Machen Sie Kindern keine Angst

Bestsellerautor Remo Largo (73) ist der renommierteste Kinderarzt der Schweiz. Trump macht ihm deutlich weniger Sorgen als die fehlenden Vorbilder in Familie und Schule.

Herr Largo, wie bringe ich meinem Kind bei, dass es nicht lügen darf, wenn der mächtigste Mann der Welt, US-Präsident Donald Trump, nachweislich Unwahrheiten verbreitet?

Remo Largo: Für Kinder im vorpubertären Alter ist Trump bedeutungslos, da sie ihn nicht in ihr Leben einordnen können. Er ist höchstens eine komische Figur für sie, aber damit hat es sich.

Das glaube ich Ihnen nicht.

Doch, weil sie keinerlei Beziehung zu Trump haben. Menschen müssen Kindern vertraut sein, damit sie sich an ihnen orientieren können. Trump hat höchstens einen gewissen Unterhaltungswert – wie wahrscheinlich auch für viele Erwachsene.



Wenn nicht er: Wer hat Einfluss auf das Verhalten von Kindern und Jugendlichen?

Eltern, Lehrer, Fussballtrainer und andere Kinder. Menschen also, die ihnen vertraut sind. Kinder werden durch deren Vorbild sozialisiert. Eltern meinen ja oft, sie müssten ihren Kindern nur sagen, was richtig und falsch sei, dann würden sie sich schon danach ausrichten. Tun sie aber nicht.

Was sollten sie stattdessen tun?

Viele Eltern haben zum Beispiel Mühe, dass ihr Kind sich nicht bedankt. Das können sie problemlos beheben, indem sie immer Danke sagen, wenn sie vom Kind etwas bekommen. Der Mechanismus ist uralt und einfach, viel älter als unsere Sprache. Wenn Eltern also wollen, dass ihre Kinder zum Beispiel behinderten Menschen mit Empathie begegnen, hängt das ausschliesslich davon ab, wie sie oder andere Bezugspersonen mit behinderten Menschen umgehen.


Trump äffte einen Menschen mit einer Beeinträchtigung nach. Ist das für Kinder und Jugendliche kein Freipass, es ihm gleichzutun?

Nein. Die Verantwortung liegt bei uns Erwachsenen, wir sind die Vorbilder. Trump muss nicht als Sündenbock herhalten, wenn sich Kinder ungezogen verhalten.

Können sich Eltern also entspannen, die wegen Trump einen Werteverfall fürchten?

Ja. Sie sollen sich aber Gedanken darüber machen, was sie selber für Vorbilder sind. Wie gehen sie mit der Katze um, mit dem Nachbar, der manchmal betrunken ist, mit dem Schwarzen im Supermarkt? Das verinnerlichen die Kinder.

Gerade in der Pubertät lassen sich viele Jugendliche aber nichts mehr von ihren Eltern sagen.

Das stimmt. Sie können die überzeugendsten Ideen vorbringen, der Sohn oder die Tochter wird es ihnen nicht mehr abnehmen. Dieser Widerstand gehört zur Ablösung. Jugendliche orientieren sich dann viel eher an einem Sporttrainer oder einem Lehrer. Und da haben wir oft ein Problem.

Wieso?

Lehrer können nur ein positives Vorbild sein, wenn sie eine vertraute Beziehung zum Schüler eingehen. Das ist leider sehr oft nicht der Fall, weil sie überlastet sind. Es ist kaum möglich, eine Beziehung alleine während des Unterrichts aufzubauen. Ich kenne Kinder, die regelmässig früher in die Schule gehen, um diese Zeit mit der Lehrperson zu verbringen. Sie fühlen sich ernstgenommen und spüren das Interesse des Lehrers an ihrer Person. So entsteht eine tragfähige Beziehung.

