Guy Lachappelle, der neue Präsident von Raiffeisen, will eine klare Zäsur zur Ära von Pierin Vincenz vollziehen. Dies kündigt er im Interview mit der «NZZ am Sonntag» an. Dabei gebe es für ihn keine «heiligen Kühe», wie er betont: «Wenn wir auf rechtlichem Weg investierte Gelder zurückholen oder Schadenersatz geltend machen können, werden wir dies tun.»
Raiffeisen prüfe Verantwortlichkeitsansprüche sowohl gegenüber den Mitgliedern des damaligen Verwaltungsrats als auch der Geschäftsleitung. Zunächst will Lachappelle aber die Fertigstellung der unabhängigen Untersuchung unter der Leitung des emeritierten Professors Bruno Gehrig abwarten. Der Bericht soll bis Ende Jahr erscheinen.
Verwaltungsrat verletzte das Aufsichtsrecht
An der Delegiertenversammlung vom 10. November hat Gehrig bereits erklärt, dass Raiffeisen auch bei weiteren Beteiligungen überhöhte Preise bezahlte. Zudem erfolgten diese Käufe ohne externe Bewertungsgutachten. Im Fall der Beteiligungsgesellschaft Investnet kommt die Finanzmarktaufsicht (Finma) zum Schluss, dass der damalige Verwaltungsrat eine schwere Verletzung des Aufsichtsrechts begangen hat.
So wurde die Akquisition von Investnet als untraktandierte Tischvorlage, ohne schriftliche Dokumentation, bewilligt. Zudem visierte der Verwaltungsrat fünfstellige Spesenbeträge für den damaligen CEO Pierin Vincenz, ohne dass dieser Belege dafür vorlegen musste.
Wegen «Vincenzs starker Persönlichkeit» schaute der Verwaltungsrat weg
Wieso konnte Vincenz fast unkontrolliert schalten und walten? Gegenüber der «NZZ am Sonntag» sagt Lachappelle: «Es herrschte offenbar eine Kultur des vorauseilenden Gehorsams.» Vincenzs Persönlichkeit sei so stark gewesen, dass der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung den CEO zu wenig hinterfragt hätten. «Wer zu ihm in Opposition trat, musste befürchten, in Ungnade zu fallen.»
Der neu zusammengesetzte Verwaltungsrat warte jetzt auf den Abschluss des Gehrig-Berichts. «Anschliessend werden wir die nötigen Massnahmen ergreifen. Das können disziplinarische und personelle Konsequenzen sein. Ausserdem prüfen wir, ob Verantwortlichkeitsansprüche gegenüber den Mitgliedern des damaligen Verwaltungsrats oder der Geschäftsleitung bestehen.»
Der Präsident erklärt weiter, dass Raiffeisen den Investnet-Kauf, welcher die Bank rund 100 Millionen Franken kostete, gerichtlich anfechten will: «Im Wissen um alle heute bekannten Tatsachen hätte Raiffeisen die Gesellschaft nicht übernommen.»
Bei einem Schuldspruch haften die Verwaltungsräte nicht persönlich
Nach Ansicht von Rechtsexperten dürften diese gravierenden Führungsmängel nicht ohne rechtliche Konsequenzen bleiben. «Ein erster sinnvoller Schritt besteht darin, dass die Raiffeisen-Delegierten der früheren Führung die Décharge verweigern», erklärte der Berner Rechtsprofessor Peter V. Kunz. Eine solche Massnahme bedeutet, dass die Bank bei einer Pflichtverletzung Haftungsansprüche geltend machen kann.
Allerdings würden die Raiffeisen-Verwaltungsräte bei einem Schuldspruch nicht persönlich haften. Wie die «NZZ am Sonntag» schreibt, sind diese durch eine Organhaftpflichtversicherung geschützt. (sga)