Schwere Vorwürfe gegen berühmten Pädagogen
Wie viele Schüler hat er missbraucht?

Jürg Jegge (73) galt als Lichtgestalt der Pädagogik. Doch das heute erscheinende Buch «Jürg Jegges dunkle Seite – Die Übergriffe des Musterpädagogen», erhebt schwere Vorwürfe: Jegge soll über Jahre Jugendliche und Erwachsene missbraucht haben.
Publiziert: 05.04.2017 um 09:36 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 09:47 Uhr
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Jürg Jegge stellt 1977 sein Buch «Dummheit ist lernbar» vor.
Foto: Keystone
Gabriela Schwegler

Er war ein gefeierter Pädagoge, galt als Lichtgestalt der Schweizer Volksschule: Jürg Jegge (73). Über 200'000-mal verkaufte sich sein Hit «Dummheit ist lernbar» (siehe Box). Noch letztes Jahr schrieb die «Weltwoche» über Jegge: «Kaum jemand hat die moderne Schweizer Volksschule dermassen geprägt wie er.»

Seit gestern ist der Lack ab, ein Buch verändert alles. In «Jürg Jegges dunkle Seite – Die Übergriffe des Musterpädagogen» schreibt Autor Markus Zangger (59) vom jahrelangen sexuellen und psychischen Missbrauch durch seinen einstigen Lehrer.

1970 trat Zangger in eine Kleinklasse an Jürg Jegges Sonderschule in Embrach ZH ein. Der Pädagoge habe eine freundschaftliche Beziehung mit ihm aufgebaut, sagte Zangger gestern an der Pressekonferenz im Zürcher Volkshaus. Jegge habe ihn mitgenommen auf Ausfahrten mit dem Auto, in sein Maiensäss, in seine Wohnung. 1971 soll es zum ersten Übergriff gekommen sein. Damit sind die Taten heute strafrechtlich verjährt.

Zum Onanieren aufgefordert

Zangger sagt, Jegge hätte ihm zwischen die Beine gefasst oder ihn zum Onanieren aufgefordert, und das als «neue Therapie, über die man noch nicht sprechen darf» verkauft. «Dureschnuufä», nannte Jegge seinen Ansatz. Ausführlicher wollte Zangger am Medienanlass nicht werden, «Sie wollen gar nicht wissen, was er alles mit mir gemacht hat», sagte er.

Nach der Publikation der Vorwürfe meldete sich gestern ein weiteres mutmassliches Opfer von Jegge bei BLICK: «Die Enthüllung hat mich getroffen wie ein Blitz. Ich bewundere Markus Zangger für seinen Mut, den ersten Schritt zu machen», sagt der 51-jährige Mann, der anonym bleiben möchte.

Er begann mit 22 Jahren in der Stiftung Märtplatz, die Jegge 1985 gegründet hat. Die Ausbildungsstätte in Rorbas-Freienstein ZH richtet sich laut Website an «junge Menschen in besonderen Lebenslagen». Er sei während sechs Jahren den Übergriffen Jegges ausgeliefert gewesen. «Er sagte, ich wäre dank seiner Streicheltherapie sehr schnell von allen psychischen Problemen geheilt, dreimal schneller als mit einer herkömmlichen Psychotherapie. Es ist eine unglaubliche Frechheit, wie er mich und viele andere ausgenutzt und von sich abhängig gemacht hat.»

Missbrauch in alkoholisiertem Zustand

Jegge selber kommt in Zanggers Buch nur in Form eines Briefes zu Wort, den er seinem ehemaligen Schüler 2015 geschrieben haben soll. Darin schreibt Jegge: «Es ging um eine Befreiung der Seelen und der Köpfe von Zwängen, die sie bis jetzt in Schach gehalten hatten. Und diese Befreiung wäre eher zu erreichen, wenn sie einherginge mit einer Befreiung des Körpers und seiner Sexualität.»

Zum Schluss des Briefes fragt Jegge: «Hast Du, habt Ihr den Eindruck, dass das Dir, dass das Euch geschadet hat?» Buchautor Zangger wertet den Brief als Beweis, dass er nicht das einzige Opfer war. Er selber wagte erst mit 27 Jahren seinem einstigen Lehrer Jegge zu sagen, dass er nicht mehr angefasst werden wolle. Bis dahin soll es sporadisch zu Missbräuchen in Jegges Wohnung gekommen sein, immer in betrunkenem Zustand.

Jürg Jegge hat sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäussert. BLICK versuchte bis Redaktionsschluss erfolglos, den Pädagogen zu erreichen.

«Dummheit ist lernbar»

Das Buch ist ein Klassiker in der Schweizer Bildungsliteratur: Über 200'000-Mal hat sich «Dummheit ist lernbar» von Jürg Jegge seit 1976 verkauft. Die Aussagen im Bestseller bekommen nach den Enthüllungen von Markus Zangger einen fahlen Beigeschmack:

«Da ist vor allem auch der Lehrer, der jetzt eine Art ‹Dreierrolle› Lehrer/Therapeut/älterer Kamerad annimmt. Das Kind fühlt sich nicht mehr schutzlos dem Druck von aussen einerseits und seinen Gefühlen andererseits preisgegeben.»

«Das heisst zunächst ganz einfach, dass ich ihm Gelegenheit geben muss, hin und wieder mit mir allein zu sein  – oder gemeinsam mit den paar bereits erwähnten engsten ‹Vertrauten›.»

«Es gibt auch Schüler, die sich schlicht bei mir zum Kaffee einladen. Dies ist aber am Anfang meist selten. Eher macht sich ein Kind über die Möglichkeiten lustig, erscheint nicht usw. Ich biete ihm aber die Gelegenheiten trotzdem weiter an, und sie werden immer lieber und immer regelmässiger ergriffen. Später lässt sich meist dort, wo es nötig scheint, eine regelmässige ‹Therapiestunde› einrichten.»

Das Buch ist ein Klassiker in der Schweizer Bildungsliteratur: Über 200'000-Mal hat sich «Dummheit ist lernbar» von Jürg Jegge seit 1976 verkauft. Die Aussagen im Bestseller bekommen nach den Enthüllungen von Markus Zangger einen fahlen Beigeschmack:

«Da ist vor allem auch der Lehrer, der jetzt eine Art ‹Dreierrolle› Lehrer/Therapeut/älterer Kamerad annimmt. Das Kind fühlt sich nicht mehr schutzlos dem Druck von aussen einerseits und seinen Gefühlen andererseits preisgegeben.»

«Das heisst zunächst ganz einfach, dass ich ihm Gelegenheit geben muss, hin und wieder mit mir allein zu sein  – oder gemeinsam mit den paar bereits erwähnten engsten ‹Vertrauten›.»

«Es gibt auch Schüler, die sich schlicht bei mir zum Kaffee einladen. Dies ist aber am Anfang meist selten. Eher macht sich ein Kind über die Möglichkeiten lustig, erscheint nicht usw. Ich biete ihm aber die Gelegenheiten trotzdem weiter an, und sie werden immer lieber und immer regelmässiger ergriffen. Später lässt sich meist dort, wo es nötig scheint, eine regelmässige ‹Therapiestunde› einrichten.»

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