Julia Gees (17), 2. Lehrjahr Fachfrau Betreuung

«Es nervt mich, dass viele Schulkollegen nicht so interessiert sind»

«Bei uns zu Hause läuft ­immer das Radio. Das erste einschneidende Ereignis für mich war der Anschlag auf 'Charlie ­Hebdo'. Wir haben in der Schule viel darüber diskutiert – und ich habe freiwillig einen Aufsatz geschrieben, was Satire darf. Ich finde, es braucht sie unbedingt als Spiegel der Gesellschaft. Ich beteilige mich gerne an Diskussionen. Will ich etwas genau wissen, frage ich meine Eltern. Zum Beispiel zu Abstimmungen – oder warum es diesen Rechtsrutsch in der Schweiz gibt. Würde ich in Amerika leben, hätte ich sicher am Women’s March in Washington teilgenommen. In der Schweiz würde ich gegen Rassismus oder für die Gleichstellung von Frau und Mann auf die Strasse gehen.

Es nervt mich, dass viele Schulkollegen an der Welt nicht so interessiert sind. Dabei kommen wir derart einfach an Informationen, viel schneller als noch unsere Eltern. Aber ich weiss auch, dass ich aufpassen muss. Google ich etwas, schaue ich nicht nur den ersten Treffer an, sondern versuche, mir aus verschiedenen Seiten ein Bild zu machen. Ich hoffe, dass die Schweiz in zehn Jahren immer noch sieben Bundesräte hat. Es ist schwach­sinnig, wenn eine einzelne Person ein ganzes Land vertritt.»


Patrick Stalder (17), 2. Lehrjahr KV

«Vielleicht ­sollte mich die Weltpolitik mehr kümmern»

«Wir leben in der besten Zeit, in der Menschen leben ­können. Es gibt für fast ­alles eine Lösung. Doch auch wenn das Leben einfacher ist, es ist nicht unbedingt ­besser. Es führt dazu, dass wir ständig über Erste-­Welt-Probleme sprechen – etwa darüber, wie viele Kalorien etwas hat. Früher war man froh, überhaupt ­etwas Essbares zu haben.

Ich ­informiere mich mit Gratiszeitungen, auf Instagram oder Youtube. Dort ­erfahre ich, dass etwas ­passiert ist, aber nicht ­warum. Meistens sehe ich Memes an, Bilder mit kurzen, oft lustigen Sätzen. Steht da zum Beispiel 'Pray for Paris', schaue ich in ­anderen Medien, was passiert ist. Vielleicht sollte mich die Weltpolitik mehr kümmern, aber sie hat einfach keinen direkten Einfluss auf mein Leben. Mehr Sorgen macht mir die Lehrabschlussprüfung und dass mein Leben unspektakulär werden könnte. Ich will mindestens eine Töfftour durch Amerika machen und vielleicht im Ausland arbeiten.»


Marina Stauffer (14), 2. Sekundarklasse

«Von Brexit und ­Grexit habe ich nichts verstanden. Das ist einfach zu weit weg»

«Der Klimawandel macht mir am meisten Sorgen. Wir fahren während des Jahres ein paar Mal nach Spanien zu meiner Grossmutter, und die Lagune dort war früher türkis und schön. Jetzt ist sie grün und trüb. Ich darf nicht sagen, dass ich als Einzelperson machtlos bin, etwas dagegen zu tun. Würde das jeder sagen, käme es überhaupt nicht gut heraus.

Ich schaue im Internet viele Dokumentationen über die Abholzung des Urwalds oder über die Ausrottung von Tieren. Das sind Themen, die mich wirklich interessieren – und zu denen ich selber viel nachlese im Internet. Wir haben in der Schule auch schon über Brexit und Grexit, und wie das alles heisst, gesprochen. Aber da hab ich nichts verstanden, das ist einfach zu weit weg. ­Mir ist aber klar, dass wir es in der Schweiz sehr gut haben und es in anderen Ländern Krieg gibt. Politikerin zu sein, wäre mir eine zu grosse Verantwortung. Ich will lieber meine eigene, kleine Welt.»


Nehmen sich Eltern genug Zeit für die Beziehung zu ihren Kindern?

