Bethlehem, die Geburtsstadt Christi, in den neunziger Jahren. Ein palästinensisches Mädchen mit wilden, schwarzen Locken, sieben Jahre alt, kickt auf der Strasse mit den Nachbarbuben, sehr zum Missfallen von Eltern und Nachbarn. «Dieses Spiel ist nichts für Mädchen», lästern sie über Honey (auf deutsch Honig) und prophezeien: «Niemand wird sie heiraten.» Es ist der Anfang eines märchenhaften Lebenswegs.
Heute arbeitet das Mädchen beim Weltfussballverband Fifa: Honey Thaljieh (33) kümmert sich um Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Frauen, sie organisiert Fifa-Events zum Thema.
Honey ging voran, gegen alle Widerstände – als Christin in ihrer muslimisch geprägten Welt, als Palästinenserin im Dauerkonflikt mit Israel, als Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft und als Sportlerin in der Testosteron-Welt des Fussballs.
Honeys erster Kampf ist der schwierigste. Ihr Vater hält nichts von der kickenden Tochter, sie soll heiraten und Kinder kriegen, wie es sich gehört.
«Das grosse Thema in unserer Gesellschaft», erzählt Honey, «ich musste ihm versprechen, aufzuhören. Als ich wieder spielte, bestrafte er mich. Ich musste mich in die Ecke stellen. Meine Mutter aber entgegnete, dass ich mich noch früh genug um einen Ehemann kümmern werde.» Danach darf sie endlich ihre Leidenschaft ausleben.
Doch es gibt Rückschläge. Anfang des Jahrtausends verliert selbst Honey, diese junge, quirlige Frau mit dem herzhaften Lachen, kurzzeitig die Hoffnung. In der zweiten Intifada rebellieren die Palästinenser gegen die israelische Besetzung des Westjordanlands und des Gaza-Streifens.
Honey ist 17, während 40 Tagen muss ihre Familie mit den fünf Kindern im Haus ausharren. Ohne Strom, ohne Wasser. Auf den Strassen herrscht Krieg: «Das Leben kam zum Stillstand, nur das Rote Kreuz brachte Essen.»
Doch Honey gibt nicht auf, sie will ihre Gesellschaft verändern. Sie erkennt im Fussball eine Chance für sich selbst und für die Frauen in ihrer Heimat. An der Uni trifft sie eine gleichgesinnte Lehrerin, gemeinsam gründen sie ein Team.
2005 entsteht daraus die Frauen-Nati, die 2009 vor über 10000 Zuschauern in Ramallah das erste Heimspiel bestreitet. Thaljieh: «Es war mehr als ein Spiel, es ging um Selbstverwirklichung. Es war ein Zeichen der Anerkennung von Frauen und von Palästina.»
Heute gibts in Palästina zwei Frauen-Ligen und vier Nationalteams. «Darauf bin ich stolz», sagt Honey. «Es brauchte jemanden, der die Komfortzone verlässt. Viele Mädchen bedanken sich bei mir.» Auch ihre Familie ist stolz, «vor allem mein Vater, wenn er mich in einer Zeitung sieht.»
Honey hat die patriarchalische Gesellschaft aufgerüttelt, zumal sie als Christin einer Glaubensminderheit angehört. «Die grösste Herausforderung bleibt aber die politische Lage», sagt sie. «Alles ist kompliziert wegen der Mauern und Checkpoints rund um das Westjordanland, selbst die Organisation eines Spiels.»
Heute mit 33 kickt Honey nur noch sporadisch, die Knie und der Rücken schmerzen. «Ich habe zu oft auf Asphalt und Kunstrasen gespielt.» Sie bereut es aber keine Sekunde. Sie kämpft weiter für ihren Traum – für die Gleichberechtigung von Frauen und für Palästina.
«Ausser bei der Fifa sind wir nirgends wirklich anerkannt. Was ihr in der Schweiz habt, ist ein Geschenk. Nutzt eure Möglichkeiten, sie sind nicht selbstverständlich. Auch wir möchten einmal wie ihr leben – in Frieden.»
Da ist sie wieder, die Kämpferin, Optimistin und Träumerin.
Honey Thaljieh in Zürich
Am 16. März tritt Honey Thaljieh am «Campaigning Summit Switzerland» im Zürcher Sihlcity auf. Der öffentliche Event ist 2018 weiblichen Rednerinnen vorbehalten und soll den Besuchern neue Denkanstösse geben.
Wie überzeuge ich andere von meinen Ideen? Thaljieh: «Meine Botschaft: Ich habe Campaigning für Frauenfussball in Palästina gemacht. Dann ist alles andere auch möglich!»
Palästina
Der Staat Palästina wird zwar 1988 ausgerufen und von 136 der 193 Uno-Mitglieder anerkannt, nicht aber von Israel, den USA und vielen westlichen Ländern samt der Schweiz. Theoretisch umfasst das Staatsgebiet den Gaza-Streifen und das Westjordanland, beides Gebiete, die Israel im Sechstagekrieg 1967 eroberte und seither faktisch besetzt und teils besiedelt.
Seit dem Osloer Friedensprozess Mitte der neunziger Jahre verwaltet eine palästinensische Regierung die Gebiete. Radikale Gruppen in Israel und bei den Palästinensern verhindern aber bis heute, dass aus den Autonomiegebieten ein allseits anerkannter, überlebensfähiger Staat entsteht – und Israelis und Palästinenser friedlich zusammenleben. Immerhin: Palästina ist seit 1998 vollwertiges Mitglied der Fifa. (ek)