Fragezeichen, zum Beispiel bei der Cyberverteidigung. Wir brauchen in Wirtschaft und Politik Leute, die einen Schritt voraus sind. Staaten, die eine Verantwortung für ihre Bürger haben, müssen mit die ersten sein.

Fabian Hediger ist Gründer und CEO der Firma Beecom.
Foto: Anja Wurm

Was macht Ihnen in Sachen Cyberverteidigung Sorgen?
Ich bin kein Politiker. Aber ich gebe Ihnen ein Beispiel: Der Chef der Schweizer Armee hat neulich gesagt, Google sei schuld, dass er keine guten Leute finde. Das macht mich nachdenklich.

Unternehmen wie Google und Facebook sind für Arbeitnehmer attraktiv. Wie kann der Staat da mithalten?Was mir Sorgen macht: Nationen sind Google oder Facebook so weit hinterher, was das ganze Technologische betrifft. Sie haben sich nicht dafür interessiert, was die Menschen im Netz machen, was sie denken, wie sie sich äussern. Da kann man so viel herauslesen, weltweit. Nationen wissen so viel weniger als Google oder Facebook über ihre Bürger.

Aber Gafa konnte nur enteilen, weil sie sich um keine Regeln scheren. Datenschutz ist ihnen egal. Der Staat hält sich immerhin an den Datenschutz, ihm vertrauen die Leute. Aber die Tech-Giganten wollen doch nur Geld verdienen, sie haben kein Interesse daran, ein funktionierendes Gemeinwesen aufzubauen.
Doch, sie wollen eine Community. Schon heute geben die grossen Tech-Konzerne viel für wohltätige Zwecke aus. Mark Zuckerberg finanziert ein Spital, andere springen ein, wo der Staat sich zurückzieht, und helfen zum Beispiel Obdachlosen oder Drogenabhängigen. Ausserdem: Warum soll ich dem Beamten-Team mehr vertrauen als dem Führungsteam von Google?

Aber Konzerne können nur Bruchteile von dem leisten, was ein Staat tut. Glauben Sie wirklich, die Tech-Giganten treten an Stelle der Staaten?
Nein, das glaube ich nicht. Aber es gibt gröbere Verschiebungen von Kompetenzen und Machtstrukturen, da muss sich jede Nation, jeder Staat genau überlegen, wie es sein System den technischen Gegebenheiten, die sich sehr schnell entwickeln, anpasst.

Das World Web Forum findet eine Woche vor dem WEF statt. US-Präsident Donald Trump kommt in diesem Jahr nach Davos, hätten Sie ihn auch gerne bei sich?
Ein Kollege im Silicon Valley hat einmal gesagt, das World Web Forum sei die Punkrock Version des WEF. Ich sage: Wir sind das WEF der digitalen Welt und das Davos der neuen Generation. In diesem Sinne hätte ich lieber Oprah Winfrey als Trump. 

Gründer des World Web Forums

Fabian Hediger (47) ist Gründer des World Web Forum. Er studierte an der Universität St. Gallen und gehört zu den digitalen Vordenkern der Schweiz. Im Jahr 2000 gründete er mit zwei Partnern die Internet-Firma Beecom. Hediger ist verheiratet, hat eine Tochter und einen Sohn, und lebt mit seiner Familie im Zürcher Limmattal. 

Fabian Hediger (47) ist Gründer des World Web Forum. Er studierte an der Universität St. Gallen und gehört zu den digitalen Vordenkern der Schweiz. Im Jahr 2000 gründete er mit zwei Partnern die Internet-Firma Beecom. Hediger ist verheiratet, hat eine Tochter und einen Sohn, und lebt mit seiner Familie im Zürcher Limmattal. 

Verfolgen Sie das Forum mit

Das World Web Forum versammelt jedes Jahr die Elite der Digitalen Welt. Am 18. und 19. Januar findet die Konferenz in Zürich statt. Das Thema in diesem Jahr ist «End of Nation». Zahlreiche Speaker kommen aus dem Silicon Valley, unter anderem Digital-Coach Mark C. Thompson. Verfolgen Sie das World Web Forum am 18. Januar live auf blick.ch.

Das World Web Forum versammelt jedes Jahr die Elite der Digitalen Welt. Am 18. und 19. Januar findet die Konferenz in Zürich statt. Das Thema in diesem Jahr ist «End of Nation». Zahlreiche Speaker kommen aus dem Silicon Valley, unter anderem Digital-Coach Mark C. Thompson. Verfolgen Sie das World Web Forum am 18. Januar live auf blick.ch.

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