Kommen Kinder in die Pubertät, ist der Zug abgefahren. Die Jugendlichen orientieren sich weitgehend an Gleichaltrigen. Sie suchen soziale Anerkennung und Zuwendung, die sie bisher von den Eltern erhalten haben, bei ihren Altersgenossen. Weil das aber oftmals keine stabilen Beziehungen sind, laufen immer mehr Jugendliche Gefahr, sozial zu vereinsamen. Gehen wir jetzt vom Thema weg?

Ein wenig. Aber es interessiert mich.

Der Mensch ist nicht für eine Massengesellschaft gemacht. Er braucht die Gemeinschaft vertrauter Menschen, um sich wohlzufühlen. Während 2000 Jahren hat er nur in solchen Lebensgemeinschaften gelebt. Die anonyme Gesellschaft hat sich erst in den vergangenen 150 Jahren entwickelt.

«Der Mensch braucht die Gemeinschaft vertrauter Menschen»

Was macht diese Massengesellschaft mit einem Menschen?

Viele sind existenziell verunsichert und versuchen verzweifelt, Anerkennung zu bekommen. Gefährlich wird es, wenn sich junge Menschen einer extremen Bewegung anschliessen, um eine gesicherte gesellschaftliche Stellung zu erlangen. So haben sich Arbeitslose in den 1930er-Jahren dem Nationalsozialismus angeschlossen. In eine Uniform gesteckt und mit einer Funktion versehen, wurden sie von der Gesellschaft endlich wahrgenommen. Bei Jugendlichen, die für die Terrormiliz IS in den Dschihad ziehen wollen, vermute ich ähnliche Motive.

Was tun, wenn das Kind plötzlich mit der rechtsextremen Szene oder mit fundamentalistischen Islamisten liebäugelt?

Man meint oft, der Jugendliche sei verführt worden. Dass es überhaupt so weit kommt, liegt vor allem daran, dass er mit der eigenen Lebenssituation nicht klarkommt. Dann wird eine solche Radikalisierung zu einer Möglichkeit, dem eigenen Leben eine Bedeutung, ja selbst Sinn zu geben. Wenn die Gesellschaft Prävention betreiben will, muss sie dafür sorgen, dass Jugendliche gar nicht erst in eine solche Lebenssituation abrutschen.

Wie soll das gehen?

Wir alle sind als Eltern, Lehrer, Lehrmeister, Sporttrainer gefordert – indem wir den Jugendlichen helfen, sich beruflich und sozial zu integrieren.

Soll man Jugendlichen aufzeigen, welche Gefahren die grosse Welt birgt?

Bei Jugendlichen dreht sich alles, wirklich alles, um ihre eigene Existenz, ihre soziale Stellung. Darum, dass sie sich geborgen fühlen und Anerkennung bekommen. In der Pubertät entsteht aber auch etwas Wunderbares: Jugendliche entwickeln eine eigene Moral. Sie wünschen sich eine bessere Welt. Schlimm ist, dass sie die Gesellschaft nicht ernst nimmt und ihnen keine Verantwortung übergeben will. Sie will lediglich, dass sich die Jugendlichen um eine gute Ausbildung bemühen und Leistungen erbringen.

Xaver Hammer (16), 1. Lehrjahr Elektriker

«Erst wenn ich politisch Einfluss nehmen kann, wird es interessant»

«Meine Mutter hat mehr Angst, seit es immer wieder Anschläge gibt. Sie ruft mich öfters an. Auch als in Deutschland diese sechs Jugendlichen wegen einer Gasvergiftung starben – ich war mit Pfadi-Kollegen unterwegs. Mich interessiert die Politik nicht, solange ich nicht mitbestimmen kann. Erst wenn ich selber Einfluss nehmen kann, wird es interessant. Entsprechend freue ich mich darauf, mit 18 abstimmen und wählen zu dürfen. Ich bin Eishockeyfan und hätte gerne für das neue ZSC-Stadion gestimmt. Zum Glück ist es auch so durchgekommen.

