Gefragte Frauen

US-Präsident Donald Trump entflammte mit seinen sexistischen Äusserungen den Frauenkampf aufs Neue. Zum Internationalen Tag der Frau am 8. März beantworten 17 Frauen Fragen, die sie im Jahr 2017 in der Schweiz beschäftigen – persönlich, inspirierend, ­lustig, nachdenklich, kämpferisch.


Gabi Schwegler (31): SonntagsBlick-­Autorin

Wie lebt es sich als Frau in Zeiten von Donald Trump?

«Er prahlt mit sexuellen Übergriffen auf Frauen. Er lässt sich aus über das ­Gesicht und die Figur seiner Fein­dinnen. Er kriminalisiert Abtreibungen. Er, das ist Donald Trump: US-Präsident, Sexist, Rassist.

Seine Worte und sein Verhalten treffen mich. Als Mensch und als Frau. Ich bin keine überempfindliche Feministin, denn ich bin ab­gehärtet. Aufgewachsen in einer Arbeiter­familie, mit zwei Brüdern, in einem kleinen Dorf. Im Fernsehen schauten wir Formel 1 und die Bikini-Fernsehserie ‹Baywatch›, die Rollenverteilung meiner Eltern ist traditionell. Diese Kindheit, dieser Ort war wahrlich keine ­Wiege der Emanzipation.

Es ist das Leben als erwachsene Frau in diesem Land, in dieser Welt, das mich zu dem machte, was manche – nicht wenige – abschätzig als Emanze bezeichnen.

Es sind idiotische Machos wie Trump, die einem Frauenbild Sukkurs leisten, das in der Steinzeit verwurzelt ist. Es macht mir Angst, dass Frauenfeindlichkeit von höchster Stelle ohne Konsequenzen bleibt. Und sogar ins Weisse Haus führt.

Es sind die kleinen und grösseren Erlebnisse in der eigenen Biografie. In der KV-Lehre nannte mich ein Chef ­immer «Chliini Bohne», ein Lieferant (Tiefkühlprodukte) sprach mich konsequent mit «Schätzeli» an. Meinen Unterstift nannten alle beim Vornamen. Immer.

Bei einem ehemaligen Arbeitgeber erfuhr ich per Zufall, dass ein jüngerer Kollege, der erst noch weniger lang in der Firma war, monatlich 800 Franken mehr verdiente als ich.  Für die gleiche Position. Als ich meinen Chef deswegen zur Rede stellte, meinte der, er müsse mir den Grund für den Unterschied nicht erklären. Es war unser letztes Gespräch.

Auf einem Markt in Mexiko-Stadt mussten ich und meine Begleiterin – wohlgemerkt beide im hochgeschlossenen, leicht miefigen Backpacker-Look unterwegs – uns entscheiden: Wollten wir mit den Händen unsere Wertsachen vor Diebstahl schützen oder unsere Brüste und den Po davor, ständig betatscht zu werden. Beides gleichzeitig – unmöglich.

Vergangenes Jahr lief ich kurz vor dem Muttertag am Schaufenster eines Zürcher Bioladens vorbei. Darin standen schön drapiert ökologisch abbaubare Putzmittel, ­darunter ein oranges Papierherz ‹Bald ist Muttertag›. Willkommen im 21. Jahrhundert.

Wie oft hörte ich in meiner Laufbahn als Journalistin: ‹Haben wir noch eine schöne Frau für die Titelseite?› Inhalt und Relevanz sind egal, gut aussehen reicht. Nach ­einem schönen Mann hat noch nie jemand gefragt.

Deshalb: Schimpft mich doch Emanze und Feministin. Ich bin es gerne. Laut Duden sind das Frauen, die sich für die Befreiung aus einem Zustand der Abhängigkeit, für Selbständigkeit und Gleichstellung einsetzen. Meine Biografie ist nur ein Beispiel unter vielen, das zeigt, wofür es auch im Jahr 2017 noch immer zu kämpfen gilt.

Das können Frauen und Männer nur gemeinsam tun.  Ich leiste ­meinen Beitrag, indem ich mich in konkreten Situationen wehre, auf Sexismus im vermeintlich Kleinen aufmerksam mache  oder mit von so viel Feminismus bisweilen verunsicherten Männern diskutiere.

