Zum Mond hat es Claude Nicollier nicht ganz geschafft. Der heute 74-jährige Physiker und Pilot wurde 1977 in die erste Astronautengruppe der europäischen Weltraumorganisation aufgenommen. In den Neunzigerjahren umkreiste er die Erde auf vier Missionen mit dem Spaceshuttle. Damals lagen die Mondreisen der Amerikaner schon weit zurück.
Der erste Höhepunkt der Nasa-Mond-Missionen jährt sich dieser Tage zum fünfzigsten Mal. An Heiligabend und an Weihnachten 1968 umkreiste die Kapsel der Apollo 8 den Erdtrabanten. Weil sieben Monate später die historische Mondlandung glückte, ist dieses Ereignis zu Unrecht etwas in Vergessenheit geraten.
SonntagsBlick traf den einzigen Schweizer Raumfahrer diese Woche zum Gespräch an der ETH Zürich. Nicollier, der am Westschweizer EPFL in Lausanne lehrt, hielt hier einen Vortrag. Auch bald zwanzig Jahre nach seinem letzten Flug an Bord der Raumfähre Discovery (Dezember 1999) ist der Universitätsprofessor ein gefragter Mann. Seine Begeisterung für die Weltraumforschung ist noch immer riesig. Doch der Umgang der Menschen mit der Erde ist für ihn das wichtigere Thema.
Herr Nicollier, vor genau 50 Jahren umkreisten erstmals Menschen den Mond. Erinnern Sie sich an die historische Mission?
Claude Nicollier: Ja, ich verfolgte genau, was passierte. Schliesslich war ich damals ein junger Mann, ein Kampfpilot und Physiker. Ich war von der Raumfahrt begeistert, obwohl es dannzumal unmöglich schien, dass dereinst ein Schweizer mitfliegen könnte. Das war eine Sache der Amerikaner und der Sowjets.
1968 träumten Sie also nicht von einem Flug ins All?
Träumen? Ja, schon, aber es schien in dieser Zeit absolut unmöglich. Erst als nach dem Ende des Apollo-Programms auch Europäer von der Nasa aufgenommen wurden, bemühte ich mich darum. Das war die Verbindung meiner beiden grossen Leidenschaften: Fliegerei und Astrophysik.
Die Apollo-Astronauten umkreisten den Mond an Heiligabend 1968 und sie
lasen dabei aus der Schöpfungsgeschichte: Macht Raumfahrt einen Menschen spirituell?
Ich wurde zwar protestantisch erzogen, hatte aber immer meine Mühe mit der christlichen Lehre. Doch der Gedanke, dass die Welt mehr ist als Atome und Vakuum, war immer in mir: Dass da eine Kraft ist, die das Universum in eine bestimmte Richtung lenkt. In diesem Sinne bin ich gläubig. Dass der Mensch forschen und entdecken kann, ist für mich eine göttliche Gabe, sie ist allein uns gegeben, anscheinend nicht den Schnecken oder Schmetterlingen. Das bringt uns eine unglaubliche Befriedigung, es ist beinahe eine Form von Religion.
Umso mehr, wenn man im All schwebt?
In der Raumfähre zu schweben ist ein einmaliges Gefühl. Ich erlebte auf meinen Flügen die unglaubliche Schönheit der Erde und des Himmels – jenseits von allem, was ich mir hätte vorstellen können. Das war beinahe übernatürlich. Ich hatte auch stets Respekt für die Natur, die Tiere, die Gewaltlosigkeit.
Da spricht jetzt aber nicht der Kampfpilot Claude Nicollier!
Der Zweck der Luftwaffe ist die Verteidigung. Ich empfand immer eine grosse Loyalität für mein Land. Und wenn die Schweiz sich hätte verteidigen müssen, hätte ich das getan. Damals herrschte der Kalte Krieg. Einen Hunter zu fliegen, war zugleich eine sehr gute Gelegenheit, Risikomanagement zu trainieren. Da müssen Sie lernen, sich gut vorzubereiten und rasch zu entscheiden. Eine Schule fürs Leben.
Sie sagten einmal, dass Ihnen der Anblick der Erde aus dem All die Verletzlichkeit unseres Planeten bewusst gemacht habe. Wie meinten Sie das?