Meine grössten Sorgen? Ich hoffe sehr, dass ich in drei ­Jahren die Lehrabschlussprüfung bestehe. Im Moment läuft es schulisch noch nicht so gut. Einmal kam mein Cousin aus Venezuela zu Besuch und weinte in der Migros, weil es alles gab. Da merkte ich, was für ein Glück es ist, in der Schweiz zu leben. Wieso ist es nicht überall so?»


Sofie David (15), 3. Sekundarklasse

«Allgemeinwissen ist wichtig, damit die Öffentlichkeit Macht hat»

«Also, ich hätte lieber in den ­Hippiezeiten ­gelebt. Menschen wie Marine Le Pen oder Donald Trump machen mir schon Angst, alles wird so konservativ. Aber ehrlich gesagt, macht mir aktuell die Aufnahmeprüfung für die Fachmittelschule etwas mehr ­Sorgen. Am meisten lerne ich über die Welt zu Hause, weil wir in der Familie sehr viel über Politik diskutieren. Und ich ­gucke mir gerne die Videos des You­tubers LeFloid an, der News gescheit ­erklärt.

Vielen mangelt es an guter ­Allgemeinbildung. Aber ich glaube, ­Wissen ist wichtig, damit die Öffentlichkeit Macht hat. Jetzt kommt mir die ­Öffentlichkeit manchmal vor wie ein Vierjähriger, der meint, er wisse und könne schon alles, aber ­eigentlich nicht wirklich eine Ahnung hat. Politikerin möchte ich später nicht werden, weil ich mich nicht entscheiden könnte, was für alle gut ist. Aber ich will als Journalistin arbeiten – und so anderen das wichtige Wissen vermitteln. Als Kind bin ich mit meinen Eltern an Anti-Atom-Demos gegangen oder an die 1.-Mai-­Demo. Vor zwei Monaten nahm ich ­erstmals alleine an einer Demo für das Bleiberecht von Flüchtlingen teil. Der Zusammenhalt, dass alle für die gleichen Werte kämpfen, hat mir gefallen.»


Rashid Hassan (15), 3. Sekundarklasse

«Ich fühle mich hier sicher»

«Als Trump gewählt wurde, sass ich gerade in der Schule. Das war das wichtigste politische Ereignis meines bisherigen Lebens. Aber Sorgen mache ich mir deswegen keine. Schliesslich lebe ich in einem Land, in dem ich mich sicher fühle und eine gute Ausbildung machen kann.

Im Moment habe ich nur Angst, dass ich die Berufs-Mittelschul-Prüfung nicht schaffe. Wäre ich selber einen Tag lang US-Präsident, würde ich den Mindestlohn erhöhen und den Einreisestopp aufheben. Ich komme selber aus dem Sudan und bin davon ­betroffen. Später möchte ich als Primarlehrer arbeiten. Ich würde mit meinen Schülerinnen und Schülern auch über Weltpolitik reden – aber nur, wenn es sie ­interessiert. Das wäre mein ­Engagement für eine informierte Gesellschaft.»


Sind Sie für das Stimm- und Wahlrecht ab 16 Jahren?

Ja sicher! Wenn man aus der Staatskunde die sieben Bundesräte kennt, ist man noch lange nicht kompetent. Kompetenz erlangen die Jugendlichen nur über konkrete Erfahrungen, etwa über das Wählen oder Abstimmen. Leider sind die blassen Politiker in der Schweiz überhaupt keine Vorbilder. Sie sind für viele Jugendliche ein Klub, der Interessen vertritt, ohne Grundhaltung und ein überzeugendes Menschenbild.

Fehlen ihnen politische Identifikationsfiguren?

Extrem. Deshalb ihr Desinteresse. Viele denken, dass die Politiker sowieso machen, was sie wollen, und gehen deshalb später nicht an die Urne.

Wie könnte man Beziehungen schaffen? Parlamentarier in die Schule einladen?