Das ist denn auch das einzig Gute an Trump: Seit seiner Wahl spreche ich in meinem privaten und beruflichen Umfeld wieder mehr über Rollenbilder, über Verantwortlichkeiten, über Sexismus. Und Millionen von Frauen holten die Frauenbewegung auf Märschen aus dem Dornröschenschlaf.

Danke dafür, Donald. Aber wirklich nur dafür.»


Güzin Kar (46): Autorin und Filmregisseurin

Wieso ist Emanze ein Schimpfwort?

«Emanze ist kein Schimpfwort, denn Emanzen kann man gar nicht beleidigen, so schlimm sind sie. Fürchterliche Gestalten mit rauen Stimmen und rauer Haut, die Kosmetik und Sex mit Männern verweigern, weshalb ihnen Riesenpickel so gross wie Eier wachsen.  Da Emanzen unrasiert auf Männerfang gehen, aber natürlich keinen abkriegen, sind sie dauernd auf Sex-Entzug.  So entsteht ein Hormon­stau, der zu Damenbärten und ­abstrusen politischen Forderungen führt: gleiche Löhne für gleiche ­Arbeit. Keine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Mehr Geld für ­Opferschutz. Hinterfragung patriarchaler Strukturen und so Zeug halt. Emanzen haben keinen ­Humor und keine Brüste. ­Jedenfalls keine ordentlichen. Starrt ein Mann versehentlich einer ins Dekolleté, wird er umgehend kastriert und vor den Richter gekarrt.

Dabei können Emanzen froh sein, wenn sie überhaupt von jemand anderem als dem Hausarzt ­angesehen werden. Emanzen sind das Gegenteil von richtigen Frauen. Sie stinken. Emanzen sind pfui. Ich bin das beste Beispiel dafür.»

Andrea Jansen (36): Bloggerin auf www.anyworkingmom.com

Wann müssen Frauen nicht mehr erklären, wie sie Familie und Beruf vereinbaren wollen?

«Die Frage nach der Vereinbarkeit wird sich immer stellen. Was sich ändern kann: Wer sie beantworten muss. Der grosse Schritt, den wir im Kopf und in der Arbeitswelt machen müssen, ist die Gleichstellung von Betreuungsarbeit mit einer Erwerbstätigkeit. Das wird erst dann geschehen, wenn sie von einem Grossteil der Väter wahr- und somit auch ernst genommen wird.

Die Ausgangslage dafür ist ein schlechter Scherz.  Mit dem ­gesetzlichen Tag Vaterschafts­urlaub reicht es in vielen Fällen nicht einmal bis zu den Press­wehen,  geschweige denn für eine ­solide Einführung in den neuen ­Elternjob. Teilzeitstellen für Väter gibt es noch weniger als für Mütter, und eine Karriere können sich Mann wie Frau unter 80 Prozent ans Bein streichen. ­Realistisch gesehen werden ich und meine Mitmütter also die Frage ‹Und, wie machst du es mit den Kindern?› so lange beantworten müssen, bis jene ausgezogen sind.

Meine Hoffnung: dass das traditionelle Modell irgendwann vom Team-Modell abgelöst wird. Dann wird die Frage nach Vereinbarkeit zwar nicht verschwinden, aber nicht nur meinen Töchtern, sondern selbstverständlich auch meinem Sohn gestellt.»

Julia Onken (74): Autorin

Wie müssen sich Männer verändern, damit es Frauen leichter haben?

«Ina Deter, Pop-Rock-Lady der 1980er-Jahre, forderte damals in ihrem Song: ‹Neue Männer braucht das Land!› ­Einige Männer folgten diesem Ruf und haben sich erfreulicherweise vom alten Rollenbild verabschiedet. Aber es gibt noch viel Luft nach oben. Erstens wäre schon viel gewonnen, wenn sich Männer nicht nur bei der Zeugung eines Kindes engagiert beteiligen würden, sondern sich hinterher ­genauso lustvoll um den Nachwuchs kümmerten. Es kann zwar sein, dass sie bei der Geburt noch mithecheln, aber vor allem wenn es etwas mühsam wird, geht ihnen meist rasch die Puste aus. Zweitens ver­richten Frauen immer noch – selbst wenn sie berufstätig sind – den Hauptanteil an der Familien­arbeit.