Die Schönheit ist das Erste, was einem durch den Kopf geht. Schaut man genauer hin, sieht man die Narben, die der Mensch dem Planeten geschlagen hat. Die Spuren der Feuer in den Wäldern auf Madagaskar, in Indonesien, Zentralafrika, Südamerika. Dann realisieren Sie, wie zerbrechlich dieser Planet ist. Wie dünn die Atmosphäre ist, die man da betrachtet.
Auch wenn die Raumfahrt die Sensibilität für den Erhalt des Planeten gesteigert hat, zeigen die jüngsten Diskussionen auch in der Schweiz, wie schwer sich die Politik tut, griffige Massnahmen gegen den immer
bedrohlicheren Klimawandel zu ergreifen.
In dieser Hinsicht ist die Uneinigkeit unter den Nationen enttäuschend. Und das schwarze Schaf sind die USA. Ich habe einen sehr grossen Respekt für die Amerikaner und für ihren Mut in der Entdeckung und Forschung. Für die Politik des Weissen Hauses weniger.
Und wo sehen Sie da die Schweiz?
Die Schweiz ist nicht das beste Beispiel. Wir könnten mehr tun, um unseren Beitrag zu leisten. Andere Länder, gerade in Skandinavien, sind uns weit voraus.
Zum Beispiel?
Nehmen Sie die Windkraft, da braucht es hierzulande mehr Engagement. Dabei müssen wir auch akzeptieren, dass sich die Landschaft ändert, wenn wir Windräder aufstellen. Ehrlich
gesagt, mich würde es nicht stören, stünde eines in meinem Garten (lacht).
Das Apollo-Programm, über
das wir eingangs sprachen, wurde in den 60er- und 70er-Jahren verwirklicht, in einer
Zeit des gesellschaftlichen Aufbruchs. Wäre ein solch visionäres Projekt in der heutigen Zeit überhaupt noch denkbar?
Der Kalte Krieg war auch ein Wettrennen – und die Amerikaner waren zu jener Zeit besser für Mondreisen gerüstet als die Russen. Dieser Konkurrenzdruck existiert fast nicht mehr, die Nationen kooperieren heute viel stärker. Auch wenn China ein eigenes Programm vorantreibt: Das All bringt die Länder zusammen.
Der amerikanische Astronaut John Glenn war in Ihrem Alter, als er zum letzten Mal eine Rakete bestieg. Angenommen, Sie erhielten die Möglichkeit, noch einmal in den Weltraum zu reisen, würden Sie es tun?
Ich bin gut in Form, geistig und körperlich. Natürlich vermisse ich es, in der Erdumlaufbahn zu sein. Aber ich hatte vier wundervolle Missionen und ich will keinem jungen Astronautenkollegen diese Gelegenheit verbauen. Ja, ich möchte wieder in den Weltraum fliegen. Aber – ehrlich gesagt: Ich brauche es nicht!
Claude Nicollier (79) ist bis heute der einzige Schweizer Astronaut, der je im Weltraum war. Gleich viermal (1992, 1993, 1996 und 1999) umkreiste der Wissenschaftler und Pilot die Erde an Bord eines amerikanischen Spaceshuttles. Insgesamt verbrachte er 42 Tage, 12 Stunden, 6 Minuten und 9 Sekunden im Weltraum, umrundete 680-mal die Erde und verbrachte 8 Stunden und 10 Minuten ausserhalb der US-Raumfähre. Seine wohl wichtigste Aufgabe war 1993 die erfolgreiche Reparatur des Weltraumteleskops Hubble. Nicollier ist seit 17 Jahren Witwer, hat zwei Töchter und lebt in Vufflens-la-Ville VD bei Lausanne.
Claude Nicollier (79) ist bis heute der einzige Schweizer Astronaut, der je im Weltraum war. Gleich viermal (1992, 1993, 1996 und 1999) umkreiste der Wissenschaftler und Pilot die Erde an Bord eines amerikanischen Spaceshuttles. Insgesamt verbrachte er 42 Tage, 12 Stunden, 6 Minuten und 9 Sekunden im Weltraum, umrundete 680-mal die Erde und verbrachte 8 Stunden und 10 Minuten ausserhalb der US-Raumfähre. Seine wohl wichtigste Aufgabe war 1993 die erfolgreiche Reparatur des Weltraumteleskops Hubble. Nicollier ist seit 17 Jahren Witwer, hat zwei Töchter und lebt in Vufflens-la-Ville VD bei Lausanne.
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