Das finde ich eine gute Idee. Aber dann sollten Schüler mit den Politikern nicht über die Masseneinwanderungs-Initiative reden, sondern über Themen, die sie direkt betreffen. Was denkt der Politiker über die Familie? Wie viele Stunden pro Woche verbringt er mit seinen Kindern und wie? Jugendliche lassen sich immer weniger vormachen. Sie sind durch die Medien oftmals besser informiert als die Politiker.

Sie sind 1943 zur Welt gekommen. Erinnern Sie sich an die Zeit nach dem Krieg?

Die Aufbruchstimmung war enorm. Es herrschte grosse Zuversicht, jedes Jahr war etwas besser als das vorangegangene.

Welche Werte gaben Ihnen Ihre Eltern mit?

Mein Vater eröffnete als Mechaniker eine Werkstatt und war von seiner Arbeit sehr absorbiert. Meine Mutter half mit. Da habe ich wohl ein gewisses Leistungsdenken mitbekommen. Rückblickend war der springende Punkt aber, wie sie mit uns Kindern, anderen Menschen und der Umwelt umgegangen sind. Nämlich mit Respekt und Wertschätzung.

Was war in Ihrem Leben das erste grosse Medienereignis?

Der Heidi-Film. Das erste Mal im Kino! Das bewegte Bild machte mir wahnsinnig Eindruck.

Sie waren fasziniert von der Form?

Nicht nur. Ich habe mich sofort in Heidi verliebt. Und die kam aus Kemptthal, sie wohnte also gar nicht weit weg von mir.

Haben Sie mal an Ihrer Tür geklingelt?

Nein, ich hätte es aber gerne gemacht.


Und was war das früheste News-Ereignis in Ihrer Kindheit?

Der amerikanische Bomber, der nach dem Krieg aus dem Greifensee geborgen wurde.

Heute wachsen junge Menschen in Zeiten permanenter Informationsflut auf, mit dem Gefühl, dass dauernd Schlimmes passiert in der Welt. Was macht das mit ihnen?

Man darf nicht vergessen, die letzten 70 Jahre waren in Europa die friedlichsten seit Jahrhunderten, vielleicht sogar überhaupt. Übrigens, auch wenn Trump von Tag zu Tag Negatives twittert, kann er kein Unheil wie etwa Hitler anrichten. Die Kontrolle von Regierung und Parlament ist zu gross. Trump hat keinen Einfluss auf unsere Schicksale.

Doch! Der Einreisestopp beispielsweise betrifft Sie vielleicht nicht, aber das Schicksal von Millionen von Menschen.

Der Stopp wird nicht kommen, weil sich Trump nicht über die Verfassung hinwegsetzen kann. Wir sollten uns weniger mit Trump und Gleichgesinnten befassen, sondern uns vielmehr fragen, weshalb so viele Menschen existenziell verunsichert sind. Warum fühlen sie sich von der Gesellschaft an den Rand gedrängt, sind sozial vereinsamt? Das sind die Faktoren, die soziale Unruhen und Schlimmeres auslösen können. Und solche Missstände können Machtmenschen wie Viktor Orban ausnutzen.

«Kinder wollen starke Eltern, die Sicherheit vermitteln»

Sollen Eltern mit ihren Kindern über eigene Ängste reden?

Nein, das finde ich daneben. Kinder können diese oft diffusen Ängste überhaupt nicht einordnen, spüren aber sehr wohl, dass es den Eltern nicht gut geht. Kinder wollen starke Eltern, die ihnen Sicherheit vermitteln. Aber wenn ein Jugendlicher danach fragt, sollen Eltern darauf eingehen.

Die Ängste der Eltern bleiben deswegen aber doch bestehen. Wie kann man verhindern, dass sie in die Erziehung einfliessen?

Indem man sich bewusst macht, dass man seine eigenen Kinder nicht verängstigen darf.

Soll man mit Kindern die «Tagesschau» gucken?

Ein Sechsjähriger hat eine Welt mit einem Radius von drei Kilometern. Darüber hinaus existiert nichts. In diesen Kilometern kennen sie den Kindergarten und ein paar Menschen. Wie wollen sie Weltereignisse einordnen?

