Tiefe Löhne, unregelmässige Arbeitszeiten, kaum planbare Freizeit und schwierige Vereinbarkeit mit der Familie: Was früher der Traumberuf vieler Buben war, sei heute für Einsteiger einfach nicht mehr attraktiv, sagte der Präsident der Lokführer-Gewerkschaft SEV-LPV, Hans-Ruedi Schürch, am Mittwoch der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Er bestätigte damit eine Meldung im «Blick". Viel zu lange hätten sich die SBB auf das Traumberuf-Image verlassen und zu wenig Lokführer ausgebildet. Bei einem Ausbildungslohn von 45'000 Franken brutto aber könnten zum Beispiel junge Familienväter kaum mehr angelockt werde. Und auch der Lohnanstieg sei nicht befriedigend. Dazu kämen Aussagen über führerlose Züge von SBB-Chef Andreas Meyer. Das verunsichere potenzielle Kandidaten weiter.
Die SBB räumen auf Anfrage ein, dass jüngere Generationen weniger motiviert seien, den Beruf des Lokführers zu erlernen. Aber SBB-Sprecher Reto Schärli betont, der Beruf habe trotz der laufenden Automatisierung Zukunft. Denn Fachleute würden auch bei selbstfahrenden Zügen benötigt, vor allem in «ausserordentlichen Betriebslagen".
Zur Zeit beschäftige die SBB rund 3500 Lokführerinnen und Lokführer. Wegen des Ausbaus des Bahnangebots würden aber mehr Fachleute benötigt. Deshalb gebe es heute «jährlich zehn bis zwölf Ausbildungsklassen», gegenüber drei bis vier in früheren Jahren, schrieben die SBB auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Gemäss Schürch werden die gewünschten Klassengrössen von 12 bis 18 Anwärterinnen und Anwärtern aber zunehmend nicht mehr erreicht.
Auch der Ausbau des Angebots und die zahlreichen Baustellen und Streckensperrungen machen den Lokführern zu schaffen. Denn damit würden ihre Touren weniger effizient, lange Pausen seien die Konsequenz.
Die angekündigten 1900 Extrazüge von Mai bis September für Sommeranlässe haben auch gemäss der SBB eine «tageweise angespannte Personalsituation» zur Folge. Für Gewerkschaftschef Schürch bedeuten diese zusätzlichen Angebote vor allem «unproduktive Kurzeinsätze": einmal hin und einmal zurück.
All das führe zu Überstunden, die geschuldet, aber nicht abgebaut werden könnten, sagte Schürch. Daran hätten die SBB aber nicht gedacht. Um die Situation bereinigen können, müssten sie eigentlich mehr Lokführer anstellen. Doch CEO Meyer habe schon vor Jahren verlauten lassen, dass ihm bei den Lokführern ein Unterbestand lieber sei, als einer zu viel.
Zu reden gibt auch das Planungstool, das seit 2017 bei den Lokführern zum Einsatz kommt. Denn dieses sei unproduktiv, unübersichtlich und führe zu einem Mehrbedarf an Lokführern, sagte Schürch.
So war vor einer Woche der Mehrbedarf an Lokführern «wegen zahlreichen Baustellen und Zusatzzügen» in der Region Zürich unterschätzt worden: Zu wenige Mitarbeiter wurden eingeteilt. Das führte dazu, dass morgens und abends 25 Züge nicht gefahren werden konnten. Die Reisenden mussten auf die regulären Verbindungen gelenkt werden.
(SDA)