SonntagsBlick: Herr Lardi, knapp acht Franken in der Stunde und Wohnen auf dem Campingplatz: Warum kommen solche Fälle immer wieder vor?
Gian-Luca Lardi: Auf Zehntausenden Baustellen wird mit korrektem Lohn gearbeitet. Wenn es aber auch nur einen solchen Fall mit absolut unzumutbaren Zuständen gibt, ist das ein Fall zu viel. Wir vom Bauhauptgewerbe kontrollieren, wo es geht. Plattenleger sind im Baunebengewerbe, da ist es oft schwieriger. Wir tun alles, damit solche Fälle verhindert werden. Aber man darf sich auch keine Illusionen machen: Einen zu 100 Prozent sauberen Markt werden wir nie hinkriegen.
Das klingt resigniert.
Im Gegenteil! Wie gesagt, wir wollen solche Fälle verhindern. Deshalb haben wir die «Allianz Bau» gegründet. Derzeit bauen wir eine Plattform auf, in der alle Firmen registriert sein sollen. Auch die Gewerkschaften machen mit. Es wird gespeichert, wann welche Firma kon-trolliert wurde und um welche Art der Verstösse es sich handelte. Die Bauherren können in dem Informationssystem nachschauen, an was für eine Firma sie den Auftrag vergeben wollen.
Heute ist doch das Problem: Wird eine Firma beim Lohndumping erwischt, kann der Chef einfach eine neue gründen und sich wieder um Aufträge bewerben ...
Das ist richtig. Deshalb soll das System nicht nur Firmen regis-trieren, sondern im Bauhauptgewerbe auch Personen. Gründet jemand eine neue Firma, kann man das auch dort sehen.
Wann wird die Plattform stehen?
Voraussichtlich 2018. Das Vorprojekt ist abgeschlossen.
Wenn die Bauherren nicht wollen, müssen sie das Verzeichnis nicht nutzen.
Das stimmt. Aber wir wollen ihnen ein Instrument in die Hand geben. So können sie die Verantwortung nicht mehr abschieben.
Geschieht das heute?
Man kann nicht generalisieren. Wir stellen aber fest: Auf Grossbaustellen sind die Bauherren oft stark herausgefordert. Sie wollen zwar saubere Baustellen, verlieren aber oft den Überblick über all die Firmen, die vor Ort sind. Kleinere, private Bauherren sind sich dagegen oft ihrer Verantwortung nicht bewusst – das erlebe ich zum Beispiel bei uns im Tessin. Da ist es am Schluss nur eine Frage des Preises. Ob die Regeln eingehalten werden, ist den Bauherren dann nicht mehr so wichtig.
Im Kanton Bern planen die Gewerkschaften eine Initiative. Sie wollen Sub-Subunternehmen auf dem Bau verbieten.
Was auf dem Papier verlockend tönt, ist in der Praxis absolut untauglich. Unsere Branche ist hoch spezialisiert. Bauherren müssten jeden Miniauftrag einzeln ausschreiben und vergeben. Sie müssten riesige Projektteams bilden. Das wäre teuer und ineffizient. Und es gibt heute private Unternehmen, die das viel besser können.
Genau diese Generalunternehmungen stehen aber in der Kritik. Es gibt oft Dutzende Subunternehmen. Niemand hat mehr den Überblick.
Man darf nicht den Eindruck erwecken, als würde nur beschissen. Ich bin überzeugt: Auch auf der Inselspital-Baustelle läuft zu 98 Prozent alles korrekt. Es gibt aber nun mal schwarze Schafe, die Schlupflöcher in der Personenfreizügigkeit ausnutzen. Deshalb muss auch die Politik aktiv werden. Die Schweiz müsste diese mit der EU stopfen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Heute dürfen ausländische Baufirmen «Spezialisten» für drei Monate in die Schweiz schicken. Das ist sinnvoll, schliesslich können sie etwas besonders gut. Aber ob es tatsächlich Spezialisten oder Billigarbeitskräfte sind, kann man heute nicht unterscheiden.
Wenn ein Büezer auf dem Bau acht Franken pro Stunde verdient, wer bereichert sich da eigentlich?
Es gibt niemanden, der sich eine goldene Nase verdient. Auf jeder Stufe im Bauprozess geht etwas Geld verloren. Zuoberst steht ein Bauherr, der den besten Preis will.
Wo gehobelt wird, fallen immer auch Späne. Auf den Schweizer Baustellen aber wird der Rechtsstaat in seinen Grundfesten erschüttert.
Ob die Post in Härkingen ein Paketzentrum erstellt, ob sich die Messe Basel einen Neubau gönnt, ob ein Grossverteiler im Aargau ein gigantisches Logistikzentrum hochzieht: Überall werden gravierende Fälle von Lohndumping aufgedeckt.
Jüngstes Beispiel ist das neue Tumor- und Organzentrum des Berner Inselspitals, die grösste Baustelle im Mittelland: Plattenleger aus Osteuropa werden hier mit Hungerlöhnen von 1500 Franken monatlich abgespeist, die Nächte verbringen sie auf dem Campingplatz.
Selbstverständlich zahlt das Berner Inselspital als Bauherr den gesetzlichen Mindestlohn. Den Löwenanteil davon freilich streichen ein lokaler Gewerbler und dessen Subunternehmer aus Italien ein. Zehntausende Steuerfranken dürften damit in die Kassen von Gaunern fliessen.
Es ist ja keineswegs so, dass es auf den Baustellen zu wenige Inspektionen gibt. Die Arbeitsmarktkontrolleure melden täglich Missbrauchsfälle. Bei den kantonalen Behörden und bei den Berufskommissionen der Baubranche fehlt dann aber das Personal, um all diesen Berichten nachzugehen.
