Die grammatische Vielfalt der Sprachen ist riesig. Nur ein Beispiel zeigt sich in der unterschiedlichen Bildung von Fallkonstruktionen. Während beispielsweise im Deutschen bei den Sätzen «Der Turm ist hoch» und «Ein Maler zeichnet den Turm» der Artikel dekliniert wird, kennt man eine solche Anpassung im Französischen nicht ("La tour est haute», «Un peintre dessine la tour").
Ein Drittel der Sprachen weltweit - beispielsweise Hindi - nutzt noch ein anderes grammatikalisches Werkzeug, um zu deklinieren: Sie kennen oftmals keine Artikel und setzen den Fall in Form einer Endung, eines sogenannten «Markers», hinter das Nomen. Die Besonderheit: Reden Hindi-Sprecher über die Gegenwart, fällt der Marker weg. In der Vergangenheit nutzen sie das grammatikalische Anhängsel.
Eine frühere im Fachmagazin «Plos One» erschienene Studie um Balthasar Bickel, ebenfalls von der Universität Zürich, zeigte bereits, dass die Gehirnaktivität beim Zuhören von schwierigen grammatischen Strukturen stärker ist als bei einfachen.
Brauchen auch die Sprechenden mehr Hirnschmalz, wenn sie Fallkonstruktionen bilden? Um dies herauszufinden, mass das internationale Forscherteam um Sauppe die Hirnströme von fünfzig Hindi-Muttersprachlern, die sie in zwei Gruppen einteilten: Die eine Gruppe beschrieb eine Szene auf einem Bild in der Vergangenheit, die andere in der Gegenwartsform.
Demnach benötigten die Studienteilnehmer unabhängig von der gewählten Zeitform gleich lange, bis sie zu sprechen begannen. Doch die Neuronen im Gehirn der Probanden feuerten stärker, wenn sie sich der vermeintlich einfachen Grammatik (also der Gegenwartsform mit dem Marker) bedienten. «Das hat uns wirklich sehr überrascht», sagte Sauppe im Gespräch mit Keystone-SDA. Denn intuitiv sei es komplizierter, Marker zu benutzen.
Doch die Forschenden haben eine Erklärung für ihre Beobachtungen: Weniger grammatikalische Unterscheidungen bieten die Möglichkeit, einen Satz in verschiedensten Formen zu Ende zu führen, was das Gehirn Energie kostet.
Eine frühere Studie zeigte, dass grammatikalische Strukturen, die sich Markern bedienen, im Laufe der Zeit immer unbeliebter wurden. «Die Menschen scheinen sich in ihrer Wahl der Grammatik stärker an ihrem Gegenüber zu orientieren als daran, was für sie einfacher ist», sagte Sauppe. In sozialen Gemeinschaften erscheint dies denn auch schlüssig: Dass Mitmenschen einen gut verstehen, überwiegt die zusätzlich aufgewendete Hirnenergie für kompliziertere Strukturen.
Allerdings birgt Sprechen ohne Marker auch Vorteile: «Man kann möglichst lange flexibel bleiben und muss sich erst spät auf die ganze Aussage festlegen», so der Sprachwissenschaftler.
https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3001038
(SDA)