Die Granaten schlugen sofort ein. Als Gianni Infantino vor einem Jahr zum neuen Fifa-Präsidenten wird, steht er augenblicklich im frostigen Gegenwind und wird knallhart attackiert. 11 440 Franken habe er für eine Matratze rausgepulvert. 8883 Franken für einen Stepper ausgegeben. Blumen für 860 Franken auf Fifa-Kosten bestellt.
Solche und andere unappetitlichen Internas werden verschiedenen Medien zugespielt. Das Ziel ist klar: Man präsentiert der Öffentlichkeit einen Mann, der als Reformer antritt und dann die Fifa im alten Stil weiterführt.
Es ist ein denkbar schlechter Start für den naiv angetretenen Gianni Infantino, der im SonntagsBlick-Interview Ende August nicht lange um den heissen Brei herumredet.«Ja, die gezielten Attacken von gewissen Leuten habe ich unterschätzt.» Er habe alles selber bezahlt, lässt er heute ausrichten.
Infantino, als Uefa-Generalsekretär jahrelang im Hintergrund, hat zu jenem Zeitpunkt die Bedeutung seiner Aussenwirkung noch nicht verstanden. Als ihm ein Freund einen Privatjet für den Besuch beim Papst anbietet und er den Flug annimmt. Als er zwei Millionen Franken Lohn, die Chefkontrolleur Domenico Scala offeriert, wegen dessen schroffem Vorgehen ablehnt. Und das jemand auf Tonband aufnimmt.
Infantino hat unterschätzt, wie sehr ihm die Geschichten (aus seiner Sicht «bewusst gestreute Märchen») schaden können. Er realisiert lange nicht, wie fatal ein solcher interner Hahnenkampf in der Öffentlichkeit wirkt. Und ja, er hat sich im Überschwang seiner Wahl auch ungeschickt verhalten.
Und das wurde zu seiner Destabilisierung genutzt. Auf der einen Seite er als neuer Fifa-Boss, auf der anderen Seite Scala, dem einige selbst Ambitionen für das Amt des Fifa-Chefs nachsagen. Der aber innerhalb der Fifa auch für Exzesse steht. Weil am 3. Juni 2016 bekannt wird, dass er 71 Millionen Franken Vergütungen für fünf Jahre an Präsident Sepp Blatter, Generalsekretär Jérôme Valcke und Finanzchef Markus Kattner durchgewunken hat.
Im zweiten Halbjahr seiner Amtszeit ist es nun vergleichsweise ruhig geblieben – Infantino ist von der Ethikkomission von allen Vorwürfen freigesprochen worden. Langsam krabbelt er aus der Blatter-Schublade, aber die Fifa kämpft gegen ihr massives Vertrauensproblem. Gegen den permanenten Generalverdacht der Schummelei und Misswirtschaft. Für die WM bleiben noch zwei Top-Sponsoren-Plätze frei.
Es gibt aber auch Beschlüsse, die der Glaubwürdigkeit helfen. So wurde die Amtszeit des Präsidenten auf zwölf Jahre beschränkt. Gehälter werden offengelegt. Infantino bekommt 1,5 Mio. Fr. und keinen Bonus. Prämien für Weltmeisterschaften wie an Blatter wird es nicht mehr geben. Infantino holte mit Generalsekretärin Fatma Samoura eine dunkelhäutige muslimische Frau ins Boot. Im Fifa-Rat wurde eine Frauenquote eingeführt.
Und auch wichtig: Technische Neuerungen wie die Tor-Kamera werden eingeführt. Der Fussball soll digitalisiert werden.
Infantinos ganz grosses Ziel ist es, dass jeder Franken, der eingeht und jeder Franken, der ausgegeben wird, absolut transparent ausgewiesen werden. Doch dies ist Fifa-intern nach wie vor umstritten. Trotz 81 freiwilligen Abgängen (und zwölf Entlassungen) blockieren immer noch einige der über 500 Mitarbeiter die Arbeit des neuen Präsidenten. Der lange Arm von Blatter reicht bis heute noch ins eine oder andere Büro.