Unzählige Fälle von Schwarzarbeit und Lohndumping werden also gar nicht erst verfolgt. Wird einer Meldung doch einmal nachgegangen, setzen die angeschuldigten Firmen ihre Arbeiter unter Druck, bis diese ihre Chefs
decken. Und selbst wenn ausnahmsweise jemand verurteilt wird: Mehr als eine lächerliche Busse hat er nicht zu befürchten.
2014 sagten die Stimmbürger Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative der SVP. Seither sollten sich Wirtschaft und Politik die Hände schwielig arbeiten, um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Sie sollten zeigen, wie ernst sie die Ängste vor einer Verwahrlosung des Arbeitsmarkts nehmen. Noch so eine Volksinitiative, noch so eine Abschottungsdebatte kann sich unser Land nicht leisten.
Was aber haben die Verantwortlichen in den letzten drei Jahren effektiv getan? Hat man von einem umfassenden Aktionsplan unseres Wirtschaftsministers zur Bekämpfung von Lohndumping auf dem Bau gehört? Ja, hat das überhaupt jemand gefordert? Diskutiert man in Bundesbern darüber, dass die Selbstregulierung der Baubranche durch Arbeitgeber und Gewerkschaften im Kampf gegen skrupellose Menschenhändler offensichtlich nichts taugt?
All diese Aktionspläne, Forderungen, Debatten gibt es nicht. Nun dreht die Baubranche etwas an der Schraube. Man plant ein Verzeichnis der sauberen Unternehmen. Bauherren sollen sich informieren können, ob einer Firma zu trauen ist. Weit wird man damit nicht kommen: Im Kampf gegen Kriminelle braucht es keine Schraubenzieher. Es braucht den Vorschlaghammer.
Solange niemand das Problem entschieden genug angeht, fliegen auf den Schweizer Baustellen nicht nur die Späne. Solange stets neue, krasse Fälle von Lohndumping bekannt werden, wird das Vertrauen der Stimmbürger in Rechtsstaat, Politik und Wirtschaft immer weiter ausgehöhlt.
Wo gehobelt wird, fallen immer auch Späne. Auf den Schweizer Baustellen aber wird der Rechtsstaat in seinen Grundfesten erschüttert.
Ob die Post in Härkingen ein Paketzentrum erstellt, ob sich die Messe Basel einen Neubau gönnt, ob ein Grossverteiler im Aargau ein gigantisches Logistikzentrum hochzieht: Überall werden gravierende Fälle von Lohndumping aufgedeckt.
Jüngstes Beispiel ist das neue Tumor- und Organzentrum des Berner Inselspitals, die grösste Baustelle im Mittelland: Plattenleger aus Osteuropa werden hier mit Hungerlöhnen von 1500 Franken monatlich abgespeist, die Nächte verbringen sie auf dem Campingplatz.
Selbstverständlich zahlt das Berner Inselspital als Bauherr den gesetzlichen Mindestlohn. Den Löwenanteil davon freilich streichen ein lokaler Gewerbler und dessen Subunternehmer aus Italien ein. Zehntausende Steuerfranken dürften damit in die Kassen von Gaunern fliessen.
Es ist ja keineswegs so, dass es auf den Baustellen zu wenige Inspektionen gibt. Die Arbeitsmarktkontrolleure melden täglich Missbrauchsfälle. Bei den kantonalen Behörden und bei den Berufskommissionen der Baubranche fehlt dann aber das Personal, um all diesen Berichten nachzugehen.
Unzählige Fälle von Schwarzarbeit und Lohndumping werden also gar nicht erst verfolgt. Wird einer Meldung doch einmal nachgegangen, setzen die angeschuldigten Firmen ihre Arbeiter unter Druck, bis diese ihre Chefs
decken. Und selbst wenn ausnahmsweise jemand verurteilt wird: Mehr als eine lächerliche Busse hat er nicht zu befürchten.
2014 sagten die Stimmbürger Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative der SVP. Seither sollten sich Wirtschaft und Politik die Hände schwielig arbeiten, um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Sie sollten zeigen, wie ernst sie die Ängste vor einer Verwahrlosung des Arbeitsmarkts nehmen. Noch so eine Volksinitiative, noch so eine Abschottungsdebatte kann sich unser Land nicht leisten.
Was aber haben die Verantwortlichen in den letzten drei Jahren effektiv getan? Hat man von einem umfassenden Aktionsplan unseres Wirtschaftsministers zur Bekämpfung von Lohndumping auf dem Bau gehört? Ja, hat das überhaupt jemand gefordert? Diskutiert man in Bundesbern darüber, dass die Selbstregulierung der Baubranche durch Arbeitgeber und Gewerkschaften im Kampf gegen skrupellose Menschenhändler offensichtlich nichts taugt?
All diese Aktionspläne, Forderungen, Debatten gibt es nicht. Nun dreht die Baubranche etwas an der Schraube. Man plant ein Verzeichnis der sauberen Unternehmen. Bauherren sollen sich informieren können, ob einer Firma zu trauen ist. Weit wird man damit nicht kommen: Im Kampf gegen Kriminelle braucht es keine Schraubenzieher. Es braucht den Vorschlaghammer.
Solange niemand das Problem entschieden genug angeht, fliegen auf den Schweizer Baustellen nicht nur die Späne. Solange stets neue, krasse Fälle von Lohndumping bekannt werden, wird das Vertrauen der Stimmbürger in Rechtsstaat, Politik und Wirtschaft immer weiter ausgehöhlt.