Für Swisscom-Chef Urs Schaeppi zählt nicht nur das Digitale
«Handwerker werden einen Boom erleben»

Ende August schrieb BLICK, dass die Swisscom in ihrer IT-Abteilung flache Hierarchien einführt. Jetzt nimmt CEO Urs Schaeppi erstmals öffentlich Stellung dazu. Seine Meinung: Stellt der Konzern nicht um, verliert er den Anschluss.
Publiziert: 29.09.2017 um 09:56 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 19:51 Uhr
Swisscom-CEO Schaeppi: «Wer Angst vor Veränderung hat, blockiert sich nur.»
Foto: Philippe Rossier
Interview: Christian Dorer und Konrad Staehelin

BLICK: Die Swisscom schafft die Chefs ab: 1500 Mitarbeiter arbeiten bereits in flachen Hierarchien. Wie sind die Erfahrungen?
Urs Schaeppi: Die Umstellung bedeutet nicht, dass wir gar keine Chefs mehr haben. Doch es gibt weniger, und die Mitarbeiter erhalten mehr Verantwortung. Die Hierarchien sind flacher, und die wenigen Chefs müssen gute Rahmenbedingungen bieten, statt nur zu kontrollieren.

Warum braucht es weniger Chefs?
Die Welt wird immer unberechenbarer. Wenn wir wettbewerbsfähig sein wollen, müssen wir flexibler und schneller sein. Wir haben in der Produktentwicklung mit den neuen Arbeitsformen angefangen und bisher positive Erfahrungen gemacht.

Ein wichtiger Führungsgrundsatz lautet: Jemand muss die Verantwortung tragen.
Die Verantwortungen sind weiterhin klar zugeteilt. Aber oft dezentraler als in der Vergangenheit.

Also alle ein bisschen und niemand richtig?
Nein, agiles Arbeiten heisst nicht Laisser-faire! Alle arbeiten nach sehr klaren Richtlinien und Methoden. Die Teams sind sehr resultatorientiert.

Dumm für Ambitionierte. Es gibt weniger Sprossen auf der Karriereleiter.
Unsere Mitarbeiterbefragungen zeigen: Am wichtigsten sind ein interessanter Arbeitsinhalt und Freiheiten. Vor allem bei den Jungen ist das viel wichtiger als ein hierarchischer Status.

Schaeppi: «Die neuen Smartphones gleichen sich immer mehr.»
Foto: Philippe Rossier

Bei Ihnen war das wohl anders, sonst wären Sie nicht CEO geworden?
Auch ich bin durch einen interessanten Arbeitsinhalt motiviert. Das war immer die Leitlinie meiner beruflichen Entwicklung. Wer einen guten Job macht, kriegt automatisch neue Möglichkeiten. Wer aber nur dem CEO-Posten hinterherrennt, wird ihn nie erreichen.

Was machen Sie mit Mitarbeitern, die den digitalen Wandel nicht schaffen?
Viele sagen, die Digitalisierung sei der Jobkiller der Nation. Ich sehe das anders: Jede grosse industrielle Veränderung hat in der Vergangenheit zu mehr Wohlstand geführt. Das wird auch dieses Mal so sein. Wir unterstützen unsere Mitarbeiter beim Wandel. Klar: Einige schaffen es einfacher als andere. Wer aber Angst vor Veränderung hat, blockiert sich nur.

Gewisse werden es beim besten Willen nicht schaffen.
Gesellschaft und Wirtschaft haben da eine grosse Verantwortung. Trotzdem sehe ich keinen Grund zur Sorge: Es gibt viele Berufe, die eine Maschine nie ausführen kann. Eine Verhandlung führen, Dinge verkaufen. Handwerker werden sogar einen Boom erleben. Langweilige, repetitive Aufgaben hingegen werden automatisiert. Ein Beispiel: Der Computer hat die Arbeit der Sekretärinnen verändert. Sie haben heute viel interessantere Aufgaben.

Wie verändern sich die Jobs bei der Swisscom?
Produkte, wie beispielsweise Telefon-Vermittlung, werden durch Software-Lösungen ersetzt. Somit haben wir in solchen Bereichen weniger Arbeitsplätze. IT, Software und künstliche Intelligenz, Unterhaltung, aber auch Kundenbetreuung werden dagegen immer wichtiger. Im Bereich Geschäftskunden sind wir eine IT-Firma.