Infantinos grösster Sieg in diesem Amtsjahr ist mit Sicherheit die Erweiterung der WM 2026, die nun mit 48 statt 32 Teams ausgetragen wird. Und er hat auch am Fifa-Hauptsitz am Zürichberg viele Kleinigkeiten verändert. Früher stiess einem ein Tisch im Präsidenten-Büro sofort ins Auge. Wuchtig, schwer – und aus teurem Mahagoni-Holz. Wenn man früher mit Sepp Blatter (80) ein Interview führte, war man beeindruckt vom Luxus der Einrichtung.
Als Infantino sein Büro neu einrichten lässt – es geht um einen Schreibtisch, einen Stuhl und ein, zwei weitere Möbelstücke – wird ihm intern ein Kostenvoranschlag unterbreitet: im hohen fünfstelligen Bereich. Infantino fühlt sich im falschen Film, verlangt eine zweite Offerte. Auch sie enthält immense Summen.
Der ungeduldige Präsident reagiert, steigt in den Keller, wo die alten Möbel lagern, wählt sich Ausschuss-Ware aus. Die Fifa kostet es keinen Franken. Infantino löst auch Blatters eigenen Weinkeller auf. Dort steht jetzt ein Fitnessgerät. Details, die den neuen Geist sichtbar machen sollen.
Und von denen gibt es mittlerweile einige:
Autos. Unter Blatter waren Autos der Marke Mercedes und Maserati an der Tagesordnung. Heute dominieren Autos der Marken Kia und Hyundai – Wagen der Fifa-Partner.
Du-Kultur. Der neue Fifa-Präsident gilt als nahbarer als Blatter. Als ihn ein Mitarbeiter mit «Sie, Herr Präsident, das müssen wir noch anschauen» anspricht, antwortet Infantino: «Wenn du mich noch einmal siezt, schauen wir gar nichts an.»
Mitarbeiter. Die Fluktuation in Infantinos erstem Fifa-Jahr: 12 Mitarbeiter wurden entlassen. 81 Personen sind freiwillig gegangen. 115 neue kamen im Jahr 2016, etwas über 500 Personen arbeiten nun im Fifa-Hauptquartier. 26 Leute wurden intern befördert.
Chauffeur. Und auch bei den 37 Mitgliedern des Fifa-Rats wird gespart: Wurde früher jeder einzelne mit einem Chauffeur und eigener Limousine am Flughafen abgeholt, werden nun alle auf drei Mini-Busse verteilt.
Hotel. Statt im Baur au Lac (um die 700 Franken pro Nacht) nächtigen sie im Ascot-Hotel (ca. 370 Fr.) oder im Hyatt (ca. 485 Fr.).
Flüge. Unter vier Stunden fliegen die Mitarbeiter Economy. «Privatjets waren früher die Regel, heute sind es Ausnahmen», sagt Generalsekretärin Fatma Samoura. Ein Beispiel: Als Infantino einen Termin im ostdeutschen Erfurt hatte, flog er mit der Linie von Zürich nach München und dann weiter nach Leipzig. Dort stieg er für zwei Stunden ins Auto, um danach eine zehnminütige Rede zu halten.
Gianni Infantino – sein Kampf gegen die Blatter-Schublade. Machtpolitisch agiert er beim Stimmenfang sicher ähnlich clever wie sein Vorgänger – mehr Geld für die 211 Verbände (je 1,25 Millionen Dollar statt 400 000 jährlich) und mehr Teams bei der WM 2026. Aber ein Bemühen um Transparenz kann man ihm nicht absprechen.
Seine letzten Monate machen Hoffnung, dass die Skandal-Fifa in Zukunft transparenter und integrer geführt wird. Aber klar ist: Die Fifa bleibt unter Beobachtung. Von vielen Kreisen.