Für viele Männer gehört der weibliche Dienstleistungsservice zur selbstverständlichen Wohlfühlzone. Und das rund um die Uhr, genau wie damals bei Mama. Es wäre höchste Zeit, auch in der operativen Bewältigung aller häuslichen Pflichten ­erwachsen zu werden, sich fifty-fifty zu beteiligen und mit anzupacken.»

Christa Rigozzi (33): Moderatorin

Was können Männer von Ihnen lernen?

«Eigentlich mag ich diesen ständigen Geschlechterkampf nicht, Mann und Frau haben beide wichtige Qualitäten. Trotzdem: Von mir könnten die Männer momentan Multi­tasking lernen  – nicht nur als Arbeitstier überall unterwegs, sondern neu als Mutter von Zwillingen. Ich muss ­alles gleichzeitig ­machen, es bleibt keine Zeit, um Aufgaben einzuteilen oder sie nacheinander zu erledigen. Gleichzeitig zuhören zu können, ist dabei sehr wichtig. Manchmal rede ich mit meinem Mann, während er ­etwas macht, und er antwortet sogar. Aber wenn ich dann nachfrage, weiss er nichts mehr, weil er eben doch nicht zugehört hat.

Passiert das nur mir? Oder machen das Männer extra? Und dann gibt es noch was ganz Wichtiges zu lernen:  Wir Frauen gehen zusammen aufs WC, damit es nicht langweilig wird in der langen Schlange. Ganz einfach!  Ich wünsche allen Frauen einen wunderschönen, respektvollen und gewaltfreien Frauentag!»


Gülsha Adilji (31): Autorin und Moderatorin

Wäre die Schweizer Armee eine bessere, wenn der Frauenanteil höher wäre?

«First of all: Grundsätzlich ­gehört niemand ins Militär. Das Militär ist in meinen Augen ein komplett absurdes Konzept.

Aber hier soll ich ja eine andere Frage beantworten, deshalb ­second of all:  Natürlich wäre die Schweizer Armee eine bessere, wenn der Frauenanteil höher wäre,  und hier sprechen keine feministischen Einhörner aus mir, sondern Studien, die zeigen, dass sich zum Beispiel in der norwegischen Armee das Klima unter den Rekrutierten verbessert hat aufgrund eines höheren Einhörn... –ähhh – Frauenanteils. Oder dass bei Demonstrationen in Deutschland der Konflikt wesentlich friedlicher ausging, wenn die Hälfte des ­Polizeikorps weiblich war.

Third of all: Einhörner würden sich eigentlich noch gut machen in Camouflage – wieso überlassen wir nicht ihnen die komplette Armee? Problem solved.»


Sarah Springman (60): Rektorin der ETH Zürich

In den Naturwissenschaften sind Frauen stark untervertreten. Was muss sich ändern?

«Vieles muss sich ändern, aber das geht nicht über Nacht. Denn Wertvorstellungen darüber, was sich für ein Mädchen gehört und was für einen Buben, ändern sich nur langsam. Wir sehen an der ETH, dass Frauen sich in jedem Umfeld bewegen und reüssieren können – wenn man sie motiviert und unterstützt. Ich denke da etwa an unseren Studiengang, der die Ingenieur- mit den Gesundheitswissenschaften verbindet und einen Frauenanteil von rund ­60 Prozent hat.

Ich glaube, dass Frauen manchmal einen etwas anderen Fokus haben.  Sie interessieren sich für grössere Zusammenhänge und wollen die Welt verändern, sie verbessern.  Können wir junge Frauen überzeugen, dass sich dies genau mit den Natur- und den Ingenieurwissenschaften erreichen lässt, dann werden sie diese Gebiete noch mehr für sich entdecken und erobern. Ergreifen sie diese Chancen, gewinnt die Gesellschaft als Ganzes – und damit auch die Männer.»


Karin Bertschi (26): Recycling-Unternehmerin und SVP-Grossrätin im Kanton Aargau

In welchen Punkten sind Sie anderen Frauen ein Vorbild?

«Ich habe mich vom Wunschgedanken ­gelöst, für andere ein ­Vorbild sein zu ­wollen. Fragen mich junge Frauen, wie auch sie es schaffen könnten, ein Unternehmen aufzubauen, das so beliebt und ­erfolgreich ist wie das Recycling-Paradies, muss ich oft schmunzeln.