Sie haben mal gesagt, die Schweiz habe den Start ins digitale Zeitalter verschlafen. Wo stehen wir heute?
Die erste Halbzeit hat Amerika gewonnen. Die Schweiz ist gut in die zweite Halbzeit gestartet. Viele KMU sind innovativ und unsere Hochschulen sind gut aufgestellt. Aber wir müssen uns auf Experimente einlassen. Es nützt nichts, wenn wir zuerst alles bis ins Hinterletzte durchplanen, dann aber viel zu spät sind. Vielmehr müssen wir Dinge ausprobieren, scheitern dürfen, daraus lernen. Aus Fehlern lernt man am meisten. Doch Fehlermachen ist in der Schweiz verpönt. So klemmt man jedes Risiko ab.

Mögen Sie denn Fehler?
Bei uns wird niemand bestraft, weil er einen Fehler gemacht hat. Man muss daraus lernen und darf den gleichen Fehler nicht ein zweites Mal machen.

2020 soll der nächste Mobilnetz-Standard 5G kommen. Was bringt er dem Kunden?
Viel mehr Bandbreite, also Leistung, und weniger Verzögerung bei der Übertragung. Das wird ganz neue Möglichkeiten bieten, zum Beispiel die verzögerungsfreie Steuerung von Anwendungen, was beispielsweise die Grundlage für selbstfahrende Autos ist.

Wegen der hohen Leistung kommen Sie in Konflikt mit dem Strahlenschutz.
Heute ist die Schweiz führend, was die Netzqualität angeht. Doch wir haben mit Abstand die strengsten Grenzwerte in Europa. Wenn sich das nicht ändert, werden wir das Potenzial von 5G nicht nützen können und werden abgehängt.

Christian Dorer (r.), Chef der Blick-Gruppe, und BLICK-Wirtschaftsredaktor Konrad Staehelin (M.) im Gespräch mit Urs Schaeppi.
Foto: Philippe Rossier

Zum Schutz der Menschen!
Massgebend ist die Weltgesundheitsorganisation WHO: Der Grenzwert, den sie empfiehlt, ist zehnmal höher als jener in der Schweiz. Aber es ist ein emotionales Thema. Man sieht Strahlen nicht, da kommen Ängste auf.

Ist die Schweiz zu vorsichtig?
Ja. Wenn die Schweiz ihre führende Position nicht verlieren will, ist die Politik gefordert, die Grenzwerte anzupassen. Es gibt Tausende Studien dazu, aber keinen wissenschaftlichen Befund, dass Mobilfunk-Strahlung schädlich ist. Wenn ich wüsste, dass es schädlich ist, wäre ich als Erster für eine Änderung; zum Schutz unserer Kunden.

Telefonieren Sie mit dem Handy am Ohr?
Nein, mit dem Bluetooth-Headset. Aber nicht wegen der Strahlung, sondern weil es mir zu mühsam ist, immer das Handy ans Ohr zu halten.

Jahrelang bescheinigte der Connect-Test – der glaubwürdigste Test der Branche – der Swisscom, das beste Netz zu haben. Letztes Jahr sind Sie hinter Sunrise zurückgefallen. Warum?
Dieser Test deckt nur einen kleinen Teil der Realität ab. Wir haben nach wie vor das beste Netz. Für mich zählt die Meinung der Kunden. Aber ja: Sunrise und Salt haben aufgeholt. Die Schweiz hat einen guten Infrastruktur-Wettbewerb.

Wann fallen auch für Schweizer endlich die Roaming-Gebühren – wie überall sonst in Europa?
Drei Viertel des mobilen Datenverkehrs, den Swisscom-Kunden im Ausland nutzen, verrechnen wir nicht mehr. Wir kriegen heute kaum mehr Reklamationen wegen hoher Roaming-Kosten. Und wenn doch eine reinkommt, sind wir im Normalfall kulant.

