Ernesto Che Guevara

Er ist die Ikone der Linken und prangt weltweit auf T-Shirts und Kaffeetassen. Che schickte aber auch politische ­Gegner skrupellos in den Tod und brachte die Welt durch die Kubakrise an den Rand eines nuklearen Kriegs.

Von René Lüchinger

Als er tot war, habe er ausge­sehen wie Jesus Christus, behaupteten die Nonnen, die den Aufgebahrten noch gesehen hatten. Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre nannte ihn den «vollständigsten Menschen seiner Zeit». Derselbe Mensch hielt einem Kampfgenossen kurzerhand die Pistole an die Schläfe und drückte ab, weil er diesen für einen Ver­räter hielt. Er war Oberaufseher «revolutionärer Tribunale», die Regimegegner reihenweise in den Tod schickten, und ein Stalin-Bewunderer, der in jungen Jahren Briefe mit «Stalin II» unterzeichnet hatte. Und der Mann, der im Tod angeblich ausgesehen hatte wie Jesus, war treibender Akteur in der Kuba­krise, welche die Welt vor exakt 55 Jahren an den Rand des dritten Weltkriegs brachte – der glücklicherweise, aber zu seinem Bedauern, nicht eintrat.

Am 9. Oktober 1967, vor einem halben Jahrhundert also, ist der Revoluzzer Ernesto Che Guevara umgekommen: ein «Held, Henker und Herzensbrecher», urteilte der «Stern». Im heldenhaften Guerillakampf im bolivianischen Urwald, so wollte es die Revoluzzer-Romantik. In Tat und Wahrheit war es das erbärmliche Ende einer verwahrlosten, vom Durchfall geplagten Gestalt, erschossen von einem besoffenen Feldweibel der bolivianischen Armee. Drei Leben hat dieser Mann gelebt. Das erste im Licht der kubanischen Revolution als «Comandante Che». Das zweite im Schatten des Dschungels in Bolivien. Das dritte als unsterbliche Lichtgestalt geschäftstüchtiger Kapitalisten und romantischer Kommunisten.


Bilder wie dieses machten Ernesto Che Guevara zu einer Ikone für die Nachwelt.


Im Licht

«Hasta la victoria siempre!» In einer mexikanischen Herberge lernte der Argentinier Che Guevara, ausgebildeter Arzt aus bürgerlichen Verhältnissen, einen Exilkubaner namens Raúl Castro kennen, der zusammen mit seinem Bruder Fidel Pläne für einen Guerilla-Kampf in ihrer Heimat wälzte. Ihr Ziel: den verhassten kubanischen Diktator Fulgencio Batista zu stürzen. Bei einem Abendessen forderte Castro den Argentinier auf, sich ihm anzuschliessen. Che Guevara hatte seine Bestimmung für die verbleibenden elf Jahre seines Lebens gefunden: den Guerillakrieg.

Der «Máximo Líder» Fidel Castro kaufte die Motoryacht «Granma», packte rund 80 Rebellen auf sein Schiff und stach ins Meer Richtung Kuba – mit dabei Che Guevara. Im Dezember 1956 erreichten sie die Karibikinsel. Die ersten Gefechte verliefen ernüchternd: Zahlreiche Rebellen fielen, andere wurden festgenommen. Der Funke der Rebellion jedoch sprang über: Bauern verpflegten die Guerilleros, schlossen sich ihnen an, und auch aus den Städten meldeten sich immer neue Kämpfer.


Revolutionäres Triumvirat: Zumindest während der ­Revolution war Che der engste Weggefährte von ­Fidel Castro (links). Rechts: Osvaldo Dorticos, Präsident der Republik Kuba.


Im Januar 1959 gab Diktator ­Batista klein bei und floh in die USA. Fidel Castro war nicht entgangen, dass sich Che Guevara als beinharter und loyaler Anführer hervorgetan hatte, und ernannte ihn zum Comandante, zum Major, dem höchsten militärischen Rang der Revolutionsarmee. Und als solcher inszenierte sich dieser auch: Sein Barett mit dem Stern des Majors legte der Revoluzzer nur noch ­selten ab, ebenso wie seine grüne Felduniform. Für einige Zeit schien es, als würde dieses Leben in der neuen sozialistischen Gesellschaft auf Kuba in geordnete Bahnen übergehen. Che heiratete zum zweiten Mal, zeugte vier Kinder, wurde zum engsten Weggefährten des Fidel Castro und Präsident der Nationalbank, später Industrieminister.

