Gefährliche Sicherheit
Lawinen-Airbags verleiten zu mehr Risiko

Lawinengefahr ist ihnen egal: Freerider fahren trotzdem in steile Hänge. High-Tech-Ausrüstung gibt ihnen falsche Sicherheit.
Publiziert: 30.12.2018 um 18:53 Uhr
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Skitouren- und Freerider sind immer besser ausgerüstet – heute gehören Airbag fast schon zum Standard.
Foto: Keystone
Cyrill Pinto
Cyrill PintoReporter SonntagsBlick

Gleich an zwei Tagen – am 25. und 26. Dezember – gingen im gleichen Gebiet Lawinen ab. An beiden Tagen wurden Personen mitgerissen und verschüttet. Nur dank des schnellen Einsatzes der Retter konnten sie unverletzt aus den Schneemassen befreit werden.

Der Zermatter Rettungschef Anjan Truffer (44) war jeweils vor Ort. Er kennt das Gebiet Hohtälli oberhalb des Gornergrats bei Zermatt VS gut: «Es ist bei Free­ridern bekannt und wird oft befahren.» Trotz Lawinengefahr verlassen Skifahrer dort regelmässig die markierte Piste und nehmen die steile Variantenabfahrt rechts – laut Schnee- und Lawinenforschungsinstitut (SLF) in Davos GR verloren in dem Gebiet seit 2006 fünf Menschen ihr Leben.

Auch vergangene Woche fuhren mehrere Dutzend Skifahrer den verlockenden Pulverhang hinab, bevor die Lawine folgte. «Die Variantenfahrer gehen auf der ­Suche nach einer noch nicht befahrenen Linie ein immer grösseres Risiko ein.»

Bereit, gefährlichere Steilhänge zu befahren

Truffer beobachtet bei den Freeridern einen gefährlichen Trend: «Die Leute sind sehr gut ausgerüstet und gehen deshalb höhere Risiken ein.» Tatsächlich waren alle fünf Freeskier in Zermatt, die am Mittwoch in die Lawine gerieten, mit einem Lawinenairbag ausgerüstet. Einer der Variantenfahrer, der den seinen nicht auslöste, wurde als Einziger komplett verschüttet.

Eine neue Studie belegt Truffers Beobachtung: Tatsächlich gehen Variantenfahrer ein höheres Risiko 
ein, sobald sie mit einem ­Lawinenairbag ausgerüstet sind. Vor allem sind sie eher bereit, gefährlichere Steilhänge zu befahren, als Fahrer ohne Airbag,wie die Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) zweifelsfrei belegt.

Konsultation des Lawinenbulletins

Ueli Mosimann von der Fachgruppe Sicherheit im Bergsport beim Schweizer Alpen-Club (SAC) kennt 
dieses Phänomen. Für ihn ist deshalb eine gute vorgängige Planung zentral.

«Es braucht eine gute ­Risikobeurteilung. Die Gefahr in eine Lawine zu geraten, muss möglichst ausgeschlossen werden», meint Mosimann. Dazu gehöre die Konsultation des Lawinenbulletins und die Beur
teilung des Hangs, den man befahren will. Laut dem Experten spielt es eine grosse Rolle, ob ein Schneehang nach Süden oder Norden ausgerichtet ist.

Gerät man trotz aller Vorsichtsmassnahmen in eine Lawine, sind Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS) und Airbag lediglich eine 
zusätzliche Sicherheit, die kein Überleben garantieren. «Nur rund 50 Prozent aller Vollverschütteten überleben einen Lawinenunfall – trotz LVS», weiss Mosimann.

Keine absolute Sicherheit

Hinzu kommt: Auch Airbags bieten keine absolute Sicherheit. Wie im aktuellen Fall bei Zermatt zeigen Tests, dass Lawinenairbags nicht zuverlässig ausgelöst werden. Das liege daran, dass man das Ziehen der Airbags nicht üben könne. «Im Ernstfall muss der Airbag jedoch innert Sekunden ausgelöst werden, sonst ist es zu spät», sagt Mosimann.

In den letzten Tagen herrschte nach dem Neuschnee an Heiligabend in weiten Teilen der Alpen erhebliche Lawinengefahr, in Steilhängen die gegen Norden ausgerichtet sind, ist das Risiko besonders gross.
«Für die Einschätzung der Lawinengefahr an einem spezifischen Hang braucht es viel Erfahrung», so Truffer. «Wer trotz erheblicher Lawinengefahr nicht auf Pulverschnee verzichten möchte, ist mit einem Bergführer deshalb sicherer ­unterwegs.»

Erfahrene Bergführer kennen das Gebiet, in dem sie unterwegs sind, und weichen mit ihren Gästen grundsätzlich auf weniger gefährliche Hänge aus.

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