Aber man muss sie doch vorbereiten auf die grosse Welt.

Ein letztes Mal: nicht mit Worten, sondern mit Taten. Vorleben, nicht reden. Antworten, wenn die Kinder fragen. Jugendliche denken und handeln aus ihrer Lebenssituation heraus, und damit haben sie genug zu tun. Sie sind damit vollauf beschäftigt und interessieren sich einen Hut dafür, was Trump mit der Nato anstellt.

Zur Person

Kaum eine Mutter, kaum ein Vater, die die Bücher von Remo H. Largo (73) nicht kennen. «Babyjahre», «Schülerjahre» und «Jugendjahre» sind Klassiker der Erziehungsliteratur und machten den gebürtigen Winterthurer zum Bestsellerautor. Sein neustes Buch, «Das passende ­Leben», erscheint im Mai.

Largo studierte an der Universität Zürich Medizin und in Kalifornien Entwicklungs­pädiatrie. 30 Jahre lang leitete er die Abteilung Wachstum und Entwicklung am Kinderspital ­Zürich. Largo lebt in ­Uetliburg SG, ist Vater von drei Töchtern und Grossvater von vier ­Enkeln.


Schwere Zeiten,
tiefe Geburtenrate

Kinder haben oder nicht? Diese Frage wird in Krisenzeiten existenziell. Wenn Bomben fallen, das Geld für Brot fehlt oder ein Staat zusammenbricht, ist die Antwort schnell gefunden: In Krisenzeiten fällt die Geburtenrate dramatisch.

Am besten zeigt sich dieser Zusammenhang bei der bewegenden Geschichte Deutschlands. Dort brach die Zahl der Geburten während der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre sowie im Ersten und Zweiten Weltkrieg stark ein. Sobald wieder Frieden herrschte, stieg die Geburtenrate jeweils sprunghaft an. Erst nach Einführung der Verhütungspille Mitte der 60er-Jahre fiel sie wieder auf das heutige, tiefe Niveau.

Die Schweiz blieb in den letzten hundert Jahren zwar von Krieg und Hunger weitgehend verschont. ­Dennoch war die Zeit während des Zweiten Weltkriegs geprägt von Entbehrungen. Fast alle ­Lebensmittel waren rationiert, die Männer standen im Aktivdienst an der Grenze, das Land war von den Achsenmächten umzingelt. Ständig musste man mit einem Angriff rechnen. Auch das drückte auf die Geburtenrate, wenn auch weit weniger ­dramatisch.

Zur Staatsangelegenheit jedoch wurde die Frage, wie man in der Erziehung mit einer solch existenziellen Krise umgeht. Von Feinden umgeben, rief der Bund seine Bürger zur «geistigen Landesverteidigung» auf. Diese Bewegung hatte zum Ziel, die Schweizer Demokratie, ihre Werte und Bräuche zu ­stärken. Mit der Rückbesinnung auf traditionelle Werte wollte man dem «totalen Krieg» und der Nazi-Propaganda entgegenwirken. Alle Bürger waren dazu verpflichtet – auch Kinder und Jugendliche. Mit einem nationalpädagogischen Programm wollte man sie zur Freiheit erziehen.

Dementsprechend ideologisch und politisch war die Erziehung. Die Schule sollte das Gefühl ­des Zusammenlebens und der Solidarität stärken. Massnahmen waren etwa das Singen von ­Heimatliedern, die ­Förderung des Turn­unterrichts (unter dem Motto «Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper») oder die Einführung der «Handsgi». Ebenso wurde die Schulpflicht auf neun Jahre verlängert.

Höhepunkt der ideologischen Bemühungen war die Landesausstellung 1939 in Zürich. Der «Landigeist» zeigte die Schweiz als Insel der Glückseligen, die von Feinden umzingelt war. Ein Bild, das sich lange halten sollte.

Schülerinnen und Schüler sitzen im August 1939 an der Landi in Zürich in der Schifflibahn und singen zusammen.