Jeder Mensch hat doch ganz verschiedene ­Gaben, Talente, Leidenschaften. Ich habe ­gelernt, dass es sich lohnt, den Fokus auf meine Stärken zu legen, statt viel Energie in Dinge zu ­stecken, die mir nicht liegen. Mir ist es auf der Müllhalde pudelwohl – heute würde ich mir nichts ­anderes wünschen. Meine Mitarbeiterinnen und ­Mitarbeiter fördere ich vor allem dort, wo sie b­ereits gut sind, aber noch mehr Potenzial ­haben. Deshalb halte ich wenig von Frauenquoten. Entscheidend ist die ­Leistung, das Talent. Gleichberechtigung ist für mich dann ­erfüllt, wenn der Fokus auf die ­geforderte Eigenschaft gerichtet ist – unabhängig von Status, Geschlecht und anderen Einflüssen.»

Micheline Calmy-Rey (71): Alt Bundesrätin

Sind Frauen zu bescheiden?

«Ich weiss, dass Bescheidenheit in der Schweiz sehr geschätzt wird. Bei meinem Versuch, das Image meines Landes zu verändern und zu modernisieren, mein Land international sichtbarer und einflussreicher zu machen, tat ich aber genau das Gegenteil. Ich war weder bei meinen ehrgeizigen Zielen noch bei meinen Auftritten bescheiden. Dafür erntete ich oft Unverständnis.

Mein Look – was hat man nicht über meinen Look gelästert! ‹Diese Mèches, mein Gott, wie schrecklich!› Die Absätze, die Hosen, die grossen Handtaschen und so ­weiter. Selbst an den Haaren ­gezupft hat man mich auf der Strasse. ‹Nein, es ist keine Perücke!›

Man hat bei mir oft den Stil anstelle des Inhalts beurteilt.  Ich erinnere mich an eine Pressekonferenz, an der ein Bundesratskollege und ich eine Abstimmungsvorlage zur Europapolitik der Schweiz vorstellten. Wie perplex war ich, als ich am nächsten Morgen eine beliebte Deutschschweizer Zeitung aufschlug und feststellen musste, dass meine neue Brille einen guten Teil des Berichts ausmachte – und für die politischen ­Argumente ausschliesslich der ­Kollege zuständig war.

Als ich mein Amt Anfang 2003 antrat, wurde die Schweiz als ­konservatives Land wahrgenommen, das das Frauenstimmrecht erst sehr spät eingeführt hatte. Und als traditionelles Land, das für ­seine Schokolade, seine Uhren und seine Banken bekannt war. Kurz: als Land ohne Probleme, für das sich die grossen Akteure des internationalen Parketts kaum interessierten.



Ich habe daher versucht, etwas Neues über die Schweiz zu sagen, eine moderne Schweiz, die in ­Bezug auf Wettbewerbsfähigkeit und Innovation international führend ist. Eine Schweiz, die weder ein Freihandelsabkommen mit ­China scheut noch eine unabhängige und ehrgeizige Europapolitik fürchtet. Eine stylische und erfinderische Schweiz, eine Schweiz aber auch, die Hüterin der Menschenrechte ist und bei bewaffneten Konflikten für den Schutz der Zivilbevölkerung eintritt.

Vor kurzem gab ich einer zweifellos seriösen Schweizer Zeitung ein Interview. Nach diesem Gespräch wurde in einem Porträt meine ­nahezu zehnjährige Tätigkeit an der Spitze des Bundesdepartements für auswärtige Angelegenheiten zusammengefasst. Die einzigen Punkte, die erwähnt wurden, waren die Genfer Initiative, die Überschreitung der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea und die 1.-August-Feier 2007 auf dem Rütli. Keine Europapolitik, eine Priorität der Schweizer Aussenpolitik, für die ich vier Abstimmungskampagnen geführt habe.

Auch nichts über die privilegierte Partnerschaft mit den USA, ­China und Russland, nichts über die Gründung des UN-Menschenrechtsrats und seine Niederlassung in Genf. Nichts über die aktive ­Neutralität und die Friedenspolitik, die Vermittlung zwischen Armenien und der Türkei, das iranische ­Nuklearprogramm. Nichts über den erleichterten Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation oder über die Unabhängigkeit des Kosovo.

Ich hielt mich in all den Jahren an den Grundsatz, möglichst offen und transparent zu informieren, und habe mich immer bemüht, als authentische Politikerin wahrgenommen zu werden.  Dafür habe ich viel auf mich genommen. Meine Familie und mein Mann haben gelitten. Ich auch.

