Brian Boyle (33) hat viel gesehen im Leben. Im September wurde beim Stürmer der New Jersey Devils Leukämie diagnostiziert. Sein zweijähriger Sohn leidet unter einer Fehlbildung der Blutgefässe im Gehirn. Seit elf Jahren spielt Boyle in der NHL, rund 800 Spiele hat er gemacht. Wenn der 1,97-m-Mann aus Massachusetts spricht, hört man ihm zu.
Dieser Mann steht vor seinem Spind und schüttelt ungläubig den Kopf, als er auf Nico Hischier (19) angesprochen wird. «Als ich in seinem Alter war, bin ich ans College gegangen und habe versucht, herauszufinden, wie das Leben läuft», sagt Boyle zu BLICK. «Darum ist es so beeindruckend, was er macht.»
Boyle ist Hischiers Sitznachbar in der Devils-Kabine und bekommt Tag für Tag hautnah mit, wie sich der 14 Jahre jüngere Walliser in der NHL schlägt. «Er kann schon jetzt jeden Abend für uns den Unterschied machen.»
Die 50-Punkte-Marke
Seit Saisonbeginn spielt Hischier in New Jersey in der ersten Linie. Der Schweizer traut sich mittlerweile, das Spiel an sich zu reissen, den Puck zu fordern, das Diktat zu übernehmen. «Ich fühle mich schon wohler als Anfang Saison», sagt Hischier. «Es ist ein Prozess, sich an diese Liga zu gewöhnen.»
Die 50-Punkte-Marke hat er im ersten Jahr geknackt, es ist die siebtbeste Saison, die je ein Schweizer in der NHL gezeigt hat. Noch nie hat ein Schweizer als Rookie auch nur die 20-Punkte-Barriere übertroffen. Hischier: «Dass ich jetzt schon bei über 50 Punkten stehe, das hat mich schon überrascht. Aber es fühlt sich gut an, auch wenn ich versuche, nicht auf Statistiken zu schauen.»
Bescheiden und doch selbstbewusst, so beschreibt Boyle den Schweizer. «Ich fühle mich hier wohl», sagt dieser. Allein ist er selten, Besuch hat er oft. «Meine Eltern sind regelmässig da, mein Bruder und meine Schwester haben auch schon vorbeigeschaut», sagt er.
Reisen ins nahe New York City unternimmt er in den letzten zwei Monaten keine mehr. «Am Anfang war ich mehrmals da, eine tolle Stadt.» Aber die Saison ist lang. «Hast du mal frei, bist du froh, wenn du daheimbleiben kannst.» Hischier wohnt in Jersey City. «Auch da gibt es gute Restaurants, wenn man etwas unternehmen will.»
Die lange Spielzeit setzt dem Rookie zu. «Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich bin nicht müde. Aber hier gibt es keine Ausreden.»
«Nico hasst Country-Musik»
Da hilft die Unterstützung aus der Heimat. «Zuletzt war meine Mutter hier, da gab es ein paar Mama-Menüs. Immer gut, sich ein bisschen verwöhnen zu lassen.»
Einsam ist der Schweizer in Übersee also nicht. Und eine Art Ersatzpapa hat er in New Jersey auch gefunden. Oder mindestens einen lustigen Onkel: Stürmer Blake Coleman (26) nimmt den Walliser jeden Tag mit seinem Pickup-Truck ins Training mit. «Hischier, Pavel Zacha und Jesper Bratt fahren mit mir», sagt Coleman. «Sie sind so ein bisschen wie meine Kids.»
Das beschränkt sich nicht nur auf Fahrdienste. «Ich versuche, ihnen zu helfen, wo ich kann. Zum Beispiel, wenn es darum geht, englische Worte zu buchstabieren. Heute habe ich ‹cover› buchstabiert.» Coleman grinst. «Ich mag das, ich fühle mich dann schlau.»
In Colemans Ford F-150 wird aber nicht nur Englisch gebüffelt. «Nico hat die Fähigkeit, im Auto innert fünf Sekunden einzuschlafen», erzählt er. Ein beliebter Moment für einen Streich. Was Coleman dann macht? «Einen Stopp reissen und laut seinen Namen schreien. Funktioniert jedes Mal. Herrlich!»
Wer fährt, bestimmt die Musik, da wird auch für Nummer-1-Picks keine Ausnahme gemacht. «Er darf Vorschläge machen, aber im Normalfall kommt er damit nicht durch. Ich stehe auf Country. Nico hasst Country», sagt Coleman und lacht schallend. «Darum versuche ich, so viel wie möglich davon zu spielen.»