Unsere Bäuerin an der Langlauf-WM
«Goldi» bringt Nathalie Glück

Den Stall zu misten, ist für Nathalie von Siebenthal Teil des Trainings. Ein Leben ohne Bauernhof ist für die Langläuferin undenkbar.
Publiziert: 23.02.2015 um 19:40 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 01:00 Uhr
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Direkt vor der Haustür hat Nathalie ihre Trainingsloipe.
Foto: Peter Gerber
Von Stefan Meier (Text) und Peter Gerber (Fotos)

Es ist ein ganz besonderes Kalb, das gerade voller ­Inbrunst an Nathalie von Siebenthals Fingern nuckelt. Es kam auf die Welt, als die 21-Jährige an der U23-WM in Almaty auf die Zielgerade des Skiathlons ­einbog und Gold holte. Sein Name war deshalb schnell gefunden. «Wir haben es Goldi getauft», erklärt von Siebenthal und strahlt.

Die Liebe der ausgebildeten Landwirtin zum zweieinhalb Wochen alten Tier hat einen weiteren Grund: Es ist das erste Kalb ihrer ersten eigenen Kuh. «Und es ist wieder eine Kuh. Das heisst, wir können sie grossziehen.»

Denn für anderes hat es im Milchbetrieb in Lauenen ob Gstaad BE nicht Platz. Zu 28 Kühen schaut die Familie derzeit. Im Sommer schiesst die Zahl in die Höhe. Wenn sie auf die Alp Marnex oberhalb von Les Diablerets ziehen, passen sie auf rund 100 Stück Vieh auf.

Ohne die Tiere ginge es für Na­tha­lie nicht. «Der Job auf dem Hof ist Leidenschaft. Super, nach den Rennen etwas anderes machen zu können.» Verzichten darauf will die Langlauf-Newcomerin nie. Auch nicht für die Karriere.

Weshalb? Einerseits habe sie nie etwas anderes gekannt, sei damit aufgewachsen. Doch es ist noch etwas anderes. «Wenn ich abschalten und meine Ruhe haben will, dann gehe ich in den Stall zu den Tieren. Es ist eine andere Welt hier.»

Das Leben als Langläuferin gestaltet sich nebst der Arbeit als Landwirtin schwierig. Wenn sie daheim ist, schuftet von Siebenthal jeden Morgen und Abend im Stall. Tagsüber, zwischen diesen ohnehin schweisstreibenden Einheiten, trainiert sie auf den Loipen im Saanenland. Wenn die Zeit zu knapp ist, muss Nathalie nur vor die Türe: Unterhalb ihres Hofs hat sie sich eine Trainingsstrecke präpariert.

Wegen dieser doch speziellen Art wurden sie und ihr Vater Christian früher oft belächelt. Lehre statt Sportschule. Arbeit auf dem Hof statt vollem Training. Und wegen der mangelnden Zeit nehmen es Vater und Tochter mit der technischen Ausbildung nicht allzu genau, machen nur das Nötigste. «Viele haben uns blöd angeschaut. Das ist spätestens jetzt weniger der Fall.»

Dabei läuft sie ihren Altersgenossinnen längst um die Ohren. 30 Medaillen von Schweizer Meisterschaften hängen aufgereiht im schmucken Chalet. Hier ist sie mit fünf Schwestern und einem Brüderchen (Dario ist erst drei Jahre alt) aufgewachsen. «Es haben immer alle anpacken müssen», erinnert sich die Drittälteste der Familie.

Mittlerweile lebt Nathalie für sich allein im Untergeschoss des Elternhauses in einem gemütlichen Studio. Für sie ist ganz klar, dass sie nach dem Ende der Karriere den Hof übernehmen wird.

Zunächst will sie aber in der Langlauf-Welt für Furore sorgen. Nicht aktuell an der WM der Grossen, wo die Debütantin im Skiathlon letzten Samstag den 22. Platz belegte und heute im 10er die Top 20 ­anstrebt. Aber vielleicht ja bei Olympia 2018 in Pyeongchang (SKor). «Goldi» wird dann eine voll ausgewachsene Kuh sein. «Sie sollte dann auch ein erstes Mal gekalbt haben», rechnet Nathalie aus. Vielleicht gibt es ja das nächste Glückskalb.

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