Christine Madl (50) aus Kleindietwil BE nimmt einen tiefen Atemzug. Die Sonne scheint über dem Bodensee, der Rasen ist gestutzt.
Die IT-Projektleiterin beim Bund nimmt sich fernab von zu Hause eine Auszeit zum Fasten. 17 Personen treffen sich eine Woche lang im Hotel Höri in Gaienhofen (D) nahe der Schweizer Grenze zum gemeinsamen Verzicht. Kein Essen und kaum Ablenkung: Beim meditativen Fasten suchen die Teilnehmer die innere Einkehr – Seelennahrung statt Fastfood. Geist und Magen sollen leicht sein.
Zu Hause wartet ein stressiger Job auf Christine Madl. «Hier habe ich Zeit, mein Leben zu reflektieren. Wenn ich wieder ins Büro zurückkomme, will ich einiges ändern. Dann werden andere Saiten aufgezogen! Die Arbeit kommt dann nicht mehr an erster Stelle, sondern vielleicht sogar erst an dritter», sagt sie und lacht. «Mein Chef soll das ruhig lesen!»
«Gestern hatte ich eine Krise»
Meditation mit Bewegung, Schreiben, Malen und Basteln sollen den «Weg zum Neubeginn» ebnen, wie das Programm heisst. Zum Zmorge gibt es einen Tee, zum Zmittag Tee mit Saft und zum Znacht eine Suppe, tagsüber viel Wasser und Sonnenlicht. Das muss reichen.
Es ist Dienstag, der dritte Fastentag: Unternehmer Toni Wild (58) aus Wetzikon ZH nippt an einem Wasser mit Ingwer und Limette. «Gestern hatte ich eine Krise, heute geht es mir besser. Ich habe auf diesen Energieschub gewartet, das ist so ein Glücksgefühl beim Fasten, bei dem man keinen Hunger mehr spürt.»
Die schöne Umgebung helfe beim Abschalten. «Ich habe auch schon zu Hause gefastet, das war schwierig, auch wurde ich von den Kollegen ständig hochgenommen.» Wild ist bereits das zweite Mal dabei. «Vor dem ersten Mal war ich erschöpft und überlastet, die Kur hat mir wieder zu Energie verholfen.»
Extra aus Brasilien angereist
Frauen sind hier jedoch in der Überzahl. «Zen-Buddhismus interessiert Männer eher als meditatives Fasten – doch die, die kommen, sind begeistert», sagt Kursleiterin Judith Wettstein. Letztes Jahr kamen zwei Männer. Ihre Sekretärin hatte sie angemeldet, sie wussten nicht, was ihnen blüht. «Dieses Jahr war ich überrascht, weil sie sich wieder angemeldet hatten.»
Laurette Alvares (62) fastet zum ersten Mal. «Es ist für mich ein Neuanfang und passt zum Frühling», sagt die Auslandschweizerin. Sie ist extra aus Brasilien angereist.
Der Verzicht auf feste Nahrung scheint hier keinem der Teilnehmer schwerzufallen.
«Abends essen wir die Suppe in der Stille, das ist auch eine Meditation», sagt Käthi Brunner Räss (55) aus Winterthur ZH. Sie ist zum 11. Mal dabei. «Zu Hause freue ich mich dann natürlich umso mehr aufs Essen und weiss es zu schätzen», sagt Brunner Räss. Das Fastenbrechen mit einem Apfel wird von ihr jeweils zelebriert. «Ich singe und tanze, wenn ich wieder etwas essen kann.»