Hier führen Neonazis die Demo in Bern an
0:54
Rechtsextreme an der Spitze:Hier führen Neonazis die Demo in Bern an

Neonazis übernehmen Corona-Demos
«Weiter so, Jungs, wir brauchen euch!»

Deutschland, Österreich und jetzt auch in der Schweiz: Rechtsextreme setzen sich an die Spitze von Corona-Demos. Zufall ist das nicht, die Aktionen sind koordiniert. Sicherheitsbehörden warnen.
Publiziert: 30.01.2022 um 00:53 Uhr
|
Aktualisiert: 31.01.2022 um 10:24 Uhr
1/10
Bern vor einer Woche: Vermummte Neonazis marschieren an der Spitze der Corona-Demo.
Foto: keystone-sda.ch
Fabian Eberhard

Ihre Blitzaktion sorgte für Schlagzeilen: Erstmals in der Schweiz setzten sich vermummte Rechtsextreme an die Spitze einer Corona-Demo. Vor einer Woche führten knapp 50 Neonazis in Bern einen Umzug von 2000 Massnahmengegnern an, mit Megafonen und rot-weissem Front-Transparent: «Jetzt ist Schluss!»

Das sei «völlig neu», meinte Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause kurz nach der Aktion. Die Entwicklung bereite ihm Sorgen.

Die militante Junge Tat übernahm die Spitze

Wer sind die Vermummten? Wie überraschend kommt ihr Aufmarsch? Wie reagiert die Bewegung?

Die Rechtsextremen mischen schon lange mit. Sie stammen aus dem Umfeld der Identitären Bewegung und des in Deutschland verbotenen Neonazi-Netzwerks Blood and Honour.

Koordiniert hat die Berner Aktion eine militante, schnell wachsende Organisation junger Rechtsradikaler. Ihr Anführer: der Judenhasser, verurteilte Rassist und Waffenfanatiker M. C.* (21). Im Livestream während der Demo sagte er: «Wir sind die Junge Tat, die junge patriotische Gruppierung, die gegen Impfzwang und die ungerechtfertigten Massnahmen einsteht und heute an der Demo eine Spitze bildet.»

Den «Kameraden» im Ausland abgeschaut

Als sich die Rechtsextremisten in Bern nach vorne drängten, hinderte niemand sie daran. Zu unorganisiert war der unbewilligte Aufmarsch. Das Schwächeln der Bewegung ist die Stärke der Neonazis. Seit dem deutlichen Ja zum Covid-Gesetz sinken die Teilnehmerzahlen an Kundgebungen, führende Köpfe fuhren ihr Engagement zurück. Nun treten die Neonazis aus dem Schatten – und füllen das Machtvakuum.

Recherche-Hinweise

Hast du Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreibe uns: recherche@ringier.ch

Hast du Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreibe uns: recherche@ringier.ch

Die Junge Tat versucht seit vielen Monaten, die Bewegung der Massnahmengegner zu instrumentalisieren. Anfangs versteckt als «Jugend gegen Impfzwang», mit der Zeit immer offener. Abgeschaut haben sie ihre Aktionen den «Kameraden» im Ausland. Auch in Deutschland und Österreich kapern Rechtsextreme erfolgreich die Demos gegen die Corona-Massnahmen. Immer häufiger kommt es bei Aufmärschen zu Gewalt gegen Polizisten und Medienschaffende.

Das Vorbild für die neurechte Szene, zu der auch die Junge Tat gehört, ist Wien. Seit die österreichische Regierung eine Impfpflicht beschlossen hat, protestieren dort Samstag für Samstag Zehntausende. Den Inhalt und die Symbolik der Demos bestimmen zunehmend militante Rechte, allen voran Aktivisten um Martin Sellner, der Kopf der Identitären Bewegung.

Szene ist grenzüberschreitend vernetzt

In Wien haben auch die rot-weissen Transparente ihren Ursprung. Markige Botschaften, in Szene gesetzt von Vermummten: «Kontrolliert die Grenze, nicht euer Volk!» Oder: «An uns bricht eure Nadel.» Seit einigen Wochen tauchen fast identische Plakate an Corona-Demos in Dutzenden deutschsprachiger Städte auf, nun auch in Bern.

Die Szene ist über die Grenzen hinweg vernetzt – eine rechtsextreme Internationale. In Bern waren Neonazis aus dem Ausland mit dabei, etwa der Dortmunder M. W.*. Die Rechercheplattform zur Idenitären Bewegung machte ein Selfie von ihm vor dem Bundeshaus publik. Auf Instagram erhielt er dafür ein Like des Identitären-Chefs Sellner aus Österreich.

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) teilt mit, dass er die Lage laufend beurteile. Sprecherin Lea Rappo: «Der NDB stellt derzeit fest, dass ein Teil der Gegner von Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie Gewalttaten befürwortet, fördert oder ausübt.» Dazu gehörten nicht nur «gewalttätige Corona-Extremisten». Auch militante Rechtsextreme würden versuchen, in diesem Umfeld ihre Botschaften zu platzieren.

«Rechtsextremisierung» des Protests

Konkreter wird der österreichische Geheimdienst. Am Freitag warnte der Chef der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst, Omar Haijawi-Pirchner, vor einer Internationalisierung der Corona-Proteste.

Die Entwicklung sei «sehr beängstigend». Laut Haijawi-Pirchner stammen viele Aktivisten aus der rechten Szene. «Sie nutzten die Demonstrationen, um ihre antisemitische Ideologie zu verbreiten und sich mit anderen Rechtsextremisten zu treffen und Netzwerke aufzubauen.» Der deutsche Verfassungsschutz sprach von einer «Rechtsextremisierung» des Protests.

Dass Neonazis in der Schweizer Corona-Bewegung auf wenig Widerspruch stossen, ist kein Zufall. Inhaltlich wie personell bestanden schon immer Anknüpfungspunkte. Die Grundkritik der Corona-Demos ähnelt dem Narrativ, dessen sich rechtsextreme Gruppen seit Jahren bedienen. Sie propagieren eine radikale Haltung gegen den Staat, misstrauen sämtlichen Autoritäten, die in irgendeiner Weise den Alltag mitbestimmen. Die Feinde sind die gleichen: Politikerinnen, Journalistinnen, Wissenschaftler. Kommt hinzu: Antisemitische Verschwörungstheorien und die Verharmlosung des Holocaust waren stets Bestandteile der Bewegung.

Massnahmengegner Spiri: «Schande von Bern»

Das durchmischte Milieu der Massnahmengegner tat sich von Anfang an schwer mit der Abgrenzung von rechtsextremen Agitatoren. Die Neonazis von Bern ernten in den Telegram-Chats denn auch wohlwollende Kommentare. Ein Unterstützer schreibt: «Sie haben den Mut, die Demo zu führen. Weiter so, Jungs, wir brauchen euch!»

Doch es gibt auch kritische Stimmen. Joyce Küng, «Weltwoche»-Autorin und glühende Massnahmengegnerin, zeigte sich auf Twitter schockiert über die Ereignisse von Bern: «Das hat mich erschüttert, und von uns haben viele wirklich Mühe damit gehabt.»

Robin Spiri, dem auf Telegram Zehntausende Massnahmengegner folgen, nennt die Vorgänge sogar «Schande von Bern». Am Tag nach der Demo schrieb er: «Ich verurteile das aufs Schärfste und bitte alle Bürgerrechtler, dem entgegenzutreten.» Falls dies nicht geschehe, sei er «raus». Kurz darauf löschte Spiri seine Ansage. Die Reaktionen waren zu heftig ausgefallen.

* Namen der Redaktion bekannt

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?