Was halten Sie vom neuen iPhone X?
Ich hatte es noch nicht in der Hand. Aber die neuen Smartphones gleichen sich immer mehr. Gewisse Dinge wie die Gesichtserkennung, die neu sein sollen, gab es früher schon. Apple schafft es jedoch immer wieder, nutzerfreundliche Produkte zu kreieren.

Wie viel verdienen Sie, wenn ein neues iPhone auf den Mark kommt?
Je moderner die Geräte, desto mehr werden unsere Netze genutzt. Doch da heute die meisten Kunden eine Flatrate haben, verdienen wir trotzdem nicht zusätzlich.

«Heute ist die Schweiz führend, was die Netzqualität angeht.»
Foto: Philippe Rossier

Klingt nach Katzenjammer.
Unsere Branche ist weltweit in einer schwierigen Phase. Die Investitionen steigen stark an, da wir Mobilfunk- und Glasfasernetz ausbauen. Gleichzeitig drückt der Markt aufgrund der starken Konkurrenz die Preise.

Der Umsatzrückgang der letzten Jahre geht also weiter?
In der Schweiz haben wir einen leichten Umsatzrückgang, weil die Roaming-Gebühren wegfallen und der Festnetzmarkt schrumpft. Von den Jungen will heute keiner mehr ein Festnetz-Telefon.

Ab 2018 steht der Betrieb von Telefonkabinen nicht mehr im Grundversorgungs-Auftrag der Swisscom. Was machen Sie jetzt damit?
Weil die Telefonkabinen kaum mehr genutzt werden, bauen wir sie wie in den letzten 20 Jahren weiter ab. Es hat keinen Sinn, in die Telefonkabinen zu investieren. Mittelfristig werden sie ganz wegfallen.

Und wenn eine Gemeinde für ihre Telefonkabine bezahlen will?
Das ist nicht sinnvoll. Telefonkabinen sind ein Auslaufmodell. Wir überlassen den Gemeinden auf Wunsch die Kabinen für Umnutzungen wie Büchertauschbörsen oder als Standort für Defibrillatoren.

Sie streiten sich mit dem Konkurrenten UPC seit Jahren um verschiedene Sportrechte. Aktuell behandelt die Wettbewerbskommission Ihre Klage, weil UPC Ihnen die Rechte an der Eishockey-NLA nicht weiterverkaufen will.
Ja, Swisscom-Kunden können im Moment kein NLA-Eishockey schauen. Doch wir haben nach wie vor mit Abstand das grösste Sportangebot. Wir haben die NHL, die Fussball Super League ...

Dem ZSC- oder SCB-Fan bringt das nichts.
Wir fordern Fairplay. Es kann nicht sein, dass wir unsere Sportrechte teilen müssen, während es andere nicht tun.

Von aussen wirkt es wie ein kindischer, teurer Streit auf dem Buckel der Fans.
Das sagen Sie dem Falschen. Wir stellen unsere Rechte allen zur Verfügung, und ich finde die aktuelle Situation auch unbefriedigend. Aber wissen Sie, Sportinhalte sind ein Nischengeschäft.

Urs Schaeppi

Urs Schaeppi (57) liess sich an der ETH zum Ingenieur und an der HSG zum Ökonom ausbilden. Ab 1994 arbeitete er vier Jahre lang als Betriebsleiter der Papierfabrik Biberist im Kanton Solothurn, danach wechselte er zur Swisscom. Seit 2006 ist er Mitglied der Konzernleitung, seit November 2013 CEO des blauen Riesen. Der Umsatz betrug 2013 11,4 Milliarden Franken und stieg seither nur leicht an, 2016 betrug er 11,6 Milliarden. Schaeppi lebt mit seiner Partnerin in Bolligen BE.

Urs Schaeppi (57) liess sich an der ETH zum Ingenieur und an der HSG zum Ökonom ausbilden. Ab 1994 arbeitete er vier Jahre lang als Betriebsleiter der Papierfabrik Biberist im Kanton Solothurn, danach wechselte er zur Swisscom. Seit 2006 ist er Mitglied der Konzernleitung, seit November 2013 CEO des blauen Riesen. Der Umsatz betrug 2013 11,4 Milliarden Franken und stieg seither nur leicht an, 2016 betrug er 11,6 Milliarden. Schaeppi lebt mit seiner Partnerin in Bolligen BE.

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