Doch zum Repräsentanten einer etablierten Regierung taugte dieser Mann nicht. Als spürte er Unruhe in sich, jettete Che Guevara in diplomatischer Mission um die Welt und zettelte im Jahr 1962 seine wohl gefährlichste Aktion an: Im Kreml, bei den russischen Genossen, von denen das neue Kuba wirtschaftlich existenziell abhängig war, handelte Che Guevara einen Vertrag zur Stationierung von Atomraketen auf der Zuckerinsel aus. Dadurch katapultierte er die Welt an den Rand eines nuklearen Weltkriegs. Als der Russe Nikita Chruschtschow und der Amerikaner John F. Kennedy Ende Oktober 1962 in ­einem Geistesblitz der Vernunft die totale Eskalation verhinderten, ätzte der Che: Hätten die Kubaner das Sagen gehabt, die Raketen wären gezündet worden. In seiner verqueren politischen Logik hätte ein dritter Weltkrieg dem Kommunismus zum Durchbruch verholfen.


Im Schatten – Revolution im Urwald

Einer ähnlich verqueren Logik folgte sein nächster und letzter revolutionärer Plan. 1965 verliess Che Guevara Frau und Kinder, um im bolivianischen Hinterland durch einen Guerillakrieg die Revolution zu entfachen. Sein Kalkül: Der Andenstaat war mausearm, die Armee schwach, die Arbeiter in den Minen des Bergbaus politisiert. Vor allem aber liegt das Land als revolutionärer Hotspot ideal, grenzt an fünf Staaten. Peru, Brasilien, Paraguay, Argentinien und Chile. Che Guevara mochte sich gedacht haben, brennt in La Paz das revolutionäre Feuer, brennt bald ganz Lateinamerika.

Das entpuppte sich als Hirngespinst. Die Bolivianer verspürten keine Lust, sich von fremden Eindringlingen zur Revolution gegen Armee und Regierung anstacheln zu lassen. Und so irrte Che bald einmal mit ein paar versprengten Getreuen plan- und ziellos durch den Urwald. Es war bizarr. Der Comandante nannte seine erbärmliche Truppe «Ejército de Liberación ­Nacional», «Nationale Befreiungs­armee». Nur seinem Tagebuch vertraute er die triste Wahrheit an: «Von einer Mobilisierung der Bauern kann keine Rede sein.» Ein Bauer war es auch, der die Position der zerlumpten Revolutionäre der bolivianischen Armee verriet. Als sich Che Guevara ergab, sah er zum Heulen aus. Die Kleider hingen ihm in Fetzen vom Leib, die Füsse waren in Lederbandagen umwickelt, das Haar verfilzt. Das Ende dieses Revoluzzerlebens besorgte am 9. Oktober 1967 um 13.10 Uhr ein Feldweibel der Armee auf Geheiss der bolivianischen Regierung.


Der Lack war ab: Als ­Ernesto Che Guevara von bolivianischen Soldaten gefangen genommen wurde, sah er nach ­wochenlangem Herum­irren in den Bergen aus wie ein Clochard.


Unsterbliche Lichtgestalt

Am Nachmittag des Todes­tages wurde Che Guevara in einem Waschsalon hinter dem Hospital Nuestro Señor de Malta in Vallegrande im bolivianischen Hochland der Öffentlichkeit präsentiert – und von dem, was sie zu sehen bekam, waren nicht nur die Nonnen vor Ort entzückt. Die er­loschenen Augen des Toten waren offen und wirkten seltsam lebendig. Die Gesichtszüge entspannt, der Bart gestutzt, das Kinn hochgebunden.

Der bolivianische Fotograf Freddy Alborta hat den toten Che auf Zelluloid gebannt und bekam dafür 75 Dollar. Das Bild schaffte es auf praktisch alle Zeitungs-Fronten dieser Welt, und es begründete den Mythos des Che als unsterbliche Lichtgestalt.