Die Schweiz wird älter.Senioren dürfen mit einer immer höheren Lebenserwartung rechnen. Das ist zwar kein Geheimnis, aber diskutiert wird bisher eher über die Folgen für die Altersversicherung, als über den massiven Mangel an Arbeitskräften, der schon in ein paar Jahren auf die Schweizer Wirtschaft zukommt.
Eine SonntagsBlick-Umfrage bei grossen Schweizer Arbeitgebern zeigt die Verschiebung. Zum Beispiel bei der Post, die mehr als 60'000 Angestellte beschäftigt: «2013 betrug das Durchschnittsalter 44,8 Jahre. Ende Juni 2017 sind es 45,9 Jahre. 2020 wird es auf 47,8 Jahre prognostiziert», teilt der gelbe Riese mit. Ein ähnliches Bild bei den SBB: «Wir rechnen ab 2022 mit einer grösseren Pensionierungswelle. Bis 2035 werden rund die Hälfte der Mitarbeiter das Unternehmen altershalber verlassen.» Swisscom meldet: «Der Anteil Mitarbeitender über 50 Jahre ist in den letzten Jahren gestiegen und lag im Jahr 2016 bei 28,18 Prozent.»
Ab 2020 wird der Anteil der über 65-Jährigen massiv wachsen
Auch Firmen, die ihre Altersstruktur nicht offenlegen, wissen: Die Generation der Babyboomer steht kurz davor, das Rentenalter zu erreichen. 2020 bis 2045 steht der Schweiz die grösste Pensionierungswelle ihrer Geschichte bevor. Das Bundesamt für Statistik bestätigt, dass der Anteil der über 65-Jährigen ab 2020 massiv wachsen wird.
«Ich glaube, den meisten Unternehmen ist noch nicht bewusst, welch massive Umwälzungen da auf uns zukommen», sagt Daniel Kalt (48), Chefökonom der UBS Schweiz. Ab jetzt würden immer mehr erfahrene Mitarbeiter die Unternehmen verlassen. Die Zahlen sind eindrücklich: «Vom Jahrgang, bei dem jemand heute 52 Jahre alt ist, gibt es knapp 140'000 Personen. Aber nur circa 80'000 Junge, die nachstossen.»
Dies bedeutet, dass die Schweiz den Höhepunkt des Pensionierungsschocks in etwa 13 Jahren erleben wird. Die Folge: Fachkräftemangel! Mittel, ihn zu beheben, fehlen bislang. «Das kann man nicht einfach mit mehr Lehrlingen kompensieren», so UBS-Ökonom Kalt.
Früher deckte die Schweiz ihren Bedarf an Arbeitskräften bequem mit Ausländern. Kalt: «Das war in der Vergangenheit immer das Ventil für Branchen, die Arbeitskräfte brauchten.»
Mit Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative hat die Schweizer Wahlbevölkerung jedoch Anfang 2014 klargemacht, dass die Einwanderung gedrosselt werden soll.
In der Pflege herrscht Fachkräftemangel
Werden Roboter und intelligente Software-Programme also demnächst in die Bresche springen? Wohl eher nicht: «Die Digitalisierung könnte Abhilfe schaffen. Noch ist aber sehr schwer abzuschätzen, wie viele Jobs durch Roboter ersetzt werden», sagt Daniel Kalt. Er glaube nicht daran, wie einige Ökonomen vorgerechnet haben, dass in absehbarer Zeit Tausende von Arbeitsplätzen verschwinden. In der Bildung, in der Pflege und bei Führungskräften herrsche schon heute Fachkräftemangel. «Das sind keine Jobs, die man mit Robotern ersetzen kann», glaubt Kalt.
«Der Wettbewerb um Fachkräfte verschärft sich gemäss unseren Analysen vor allem in den spezialisierten Bereichen Informatik und Ingenieure, sowie in Berufen mit bahnspezifischem Wissen», sagt SBB-Sprecher Marc Oliver Dischoe. Die Bundesbahnen hätten reagiert und betrieben «aktives Personalmarketing», indem etwa die Arbeitsbedingungen attraktiver gemacht würden.
Doch nicht alle Firmen haben diese Möglichkeit. Die einfachste Lösung für viele Betriebe wird wohl sein, die Angestellten zu überzeugen, über das Pensionsalter 65 hinaus zu arbeiten.
Die «Altersvorsorge 2020», über die am 24. September abgestimmt wird, könnte den Weg dafür ebnen. «Es ist sicher ein Vorteil der Vorlage, dass sie das Rentenalter flexibilisiert», meint UBS-Ökonom Kalt; 65 sei dann nicht mehr fixes Rentenalter, sondern «nur» ein Referenzalter. Praktisch alle angefragten Firmen geben denn auch an, Arbeiten über das Pensionsalter 65 fördern zu wollen. Doch das kann bestenfalls freiwillig geschehen – ausreichen wird es nicht.