Deutschschweizer Handwerker im Tessin schikaniert
Job verloren wegen Behörden-Wahnsinn

Weil der Zürcher Bauunternehmer Osvaldo Bariletti (73) nicht im Tessiner Handwerksregister eingetragen ist, drohen ihm bis zu 50’000 Franken Busse. Und er musste auf der Stelle alle Mitarbeiter entlassen.
Publiziert: 02.10.2017 um 23:43 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 03:09 Uhr
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Opfer des neuen Tessiner Gewerbegesetzes: Mirjam Nater (21), Silvano Veronesi (34) und Osvaldo Bariletti (74, v.l.).
Foto: Samuel Golay
Myrte Müller und Viktor Dammann

Es ist kurz vor zehn Uhr. In der Via Varenna von Locarno TI sind die Malergesellen Mirjam Nater (21) und Silvano Veronesi (34) sowie sechs Gipser der Tessiner Firma Barimax bereits bei der Arbeit. Die Truppe kommt aus Zürich, hat seit Mai einen Job im Tessin.

Plötzlich sind laute Stimmen zu hören. Polizisten stürmen die Grossbaustelle, sperren die Strasse ab. Zwei Inspektoren der Aufsichtskommission der Handwerkskammer und andere Kontrolleure durchkämmen Stock für Stock den Rohbau und machen Jagd auf die Deutschschweizer Handwerker. Bewaffnet mit Fotokamera und Notizblock. 

Niemand dürfe die Baustelle verlassen, hätten sie gerufen, erklärt Unternehmer Osvaldo Bariletti (73). «Das alles, ohne sich vorzustellen. Man kam sich vor wie ein Verbrecher.»

«Seit über 30 Jahren arbeite ich im Tessin»

Dabei sei er ein Zürcher Unternehmer mit einer Firmenniederlassung in Muralto TI. «Seit über 30 Jahren baue ich im Tessin Häuser. Ich beschäftige weder Schwarzarbeiter noch Leute zu Dumpinglöhnen», sagt Bariletti.

Und doch verstösst der Zürcher am 13. September 2017 gegen das neue kantonale Gesetz über Handwerksbetriebe (LIA). Danach darf nur auf Tessiner Baustellen arbeiten, wer im kantonalen Handwerksregister eingetragen ist und die vorgeschriebenen Anforderungen erfüllt. 

Osvaldo Bariletti hat zwar ein zweites Bauunternehmen im Tessin. Die Barimax AG gibt es aber erst seit 15 Monaten. Der Eintrag ins Register jedoch schreibt eine Berufserfahrung von mindestens drei Jahren vor.

Laut Leitfaden zum Ausfüllen des Antrags zählt zu den fachlichen Mindestanforderungen ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis in einem Beruf, der zur Berufsgruppe zählt. «Ich bin kein Malergeselle und fürchte, ich kann mich gar nicht eintragen», sagt Bariletti.

Alle Mitarbeiter mussten entlassen werden

Das dicke Ende der Razzia vom Mittwoch: Osvaldo Bariletti muss auf der Stelle alle Mitarbeiter entlassen. Es läuft ein Strafverfahren – ihm drohen bis zu 50’000 Franken Bussgeld!

Sehr bitter ist es  auch für die junge Mirjam Nater: «Ich habe nun kein halbes Jahr gearbeitet und somit keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Ich muss zum Sozialamt betteln gehen. Denn jetzt auf den Winter hin finde ich auch keinen neuen Job.» 

Osvaldo Bariletti hat sich nun einen Anwalt genommen 

Kollege Silvano Veronesi ist stocksauer: «Ich habe in Bern, in Zug, in Luzern gearbeitet. Nirgends musste ich Lösegeld zahlen. Ich fühle mich hier diskriminiert.» 

Eine Frechheit  sei die Registerpflicht, empört sich weiter Bariletti, «Schweizer dürfen nicht in der Schweiz arbeiten. Das verstösst doch gegen die Handels- und Gewerbefreiheit.» Der Zürcher hat sich nun einen Anwalt genommen.

Der Präsident der LIA-Aufsichtskommission, Renzo Ambrosetti, hat wenig Verständnis: «Herr Bariletti hätte den Eintrag wenigstens beantragen müssen. Wir hätten dann geprüft, ob er ins Register darf oder nicht.»

