Es ist kurz nach 4 Uhr morgens. Die Scheinwerfer des Geländewagens streifen über die weiche Landschaft des Calanda-Gebirges. Der Bündner Wildtierfotograf Peter Dettling fährt immer höher hinauf ins Massiv, das über dem Churer Rheintal thront. Er fährt ins Wolfsgebiet.
Hier hat fast jeder eine Geschichte zu erzählen. Die einen sassen vor ihrem Weiler, als zuerst ein Hirsch aus dem Wald auftauchte und auf der anderen Seite wieder verschwand – und nur kurz danach ein Wolf erschien, dicht auf des Hirsches Spur. Die anderen waren am Heuen, als zwei das Tal passierten. Das Wolfsterritorium erstreckt sich über 300 Quadratkilometer, ist damit etwas grösser als der Kanton Genf.
Es dämmert, als wir uns auf einer Lichtung ins Gras legen. Von hier aus hat man gute Sicht auf eine Schneise mit Geröll und Baumstrunken, in der einst ein paar Jungwölfe in eine Fotofalle der Wildhut tappten. Dettling kennt und fotografiert die Calanda-Wölfe, seit sie hier 2011 heimisch wurden. Doch jetzt sind im Fernglas nur ein paar Gamsböcke zu sehen, die ruhig fressen. Ein Wolf hier? Undenkbar. Ein Tannenhäher kreischt. Sonst regt sich nichts.
Erst vergehen Minuten. Dann Stunden. «Noch fünf Minuten», sagt Dettling. Hunderte Male schauen wir durchs Fernglas. Sehen immer nur einen kleinen Ausschnitt des riesigen Wolfsgebiets. Und da, plötzlich, aus dem Nichts taucht er auf. Läuft quer durch die Schneise zwischen dem Wald, stolz und entspannt zugleich, mit leicht aufgestelltem Schwanz und erhobenem Kopf, gross, grau, hellbraun. Ein kleines Wunder.
Dettling glaubt, den Rüden erkannt zu haben – Farley. Nur ein paar Sekunden sehen wir das leise Raubtier, nicht einmal für ein Foto reicht es. Dann verschwindet Farley wieder zwischen den Bäumen. Fast unwirklich. «Ein Wolf zeigt sich nur, wenn er etwas zu sagen hat», sagt Dettling, so sage man bei den Indianern. Vielleicht wollte der Wolf mit seinem kurzen Erscheinen tatsächlich etwas beweisen: Es ist kein Märchen, ich bin zurück.
Wildtierfotograf Peter Dettling
Der Bündner Peter Dettling beobachtete Wölfe in den USA, später in Kanada, wo er mittlerweile lebt – als Wölfe in die Schweiz zurückkehrten, tat auch er es. Für seine Serie «Einmal um die Sonne mit den Calanda-Wölfen» begleitete er die Wolfsfamilie vier Jahre lang. Für das SonntagsBlick-Magazin kommentiert er seine besten Bilder.
Für seine Serie «Einmal um die Sonne mit den Calanda-Wölfen» begleitete er die Wolfsfamilie vier Jahre lang. Infos unter: www.peterdettling.com