Irgendwann hielt es Samantha G.* (18) einfach nicht mehr aus. Nach monatelangem Mobbing über Snapchat, ask.fm, Whatsapp und andere Plattformen sah die damals 14-Jährige keinen Ausweg mehr. Sie versuchte sich das Leben zu nehmen. Nur mit Glück überlebte sie.
Martina G.* (42), die Mutter von Samantha, brachte sie noch rechtzeitig ins Spital – das war im Sommer 2014. Heute steht die Mutter mit den Eltern von Céline ( † 13) aus Spreitenbach AG in Kontakt. Die nahm sich Ende August das Leben – nach monatelangem Mobbing. Célines Geschichte erinnert Martina G. an die ihrer Tochter.
Im Gespräch mit SonntagsBlick übt sie Kritik an den Behörden. Sie hätten das Mobbing gegen ihre Tochter nicht genügend ernst genommen: «Schule und Polizei verharmlosten das fast tödliche Mobbing.» Die Schule ihrer damaligen Wohngemeinde habe nach mehrwöchiger Auszeit auf einer Rückkehr Samanthas in die alte Klasse bestanden.
«Fette und hässliche Ratte»
Doch G. wollte ihre Tochter nicht zurück in die Mobbing-Klasse schicken. Stattdessen zog die alleinerziehende Mutter zweier Kinder ins Nachbardorf im Aargauer Bezirk Bremgarten.
Aber auch dort wurde die Realschülerin gemobbt: Auf dem Pausenplatz riefen sie ihr Schimpfworte nach, auf der Internetplattform ask.fm beleidigten sie sie als «fette und hässliche Ratte». Diesmal zeigte Samantha die Mobberinnen an.
Erst beim zweiten Anlauf nahm die Polizei die Anzeige überhaupt entgegen, der Jugendanwalt stellte das Verfahren nach kurzer Zeit ein. Die Vorfälle seien Resultat «von über längere Zeit anhaltenden zwischenmenschlichen Konflikten», heisst es in der Einstellungsverfügung. Den Mobberinnen gab der Richter den skandalösen Rat, sich in Zukunft nicht auf Provokationen einzulassen.
Samanthas Mutter kommt zum Schluss: «Die Behörden nehmen das Cybermobbing nicht ernst.» Dabei müssten auch die Täter geschützt werden, findet sie: «Ich könnte nicht mit der Gewissheit leben, einen Menschen in den Tod getrieben zu haben.»
Früher Drogen, heute Internet
Bei der Jugendanwaltschaft Aargau, die in diesem Fall zuständig war, will man sich aus Datenschutzgründen inhaltlich nicht äussern. Man stelle aber eine grosse Verschiebung von Drohung- und Ehrverletzungsdelikten ins Internet fest, sagt Jugendanwalt Hans Melliger.
«Gerade weibliche Jugendliche gelangen dadurch vermehrt wegen solcher Delikte zur Anzeige.» Doch selbst wenn es zu einer Verurteilung kommt, werden die Jugendlichen höchstens zu Medienkompetenzkursen verpflichtet, wie Melliger sagt. «Damit sollen sie möglichst nicht mehr rückfällig werden.»
*Namen der Redaktion bekannt