Das Gesetz ist auch in anderen Schweizer Regionen umstritten. So wetterte der Urner Volkswirtschaftsdirektor Urban Camenzind (CVP) in einem Schreiben an die Tessiner Regierung, die Registerpflicht widerspreche der freien Marktwirtschaft und sei nicht vereinbar mit dem Binnenmarktgesetz. Auch im Bündnerland rumort es. 

Marktfeindlich und protektionistisch sei die LIA, kritisiert die Industrie- und Handelskammer der Zentralschweiz. Sogar Bern intervenierte. Die Wettbewerbskommission legte Beschwerde ein.

Tessiner im Vorteil

Das Tessiner Gesetz über die Handwerksbetriebe (LIA) soll Lohndumping und Schwarzarbeit bekämpfen. Doch viele seiner Kritiker glauben, es verschaffe vor allem einheimischen Handwerkern auf Tessiner Baustellen einen Vorteil.

Denn egal ob temporär oder gar nur einmalig: Wer im Tessin im Handwerksberuf arbeiten will, muss sich ins kantonale Handwerksregister eintragen. Für Tessiner macht es Sinn. Für alle jene, die von ausserhalb kommen, um an einem einzelnen Bauprojekt mitzuarbeiten, wird die LIA gern als Schikane betrachtet.

Das umstrittene Gesetz trat am 1. Februar 2016 in Kraft und verlangte bis zum 1. Oktober 2016 von allen im Kanton Tessin tätigen Handwerksbetrieben einen Eintrag ins Register. Doch nicht jeder kann das. So müssen Geschäftsführer, die Handwerker beschäftigen, aber auch Handwerker selber ein eidgenössisches Diplom oder einen Studientitel vorlegen, mindestens drei Jahre Berufserfahrung vorweisen und zu mindestens 50 Prozent im Beruf arbeiten. Es dürfen keine Konkurse oder Verlustscheine vorliegen, die weniger als fünf Jahre zurückliegen.

Wer sich einträgt, muss 600 Franken für die erste Berufsgruppe und 300 Franken für jede weitere hinblättern und jedes Jahr eine Gebühr von je 400 Franken berappen. Das Gesetz richtet sich nicht nur gegen Unternehmen aus dem Ausland, sondern auch gegen Handwerksbetriebe aus anderen Kantonen oder Tessiner, die nicht über ein angemessenes Diplom verfügen.

Das Tessiner Gesetz über die Handwerksbetriebe (LIA) soll Lohndumping und Schwarzarbeit bekämpfen. Doch viele seiner Kritiker glauben, es verschaffe vor allem einheimischen Handwerkern auf Tessiner Baustellen einen Vorteil.

Denn egal ob temporär oder gar nur einmalig: Wer im Tessin im Handwerksberuf arbeiten will, muss sich ins kantonale Handwerksregister eintragen. Für Tessiner macht es Sinn. Für alle jene, die von ausserhalb kommen, um an einem einzelnen Bauprojekt mitzuarbeiten, wird die LIA gern als Schikane betrachtet.

Das umstrittene Gesetz trat am 1. Februar 2016 in Kraft und verlangte bis zum 1. Oktober 2016 von allen im Kanton Tessin tätigen Handwerksbetrieben einen Eintrag ins Register. Doch nicht jeder kann das. So müssen Geschäftsführer, die Handwerker beschäftigen, aber auch Handwerker selber ein eidgenössisches Diplom oder einen Studientitel vorlegen, mindestens drei Jahre Berufserfahrung vorweisen und zu mindestens 50 Prozent im Beruf arbeiten. Es dürfen keine Konkurse oder Verlustscheine vorliegen, die weniger als fünf Jahre zurückliegen.

Wer sich einträgt, muss 600 Franken für die erste Berufsgruppe und 300 Franken für jede weitere hinblättern und jedes Jahr eine Gebühr von je 400 Franken berappen. Das Gesetz richtet sich nicht nur gegen Unternehmen aus dem Ausland, sondern auch gegen Handwerksbetriebe aus anderen Kantonen oder Tessiner, die nicht über ein angemessenes Diplom verfügen.

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