Es hat sich aber trotz allem gelohnt. Daher meine Botschaft: Liebe Frauen, seid bloss nicht zu bescheiden!»

Kazu Huggler (47): Modedesignerin

Woran liegt es, dass Frauen oft auf ihr Aussehen reduziert werden?

«Was heisst reduziert? Das klingt, als ob das eigene Aus­sehen nicht zu uns gehören würde, ja gar unser Gegner wäre! Dabei ist es so, dass wir Geschichten in uns tragen, die irgendwann in unserem Aussehen sichtbar werden. Wie wir gelebt haben, lässt sich nicht im ­Innern verbergen, sondern zeigt sich früher oder später in unserem Äusseren.

Abraham Lincoln sagte einst: ‹Jeder Mann ab vierzig muss für sein Gesicht die Verantwortung ­tragen.› Ich mache hier absichtlich keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, denn das gilt für jeden ­Menschen. Es reicht nicht, wenn mit ­zunehmendem Alter an der Oberfläche gespritzt und gezogen wird.  Wenn ich mein Aussehen pflege, geht es mir hauptsächlich um Respekt gegenüber mir und meiner Umwelt.  Und natürlich um die Freude, meine Persönlichkeit auf meiner Ober­fläche zu erweitern, meine Geschichten zu erzählen und so mit der Umwelt zu kommunizieren. Dieses Vertrauen und die Freude daran wünsche ich jeder Frau.»

Patrizia Laeri (39): Wirtschaftsmoderatorin SRF

Wieso gibt es im Jahr 2017 noch Magazin-Titel­seiten, die vor Ihnen als kluger Frau warnen?

«Vielleicht weil es ehrlich ist? Weil die Mehrheit der ­Menschen immer noch so denkt. Und die Mehrheit der grössten Volkswirtschaft der Welt deshalb soeben statt einer intelligenten Frau einen männlichen – na ja, Sie wissen schon, was ich meine – ­gewählt hat.

Studien rechnen vor, dass es noch 170 Jahre dauern wird, bis wir die Gleichberechtigung erreichen. Und Klugheit bei Frauen gleich anerkannt und vergütet wird wie bei Männern.»


Corine Mauch (56): Stadtpräsidentin von Zürich

Inwiefern ­machen Frauen anders Politik als Männer?

«Frauen machen nicht einfach anders Politik als Männer. Aber die Politik wird anders, wenn Frauen und Männer sie zusammen machen – nämlich besser.

Gemischte Teams finden in der Politik und in der Wirtschaft bessere Lösungen und ­erreichen nachweislich bessere Resultate. Es braucht mehr Frauen in der Politik, auf allen Ebenen: in den Gemeinden, in den Kantonen, beim Bund, in den Parlamenten, in den Exekutiven. Deshalb mein Appell an alle Frauen: Engagiert euch, traut euch etwas zu! Es lohnt sich für alle.»


Doris Gisler Truog (89): Werberin

Sie warben Anfang der 1970er-Jahre mit dem ­Slogan «Den Frauen zuliebe ein männliches Ja» für das Frauenstimmrecht.

Wieso diese unterwürfige Formulierung?

«Der Slogan war nicht unterwürfig, sondern eine freundliche Aufforderung an die Männer, auf ihr etabliertes Vorrecht zu verzichten. Ich hatte in meinem Freundeskreis einige ­Gegner des Frauenstimmrechts – durchaus sympathische Männer, die aber diesen kleinen Schönheitsfehler hatten: Sie waren dagegen.  Sie argumentierten häufig, dass Frauen doch viel zu gut und zu zart seien für die schmutzige Politik. Oder sie stiessen sich daran, dass die Frauenrechtlerinnen, die sie kannten, weiblichen Charme ­vermissen liessen. Was lag näher, als ihnen zu zeigen, wie charmant wir selbst im Abstimmungskampf sein konnten?»


Ljuba Manz (77): Hotel­unternehmerin

Wieso braucht es den Tag der Frau?

«Der Kerngedanke ­dieses Tages ist die Anerkennung der Frau in der Gesellschaft. Und zwar als selbständige Person, ohne Bevormundung durch den Mann. Diese Freiheit und Akzeptanz wurde hart erkämpft, wir dürfen sie in unserer westlichen Welt nicht ­verlieren.

