Eigentlich ist es unvorstellbar. Während Jahren mied Tom Lüthi abseits der Rennstrecken den Töff wie der Teufel das Weihwasser. Es ist, wie wenn Roger Federer zwischen den Turnieren kein Racket anfassen würde. Xherdan Shaqiri den Ball nur während Spielen streichelt. Oder sich Beat Feuz nur für die Rennen auf die Ski wagen würde.
Doch so absurd es klingt. Während Jahren war es so. «Ich bin früher nie Töff gefahren, ausser an den Rennen», bestätigt der 30-Jährige. Und erklärt: «Ich habe mir einmal vor einem GP das Schlüsselbein angeknackst. Seither habe ich es nie mehr gemacht.»
Doch diese Zeiten sind nun vorbei. Lüthi hat eine neue Lockerheit gefunden. Zwischen den GPs gibt er seit dieser Saison wieder richtig Gas. Zum Beispiel auf dem Motocross-Töff. Der Emmentaler rast durch die Kurven, lässt Dreck spritzen und hat Spass.
«Neuerdings mache ich das ab und zu wieder. Ich will das bewusst ins Training einfliessen lassen», erklärt Lüthi. An seinem Fahrstil kann er im Dreck zwar nicht arbeiten. Trotzdem sind die Stunden im Sattel sehr wertvoll. «Für die Schulter, Arme und Beine ist es das perfekte Training», bestätigt Lüthi. «Meinem Körper tut das sehr gut.»
Die noch viel wichtigere Komponente ist aber der Kopf. Lüthi muss sich Rennen für Rennen gegen 30 andere Fahrer durchsetzen. In der Moto2, wo alle vergleichbares Material haben, bedeutet das harte Zweikämpfe. Und Tom hat längst realisiert, dass er dafür mehr Aggressivität entwickeln muss.
«Ich muss auch in den Trainings aggressiver werden. Ich kann meinen Körper zwischen den Rennen nicht in Watte packen.» Lüthi wagt sich nun deshalb wieder auf den Töff. Wirft sich dort in Zweikämpfe und geht ans Limit. «Ich muss einfach auch im Training ein gewisses Risiko eingehen.»
Die Rückkehr zu dieser Lockerheit ist Lüthi anzusehen. Der Moto2-Pilot steckt nicht mehr so einfach zurück wie vor noch zwei, drei Jahren. Er ist aggressiver, gefährlicher für seine Gegner.
Lüthi kommt nicht aus dem Motocross, ist seit jeher nur auf der Strasse gefahren. Ganz anders als etwa Dominique Aegerter, der seit jeher an freien Tagen zu seinen Töff-Wurzeln zurückkehrt – und vor sechs Tagen sogar am Ostermontag-Motocross in Frauenfeld TG in der höchsten Schweizer Meisterschaftsklasse mitfährt und einen 15. Rang holt.
Früher war es mit Lüthi übrigens noch viel schlimmer. Er verzichtete nicht nur zwischen den Rennen auf das Töfffahren. Während der ganzen Winterpause war monatelang der Töff tabu!
Doch auch das hat sich seit zwei, drei Jahren geändert. Tom baut Motocross wieder konsequent in seine Vorbereitung ein. Der Vize-WM-Titel 2016 und zwei Podestplätze in dern ersten beiden Rennen 2017 geben ihm Recht.