Maryam Yusuf Jamal führt das 1500-Meter-Olympiarennen an, als die zwölf Läuferinnen auf die letzte Runde einbiegen. Die Wahlschweizerin gehört zu den Favoritinnen, sie ist Doppelweltmeisterin. Auf der Gegengerade sprintet jedoch die türkische Läuferin Asli Cakir Altekin vorbei als könnte sie fliegen. Jamal hat keine Chance zu folgen, kämpft mit letzter Kraft um Silber und muss sich am Ende mit Bronze begnügen, weil auf den letzten Metern noch eine zweite Türkin an ihr vorbeifliegt: Gamze Bulut gewinnt Silber. Zwei Türkinnen ganz oben? Das gab es in dieser Disziplin noch nie.
Das war 2012 bei Olympia in London. Heute, fast fünf Jahre später, ist nichts mehr so wie damals. Altekin wurde gesperrt und ihr wurde der Olympiasieg aberkannt, weil sie mit neuen Analysemethoden nachträglich des Dopings überführt wurde. Bulut erbte die Goldmedaille. Jamal bekam die Silberne. Seit Mittwoch gilt auch das nicht mehr. Denn jetzt wurde auch Bulut wegen Unregelmässigkeiten im biologischen Pass gesperrt. Die nachträglich überreichte Goldmedaille auch ihr aberkannt. Nun erbt ziemlich sicher Jamal.
Das Feld der zwölf Athletinnen vom Finallauf damals? Man könnte es «Das dreckige halbe Dutzend» nennen. Die Erste, die Zweite, die Vierte, die Fünfte, die Siebte und die Neunte wurden des Dopings überführt. Was es wohl heissen mag, dass die damalige Siegerzeit von 4:10,29 von Altekin über 20 Sekunden langsamer war, als die heute gültige Weltrekordzeit, welche die Äthioperin Genzebe Dibaba 2015 aufstellte?
Dass Maryam Yusuf Jamal nun fünf Jahre nach dem eigentlichen Rennen wohl zur Goldmedaillengewinnerin gekürt wird, freut auch die Schweiz. Mit 17 kam sie als Asylbewerberin von Äthiopien nach Lausanne. Damals hiess sie noch Zenebech Tola. Sie trainierte und lebte in Lausanne und träumte vom Schweizer Pass. Solange sie diesen nicht bekam, konnte sie das Land als Asylbewerberin nicht verlassen, also an keinem Meeting im Ausland teilnehmen.
Da die Asylgesuche alle abgelehnt wurden, nahm sie 2005 das Einbürgerungs-Angebot aus Bahrain an. Allerdings gab es da eine Bedingung: Sie musste ihren Namen ändern. So wurde aus Zenebech Tola Maryam Yusuf Jamal. Und aus der drittplazierten Geschlagenen im Olympiarennen von 2012 wird nun nachträglich eine Olympiasiegerin.