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Exklusiv für BLICK:Der Royal-Wedding-Cellist Sheku Kanneh-Mason

Cellist Kanneh-Mason (19) in Zürich
Von der Royal-Wedding in die Tonhalle

Er hat schon viele renommierte Preise gewonnen. Doch der Durchbruch kam für Sheku Kanneh-Mason erst nach dem Auftritt an der Hochzeit von Meghan und Harry. Jetzt stürmt der Ausnahmecellist gar die Hitparaden.
Publiziert: 10.12.2018 um 18:03 Uhr
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Aktualisiert: 10.12.2018 um 18:05 Uhr
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Er ist 19-jährig, ein Ausnahmetalent und seit Mai weltbekannt: Sheku Kanneh-Mason. Der junge Brite stürmt mit seinem Cello die Hitparaden.
Foto: Philippe Rossier
Michael Merz

London, 10. November 2018. Es ist 16 Uhr und bereits stockdunkel. Es regnet und stürmt derart heftig, dass die Scheibenwischer des Taxis, in dem ich sitze, der Flut kaum Herr werden. Der Taxifahrer selbst hat schlechte Laune und knurrt Verwünschungen über den Verkehr, das Wetter und sowieso auf die Menschheit vor sich hin. Es ist gut, im Trockenen zu sitzen. Doch nicht für lange. Denn: Der Chauffeur dreht sich um und sagt: «Da vorne beginnt der Stau. Weiter komme ich nicht, und weiter will ich nicht. Steigen Sie aus und gehen Sie zu Fuss!» Schon stehe ich im Regen und weiss kaum, wie mir geschehen ist. Also geht es zu Fuss weiter Richtung Albert Hall, wo Sheku Kanneh-Mason zum Interview aufwartet.

Sheku Kanneh-Mason? Erinnern Sie sich an die Hochzeit des Jahres, als Mister Harry Windsor Miss Meghan Markle heiratete? Milliarden Royal-Fans waren dabei, als die Kameras auch auf einen jungen Mann schwenkten, der auf einem blumengeschmückten Podium sass, ein Cello zwischen den Beinen, mit seinem Bogen ausholte und klassisch Besinnliches spielte.

Das ist Sheku Kanneh Mason. 19 Jahre alt. Sohn zweier Briten aus der Karibik. Und, so die Kommentare der Fachwelt: fast noch, eigentlich noch immer ein Wunderkind. Kaum war die Feier vorbei, lag auch schon sein Album in den Geschäften und stieg sofort auf Platz 1, nicht nur der klassischen Hitparaden.

Ein Treffen mit allerlei Schwierigkeiten

Wer also ist dieser Sheku? Deshalb bin ich in London, am Gedenktag zum Ende des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren. Der wird in der riesigen Londoner Albert Hall gefeiert. 5544 Zuschauer sind geladen, und die englische Königin wird, samt Familie und Premierministerin, in der Mittelloge sitzen. BBC 1 überträgt die Feier. Weltweit. Natürlich.

Allerdings: Im ersten Mail an diesem Samstagmorgen warnt man mich vor «very serious security measurements» – tiefgreifenden Sicherheitsmassnahmen. Um zur Albert Hall zu kommen, brauche es deshalb den Pass und eine offizielle Zulassung. Und früh müsse man eintreffen. Keine Ausnahme.

Dann fällt ein weiteres Mail in meine Box: Treffen abgesagt. Dann ein Anruf. Sheku ist – er weiss es seit seinem 12. Lebensjahr – chronisch zuckerkrank und hatte an diesem Morgen einen Zusammenbruch. Seine Managerin erklärt mir gegen Mittag, dass er sehr schwach sei, am ganzen Körper zittere. «Man weiss nicht, ob er überhaupt auftreten kann.» Das Interview? Abgesagt, vielleicht aber nur verschoben. «Wir müssen warten!» Ich repetiere die erstaunliche Geschichte des jungen Mannes.

Und plötzlich steht da ein 19-jähriger, 1,90 grosser Riese

Sheku ist eines von sieben Kindern, die alle – wirklich alle – nicht nur ein, sondern meistens sogar zwei Instrumente spielen, und dies, je nach Alter, hervorragend tun. Die älteste Schwester, Isata, ist preisgekrönte Pianistin und kommt mit Sheku für einen Konzertabend nach Zürich. Später wird er sagen: «Konkurrenz? Streit? Nicht wenn wir musizieren.» Und dann – irgendwo in den unterirdischen Gewölben der Albert Hall – stehe ich dem jungen Cellisten gegenüber. Und bin erstaunt, denn ich hatte ihn mir nicht als 1,90-Meter-Riesen vorgestellt.

Der zu seinem Afro passend langzahnige Kamm liegt auf dem Garderobentisch neben einem Testgerät für Diabetiker. Es gibt die persönliche Betreuerin, dann zwei Assistenten, deren Funktion nie ganz klar wird, ausser, dass sie Sheku irgendwann Essen bringen. Erst als alle Nicht-Kanneh-Masons den Raum verlassen haben, setzt sich Sheku, streckt die langen Beine aus, entspannt sich sichtlich und sagt: «Wann es begonnen hat, weiss ich eigentlich nicht. Aber was ich weiss, ist, dass ich bis zum heutigen Tag jeden Moment mit dem Cello geniesse. Den Klang, den ich so liebe, aber auch was man tun muss, um diesen zu erzeugen.» Er lächelt. Die Augen aber bleiben vorsichtig, die Stimme sanft. Wie er die Farben dieser Töne finde, kann er nicht genau beantworten, sagt aber, dass diese Farben bereits in seinem Kopf präsent seien. Die einzige Schwierigkeit sei, sie auf dem Instrument wiederzufinden. «Da hilft nur eins: üben, üben, üben.»

