So ein Zufall. Was hat dieser Herr in Air Serbia Flug von Zürich am späten Mittwochabend bloss in Belgrad zu suchen? Loren Seagrave, Director of Speed and Technic an der IMG-Academy in Bradenton Florida, steht plötzlich hinter mir in der Schlange bei der Einreise-Kontrolle. Ein Ami-Coach bei den Hallen-Europameisterschaften?
Seagraves Geschäftsreise nach Serbien hat einen Grund: Seit Russlands blonde Weitsprung-Beauty Darja Klischina 2013 ihre Osteuropäische Heimat verlassen hat und seither in Florida lebt, wird sie von Loren gecoacht.
Und genau, weil sie sich seit ihrer «Flucht» in die USA ausserhalb des internen Antidoping-Kontrollsystems der Russen bewegt, darf Darja in Belgrad weitspringen. Und ist damit Mitten drin beim EM-Highlight für die serbischen Gastgeber.
Willkommen im Hexenkessel Kombank Arena! Die 18000 Zuschauer erhoffen sich nämlich von ihrer grossen Favoritin Ivana Spanovic nichts anderes als Gold. Mit ihren 7,03 m in der Qualifikation hat diese ihre Leader-Position bereits am Samstag untermauert. Klischina kam erst in ihrem dritten Quali-Sprung dank 6,83 m in den Final. Und hat danach gesagt: «Es ist für mich halt immer noch komisch, nicht unter russischer Flagge starten zu können.» Wenn sie in Belgrad antritt, tut sie das unter der neutralen Flagge des Europäischen Leichtathletik-Verbands.
Beim Kampf um den EM-Titel gegen Hausherrin Spanovic kann aber auch Loren Seagrave seiner schönen Darja nicht helfen. Die Serbin fliegt beim zweiten Sprung 7,16 und im dritten 7,24 m weit –Marken, die Klischina auch zu ihren besten Zeiten nie erreicht hat. Sogar an der Bronze-Medaille fliegt die als Leichtathletin Staatenlose um 10 Zentimeter vorbei. Ihre Weite: 6,84 m.
Dass Klischina in Belgrad als einzige Russin am Start ist, ist allerdings sonderbar. Zwar sind Russlands Leichtathleten wegen des Dopings-Skandals bis auf weiteres von jeglichen internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen. Wer aber nachweisen kann, sich während längerer Zeit einem funktionierenden Antidoping-System untergeordnet zu haben, kann wie Klischina eine Ausnahme-Bewilligung bekommen.
Für die EM in Belgrad hatten 48 Russen auf diesem Weg Starterlaubnis beantragt. Zwei Anfragen wurde stattgegeben: Stabspringerin Anschelika Sidorowa und Sprinterin Kristina Siwkowa – unter neutraler Flagge als Bedingung auch für sie.
Jetzt ist in Belgrad weder die eine noch die andere dabei. Sidorowa ist an den russischen Meisterschaften nur Vierte geworden und hat danach die Hallen-Saison abgebrochen. Und Siwkowa sei seit Wochen schwer erkältet...