Deshalb sollten wir an diesem Tag hochhalten, wofür unsere ­Vorgängerinnen kämpfen mussten  – etwa das Wahlrecht, das uns heute selbstverständlich scheint. Wir feiern im Hotel St. Gotthard diesen Tag ­bereits seit Jahren mit einem ­schönen Event. Ladies only!»


Sabine Keller-Busse (51): Mitglied der UBS-Konzernleitung und Personalchefin

Weshalb braucht es (k)eine Frauen­quote?

«Ich bin klar der Meinung, dass für Unternehmen eine ausgewogene Zusammensetzung von Teams auf allen Ebenen enorm wichtig ist. Nur so können hervorragende Ergebnisse erreicht werden. Hinzu kommt, dass viele Frauen sehr gut ausgebildet sind, und dieses Potenzial sollte nicht brachliegen. Bei der UBS ­wollen wir einen Drittel Frauen in führenden Positionen.



Eine staatlich verordnete Frauenquote ist aus meiner Sicht aber nicht die richtige Lösung, denn damit wird weder die Vielfalt in Unternehmen anhaltend gefördert noch den Frauen­anliegen ein Dienst erwiesen. ­Vielmehr sollten Unternehmen sich selbst Ziele setzen und diese konsequent verfolgen.  Damit wir im obersten Kader den Frauenanteil erhöhen können, muss es gelingen, auf ­allen Stufen mehr Frauen anzustellen, zu fördern und ihnen Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten.  Wenn ich zum Beispiel mit Frauen aus unserem Wiedereinstiegsprogramm rede, weiss ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind.»


Silvia Binggeli (43): Chefredaktorin «Annabelle»

Unterstützen sich Frauen gegenseitig genügend?

«Alle fragen ständig, ob Frauen sich genügend unterstützen. Ja, das tun sie! Sie tauschen sich aus, gehen gemeinsam auf die Strasse, passen auf die Kinder der Freundin auf, gründen zusammen Start-ups.

Klar, sie legen sich auch Steine in den Weg, entlassen einander oder geben sich bei Wahlen nicht ihre Stimme. Aber pardon, das tun Männer auch! Männer treffen sich an Konferenzen zum Netzwerken, gehen über Mittag zusammen ­joggen. Und schnappen sich später trotzdem den Job weg. Sie dürfen ‹Brüder› und Konkurrenten sein.

Frauen müssen sich ständig ­erklären und eine Hexenjagd ver­anstalten auf alle ‹Schwestern›, die nicht ständig zweihundert Prozent das eigene Geschlecht unterstützen. Als ob sich Frau-Sein allein über diese Solidarität definiert! Das ist unrealistisch.  Und genauso ungesund, wie wenn Männer nur männlich denken, fördern und wählen.

Die Frage lautet längst: Wann unterstützen die Männer die Frauen endlich genügend? Damit wir den genderpolitischen ­Nebenkriegsschauplatz verlassen, gemeinsam dringend ­nötige gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Lösungen finden und diese feiern können. Cheers!»


Rosmarie Michel (85): Unternehmerin

Verspielen junge Frauen heute das feministische Erbe?

«Ist das eine berechtigte Frage im Jahr 2017? Aus meiner Sicht: Nein! Es herrscht freie Wahl für Frau und Mann in Beruf und Gesellschaft. Die Möglichkeiten sind vielfältig, und die Einschränkungen können, dank der Unterstützung von Politik und Wirtschaft, meistens  überwunden werden. Spielen gehört in die Freizeit, das realisieren auch junge Frauen. Rechte in ­Anspruch nehmen ist das eine, Pflichten gegenüber der Gesellschaft erfüllen das andere. Frauen sind 51 Prozent der Gesellschaft und damit auch voll verantwortlich dafür, Lösungen für die gewichtigen Probleme der Zukunft zu finden.

Ohne die Verdienste der Pionierinnen schmälern zu wollen: Das feministische Zeitalter, wie wir es aus den 1970er-Jahren kennen, ist abgeschlossen. Auf seiner Basis entsteht jetzt eine echte Partnerschaft mit Männern auf Augenhöhe. Ich bin mir bewusst, dass dies noch nicht für alle Frauen zutrifft. Aber könnten wir für einmal vom halb vollen Glas sprechen statt stets vom halb leeren?»