Unvernünftige Preise
Briefmarken, die ein Vermögen kosten

Sammler Pierre Rust sind Briefmarken zehntausende von Franken wert. Mit rund 2000 anderen Besuchern buhlt er dieser Tage im Auktionshaus Rapp in Wil SG um seltene Sammlerstücke.
Publiziert: 26.11.2014 um 18:57 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:07 Uhr
Von Adrian Meyer

Ist der Brief sauber gestempelt, die Marke vollrandig und farbfrisch, die Handschrift schwungvoll, elegant? Solche Fragen entscheiden, für welches Stück Papier Pierre Rust (70) aus Delsberg Zehntausende von Franken ausgibt. Er ist einer von rund 2000 Besuchern, die dieser Tage im Auktionshaus Rapp in Wil SG um seltene Schweizer Briefmarken oder grosse Markensammlungen buhlen.

Die Briefmarkenauktion mit einem Millionenumsatz ist eine der weltweit bedeutendsten. Gestern kamen Schweizer Raritäten unter den Hammer. Besonders begehrt war ein seltenes Paar der berühmten «Basler Taube» aus der ersten Auflage von 1845. Schätzwert: 80 000 bis 100 000 Franken.

Im dritten Stock sitzt Pierre Rust in einem Raum mit seltenen Einzelstücken. Neben ihm beugen sich ein Dutzend ältere Männer über Kataloge, mit Lupen in der einen und durchsichtigen Plastikfolien in der anderen Hand. Darin eingeschweisst sind rare Schweizer Briefmarken, einzeln, im Paar oder so, wie sie Pierre Rust am meisten liebt: auf wunderschönem Briefpapier, im 19. Jahrhundert abgestempelt und verschickt.

Papier mit Geschichte

Er nimmt einen Brief in die Hand, prüft ihn für einige Sekunden mit seiner Lupe. «Der ist unglaublich», sagt er. «Da stimmt einfach alles.» Die Marke stammt aus dem Kanton Zürich, abgestempelt am 9. Januar 1844. Damaliger Wert: sechs Rappen. «Eine aus der unteren Bogenecke, die einzige, die ich so kenne.» Ein «Spitzenbrief für allerhöchste Ansprüche», sagt die Beschreibung. 2500 bis 3000 Franken ist er wert. «Ich sammle nur das Beste», so Rust und lächelt zufrieden.

Der Brief steht auf seiner Wunschliste. Und für die ist er heute gewillt, einen sechsstelligen Betrag auszugeben. Seine grösste Leidenschaft sind seit 60 Jahren die Briefmarken. Zeitweise sammelte er auch alte Autos und Weine. «Für viele sind Briefmarken bloss Papierfetzen. Aber für mich haben sie eine Geschichte.»

Unvernünftige Preise

Es sind vor allem männliche Sammler über 60, die eine faszinierende Leidenschaft für Briefmarken haben. Für einige von ihnen spielt Geld keine Rolle. Am Nachmittag ersteigert einer der Sammler einen Brief mit

einer einzelnen Basler Taube für 103 700 Schweizer Franken – ein Rekordpreis. «Unvernünftig», findet das Pierre Rust und schüttelt den Kopf.

Für Applaus sorgt dieser Preis hingegen bei Marianne Rapp Ohmann (38). Sie ist Geschäftsführerin des Auktionshauses. In diesen Tagen erzielt sie den Grossteil ihres Jahresumsatzes, vier Millionen Franken waren es alleine am Dienstag.

«Manchmal kann selbst ich nicht ganz nachvollziehen, wie viel Geld manche Leute für Briefmarken ausgeben», sagt sie. Wie wertvoll eine Marke sei, hänge davon ab, wie selten und wie schön sie ist. Und: «Wenn zwei Sammler eine Marke unbedingt wollen, treibt das den Preis sehr schnell in die Höhe.»

Unter all den älteren Briefmarkensammlern fällt der US-Amerikaner Mustafa Momen (36) auf: Über seinen Laptop verfolgt er eine seiner eigenen Briefmarkenauktionen im Internet. Auf der Auktionsplattform Ebay und über eine eigene Webseite verkauft er Marken, die er an Auktionen auf der ganzen Welt ersteigert hat. «Der Briefmarkenhandel ist seit acht Jahren mein Vollzeitjob», sagt er. In Wil will er Sammlungen aus der ehemaligen Sowjetunion kaufen. «Die Schweizer Briefmarken sind mir zu teuer.»

Was er damit meint, beweist der Preis für das begehrte Basler-Tauben-Paar: Ein Sammler kaufte es gestern für knapp 110 000 Franken.

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