Wieso ruft ein Fussballer nach dem Richter, wenn er vom Gegner gefoult wird? Und wieso fahren Eltern mit dem Anwalt ein, wenn ihr Sohn die Kanti-Prüfung nicht besteht?
«Der Rechtsweg dient uns manchmal als Ventil», sagt der emeritierte Soziologie-Professor Ueli Mäder (66). «Viele Menschen sind sehr gestresst, sie haben Angst, fühlen sich ohnmächtig.» Wir seien aber oft «Analphabeten im Konfliktaustragen». Also hocken wir in Bereichen, in denen wir uns ausgeliefert fühlen – Arbeit oder Mietverhältnis – auf den Mund. Aber wir brauchen einen Ort, an dem wir Luft ablassen können – und das kann Schwächere treffen oder voreilig vors Gericht führen.
Kompensation als Ursache?
So würden Menschen kompensieren. Das sei ein mögliches Symptom des Zeitgeistes. Ueli Mäder selbst hätte als passionierter Hobbyfussballer und Handballer im Leben «auch schon wegen eines Fouls verklagt werden können», sagt er und verrät: «Ich habe einem Gegner beim Fussball das Bein gebrochen. Und ich erhielt einmal bei einem Handball-Nationalligaspiel einen so brutalen Kinnhaken, dass ich im Spital landete – zwei Wochen vor der Matura.» In beiden Fällen wäre «uns niemals in den Sinn gekommen, deswegen mit dem Richter zu drohen», sagt er. Aber je nachdem könne das auch einmal nötig sein.
Aber nimmt die Anzahl Gerichtsprozesse wegen Alltagsstreitigkeiten denn tatsächlich zu? Zahlen dazu gebe es nicht, sagt der Medienverantwortliche des Schweizerischen Verbands der Friedensrichter und Vermittler, Markus Zubler. Er persönlich habe aber «nicht das Gefühl, dass die Leute heute schneller prozessieren wollen als früher». Im Gegenteil, Personen, die klagen könnten, «machen immer noch viel zu häufig lieber die Faust im Sack, weil sie denken, dass es zu aufwendig sei, den Rechtsweg zu beschreiten».
Kein Zeichen der Verrohung der Gesellschaft
Und auch Mäder sieht positive Entwicklungen: «Wir haben keine Verrohung der Gesellschaft, viele Dorfgemeinschaften, aber auch Neubausiedlungen funktionieren erstaunlich gut», so der Soziologe. Soziale Kontrolle sei von einem Extrem, «als der Nachbar alles wusste und jeder jeden kannte», ins andere, in eine stärkere Anonymität und Individualität, umgeschlagen. «Aber das kann sich einpendeln – in ein ausgewogeneres Mittelmass», so Mäder.
Trotzdem: Dauerbrenner vor dem Friedensrichter seien die klassischen Nachbarschaftsstreitigkeiten, berichtet Markus Zuber aus der Praxis. «Zum Beispiel wegen Ästen, die ins Grundstück des Nachbarn ragen.»
«Wir sind eine stark individualisierte Gesellschaft. Das fördert schon etwas den Ego-Trip», sagt Soziologe Mäder. «Wenn wir uns jedoch vorwiegend auf Kosten von andern durchsetzen, dann leiden die sozialen Beziehungen, ohne die eine Gesellschaft nicht funktionieren kann. Vielleicht merken wir, dass wir da wieder etwas mehr zulegen müssen – statt Stellvertreterkonflikte mit Hilfe der Justiz auszutragen.»
> Im Zürcher Oberland hat das Bezirksgericht 2016 den Zwerghahn «Rambo» zu Nachtruhe verdonnert. Die Nachbarn hatten sich wegen des Lärms beschwert, weil der Hahn nachts immer wieder für Unruhe sorgte. Das Gericht entschied schliesslich, er dürfe bleiben, müsse aber die Nacht im Hühnerstall verbringen.
> 2016 zeigte eine Schule aus Bülach ZH ein Ehepaar an, weil es mehrmals unentschuldigt den Elternabend schwänzte. Es soll gegen das Volksschulgesetz verstossen haben. Via Statthalteramt wurde den Eltern eine Busse von 200 Franken aufgebrummt. Das Bezirksgericht sprach das Ehepaar aus Jamaika aber frei, weil die Schule zu wenig klar kommuniziert hatte, dass es sich um einen obligatorischen Schulanlass handelte.
> Weil eine Frau (80) im Juli 2015 eine Katze befreien wollte, wurde sie vom Urner Landgericht wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung verurteilt. Die Frau hatte auf dem Pacht-Hof ihrer Tochter mit einer Eisensäge ein Vorhängeschloss am Tor eines Schuppens geknackt, um die besagte Katze rauszuholen. 50 Franken Sachschaden war entstanden. Wegen geringfügiger Schuld und Tatfolge verzichtete der Richter aber auf eine Strafe.
> Ein Sechstklässler bestand 2016 die Aufnahmeprüfung für ein Zürcher Langzeit-Gymi nicht, weil er im Aufsatz die Note zwei kassiert hatte. Mit einer drei hätte er es geschafft. Die Eltern rekurrierten deshalb bis vor das kantonale Verwaltungsgericht. Das Gericht forderte von der Kantonsschule eine Überprüfung des Aufsatzes. Die Begründung: Dieser sei zwar unkonventionell, doch der Schüler habe die Aufgabe nicht missachtet. Die Kantonsschule musste sich dem beugen – und den Aufsatz neu beurteilen. Marijana Zeko
> Im Zürcher Oberland hat das Bezirksgericht 2016 den Zwerghahn «Rambo» zu Nachtruhe verdonnert. Die Nachbarn hatten sich wegen des Lärms beschwert, weil der Hahn nachts immer wieder für Unruhe sorgte. Das Gericht entschied schliesslich, er dürfe bleiben, müsse aber die Nacht im Hühnerstall verbringen.
> 2016 zeigte eine Schule aus Bülach ZH ein Ehepaar an, weil es mehrmals unentschuldigt den Elternabend schwänzte. Es soll gegen das Volksschulgesetz verstossen haben. Via Statthalteramt wurde den Eltern eine Busse von 200 Franken aufgebrummt. Das Bezirksgericht sprach das Ehepaar aus Jamaika aber frei, weil die Schule zu wenig klar kommuniziert hatte, dass es sich um einen obligatorischen Schulanlass handelte.
> Weil eine Frau (80) im Juli 2015 eine Katze befreien wollte, wurde sie vom Urner Landgericht wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung verurteilt. Die Frau hatte auf dem Pacht-Hof ihrer Tochter mit einer Eisensäge ein Vorhängeschloss am Tor eines Schuppens geknackt, um die besagte Katze rauszuholen. 50 Franken Sachschaden war entstanden. Wegen geringfügiger Schuld und Tatfolge verzichtete der Richter aber auf eine Strafe.
> Ein Sechstklässler bestand 2016 die Aufnahmeprüfung für ein Zürcher Langzeit-Gymi nicht, weil er im Aufsatz die Note zwei kassiert hatte. Mit einer drei hätte er es geschafft. Die Eltern rekurrierten deshalb bis vor das kantonale Verwaltungsgericht. Das Gericht forderte von der Kantonsschule eine Überprüfung des Aufsatzes. Die Begründung: Dieser sei zwar unkonventionell, doch der Schüler habe die Aufgabe nicht missachtet. Die Kantonsschule musste sich dem beugen – und den Aufsatz neu beurteilen. Marijana Zeko