Es gibt vielerlei, das diesen Musiker auszeichnet. Eines ist gewiss: Wenn er auftritt, dann sieht das Publikum, wie entspannt er auf seinem Cello spielt. Man glaubt ihm, wenn er sagt: «Ich liebe es, aufzutreten. Und ich empfinde es noch immer als erstaunlich, dass die Leute gerade mich hören wollen!»

Er liegt jetzt mehr in seinem Stuhl, als dass er sitzt. Die Hände stecken in seinen beiden Hosentaschen. «Hätte ich überhaupt zur Musik gefunden, wenn ich nicht meine ältere Schwester dauernd gehört hätte, wie sie auf dem Klavier übte?» Doch wie kommt es, dass er seine Geschwister karrieremässig einfach hinter sich liess?

Ein kurzes Lachen: «Es ist keine Plattitüde, wenn ich sage: Ich lerne so viel von ihnen, wie sie von mir lernen. Und selbst wenn ich und meine Schwester viele verschiedene Ideen über ein Stück haben, finden wir immer einen Weg.» «Wer überzeugt, gewinnt also?» Er lächelt, sagt: «Manchmal nicht.»

Es muss ein seltsamer Moment gewesen sein, als seine Mutter Kadiatu einen Anruf aus «dem Palast» erhielt. Es muss noch seltsamer gewesen sein, als Sheku den Anruf annahm und am anderen Ende eine Stimme sagte: «Hier ist Meghan Markle, ich möchte, dass Sie an meiner Hochzeit spielen.»

Das Spiel ist wichtig – egal, ob eine Prinzessin im Publikum sitzt

Wie ist es denn, wenn er heute wieder vor der Königin spielt und damit quasi zu einem Teil der royalen Musikwelt gehört? «Ach», antwortet er, «es geht doch darum, dass ich auf meinem Cello spielen darf. Das liebe ich, das ist wichtig. Und wo das ist und vor wem – ist mein Spiel deshalb besser? Aufregender?» Und fragt weiter: «Bin ich danach besser, als ich es vorher war, nur weil eine Prinzessin oder die Königin im Publikum sitzt?»

Ich frage ihn nach dem Geheimnis dieser Ruhe. Er schaut erstaunt. Für einen Moment überlegt er, dann sagt er: «Als Kind war ich schrecklich hibbelig. Nicht zu fassen, wie nervös und umtriebig ich war. Das hat sich gegeben. Nur manchmal …» Er lässt diesen Satz ausklingen, wartet, ehe er sagt: «Aber wenn ich spiele, dann ist genau diese rasende Bewegtheit wieder in mir drin.»

Jetzt ist er in England das, was man einen Haushaltsnamen nennt, und in der Welt der Musik besitzt er einen Sonderstatus. Seine Karriere ist mega, die Erwartungen ebenso. Was tut er, um diesen Erwartungen gerecht zu werden? «Es sind vor allem meine Professoren, die mich weiterbringen. Schon mit der ersten Lehrerin hatte ich unfassbares Glück, und so ist das bis
heute weitergegangen.» Und es gäbe ja noch die Einspielungen der Grossen des Fachs (Casals, Rostropovich, Isserlis), die er höre. Und ja, er habe letzthin zu lesen begonnen. Wo er sich doch früher in der Freizeit eher mit Fussball, Filmen und Netflix-Serien die Zeit vertrieben habe. Im Moment interessiere ihn das «Zeugs» (Stuff), das Robert Schumann geschrieben habe.

In einer Ecke des Raums steht das Cello. Es ist eine Amati, ein rares und damit teures Instrument, das er als Leihgabe spielt. Wo liegt der Unterschied zu seinem alten Instrument, auf und mit dem er seine Karriere machte? Nun ja, sagt er da, kaufen könne er so ein Cello nicht, und er kenne auch niemanden, der das könnte. Und einfach seien die ersten musikalischen Begegnungen damit auch nicht gewesen. Er musste neue Wege finden, damit er jene Resultate erreichen konnte, die er sich vorstellte. Aber dann seien ihm sogar Töne gelungen, von denen er vorher nicht mal geahnt habe, dass es sie überhaupt gebe.

Nichts anderes als ein begabtes Kind?

Meine Zeit ist vorbei. Ich werde durch das Haus geführt, höre Stimmen. Sehe Militär, Polizei, Security, irgendwo sagt irgendwer: «Her Majesty arrived! – die Königin ist da.» Bald wird Sheku allein in der Mitte dieses riesigen Raums sitzen und «Halleluja», den Song von Leonard Cohen, spielen. In die Musik versunken, als wäre er zu Hause in seinem Zimmer in Nottingham.

Ich erinnere mich an einen Satz seiner Managerin vor dem Interview: «Denken Sie daran, dass er nichts anderes ist als «a gifted boy of 19 years», ein begabtes, 19-jähriges Kind. 

Sheku & Isata Kanneh-Mason, 11. Dezember, 19.30 Uhr, Tonhalle Zürich, Tonhalle-maag.ch

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