Ein Aufsatz von Pater Joël (76) gibt Einblick in das Denken des pädophilen Priesters
«Diese Worte lassen einen erschaudern»

BLICK hat einen irritierenden Text des pädophilen Pater Joël zwei Psychologie-Experten vorgelegt. Ihre Analysen werfen ein grelles Licht auf den Fall des Wiederholungstäters, der in den letzten Tagen Schlagzeilen gemacht hat.
Publiziert: 16.02.2017 um 12:20 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 09:20 Uhr
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Wenn Philip Jaffé über Pater Joël spricht, braucht er, in Anlehnung an den Begriff «Gutgläu­bigkeit», das Wort Bösgläubigkeit.
Foto: JEAN-GUY PYTHON
Laurent Grabet (Text) und Jean-Guy Python (Fotos)

Der Fall des pädophilen Paters Joël, über den BLICK in den letzten Tagen berichtet hat, bewegt die Schweiz. Über Jahrzehnte missbrauchte der Gottesmann Dutzende von Kindern. 40 Fälle gibt er selber zu, vermutet werden viele mehr. Zur Rechenschaft gezogen wurde der Kapuziner trotzdem nie. Bloss einmal gab es eine Verurteilung zu zwei Jahren bedingt – insbesondere, weil er sich an seinem Neffen vergriffen hatte.

Vorwiegend aber fand der heute 76-Jährige seine Opfer im kirchlichen Umfeld. Eines davon war der Freiburger Daniel Pittet (57), der als Neunjähriger zum ersten Mal vom Pädo-Priester missbraucht wurde. Sein Martyrium dauerte vier Jahre, an den Folgen leidet er noch immer. Anfang Woche ist Pittets Buch «Mon Père, je vous pardonne» (sinngemäss: «Hochwürden, ich vergebe Ihnen») erschienen. In diesem erschütternden Bericht, zu dem Papst Franziskus das Vorwort geschrieben hat, schildert Pittet minutiös und ungeschönt das Erlebte.

Wie kann ein Mann einem Kind so etwas antun? Was geht in ihm vor? Wie ist das möglich? «Ich war mir nicht bewusst, dass ich diese Jungen manipulierte», sagte Pater Joël, als BLICK ihn in seinem Deutschschweizer Kloster besuchte. «Ich fühlte mich ihnen gegenüber selber wie ein Kind.» Er sei mit pädophilen Neigungen geboren und werde sie ein Leben lang in sich tragen. «Pädophilie erwischt man nicht wie eine Grippe.»

«Ein Kind mit Namen Claude»

Was im Kopf eines Pädophilen vorgeht, lässt sich im Fall von Pater Joël aus einem Text erahnen, den er in jüngeren Jahren geschrieben hat. «Ein Kind mit Namen Claude» heisst der langfädig-schwülstige und heute aufschlussreiche Aufsatz, in dem er sich auf Französisch über das Wesen von Kindern auslässt – und ganz speziell über ein bestimmtes Kind. Er nennt es Claude. In Wahrheit ist es Daniel Pittet, sein Missbrauchsopfer.

«Man bildete sich ein, Claude zu kennen», steht da etwa. «Er gab sich einfach hin (…) Und eines Tages, fast übergangslos, verstehen wir seine Reaktionen nicht mehr. Etwas hat sich geändert (…) Und Claude kann keine Gründe für den Wandel angeben, wenn man ihn dazu befragt …»

Dabei weiss der Kinderschänder ganz genau, warum sich dieser «Claude» plötzlich gewandelt hat: Im Moment, da Pater Joël die Zeilen schreibt, ist ihm Daniel Pittet schon ins Netz gegangen. Seit ein paar Wochen vergewaltigt er den Bub regelmässig. Der kleine Ministrant ist gerade mal neun Jahre alt.

Ausgerechnet in einer Familienzeitschrift

Erschienen sind diese irritierenden Worte 1968 in der November/Dezember-Ausgabe von «Foyers». Diese Familienzeitschrift wurde von den Westschweizer Sektionen des Seraphischen Liebeswerks publiziert, dem Kinderhilfswerk des Kapuzinerordens. Pater Joël erklärt als Autor des Beitrags gleich zu Beginn, der Vorname sei erfunden: «Man muss ihm ja einen Namen geben. Also nennen wir ihn Claude.» Dabei ist diese Vorsichtsmassnahme eigentlich gar keine. Denn drei schöne Bilder des jungen Daniel Pittet illustrieren den Beitrag. Aufgenommen hat sie Fotonarr Joël selbst.

«Attitüde eines Unschuldslamms»

«Diese Zeilen lassen einen erschaudern», sagt dazu Philip Jaffé, Psychologie- und Kinderrechtsprofessor an der Universität Genf. Für BLICK hat er den damaligen Artikel des pädophilen Priesters analysiert. Jaffé, der auch als Gerichtspsychologe tätig ist, hat schon einiges zu Gesicht bekommen. Bezogen auf Pater Joël spricht er, in Anlehnung an den Begriff «Gutgläubigkeit», von Bösgläubigkeit. «Der Pädophile beschreibt hier zwischen den Zeilen hochtrabend und mit einer unglaublichen Unschuldslamm-Attitüde, was er seinem Opfer gerade antut. Er lässt sich über plötzliche Verhaltensänderungen aus, die er selbst verursacht hat, und tut so, als ob sie ihn erstaunen würden. Im Nachhinein ist offensichtlich, dass hier ein Erwachsener neugierig in die Intimität des Buben eindringt und ihn in seine Macht bringen will. Aus diesen paar Zeilen spürt man die extreme Kontrolle im Samthandschuh, die er bis ins letzte Detail über das Kind ausübt: seine Intimsphäre, seinen Körper, seine Sexualität und sogar sein Bild.»

Als Experte enthüllt er auch die Doppelbödigkeit der Bilder zum Text: «Dieser Mann veräppelt seine Leser. Er macht sein Opfer zu einem schön wirkenden Objekt und zeigt es in unschuldigen Bildern, dabei hält er von ihm vor allem auch pornografische Aufnahmen fest. Man spürt da eine intelligente, aber total narzisstische Person heraus, einen Manipulationsspezialisten, der fast völlig unfähig ist, sich in das Kind hineinzuversetzen.»

Anleitung zur Kindesverführung

Panteleimon Giannakopoulos, Psychiatrie-Professor und medizinischer Leiter der geschlossenen Genfer Anstalt Curabilis, unterstreicht die besserwisserische Haltung, die Pater Joël im Artikel einnimmt – «einem Artikel, aus dem seine Kenntnis der Kindheit und seine Faszina­tion dafür hervorgehen». Tatsächlich hatte sich der Priester auch mit psychologischen Studien befasst und nutzte sein Wissen, um die Opfer zu manipulieren.

«Letztlich beschreibt sein Artikel, wie man sich verhalten muss, um ein Kind zu verführen», sagt Giannakopoulos. «Wirklich anzügliche Elemente sind darin nicht zu finden, aber eine zumindest erstaunliche Fixiertheit auf die Kindheit. Ich wäre fassungslos gewesen, hätte ich den Beitrag zum Zeitpunkt seines Erscheinens gelesen. Der Verantwortliche hätte den Schreiber aufsuchen und ihn zur Rede stellen müssen!» Offenbar hat dies im stockkatholischen Freiburg von damals niemand gewagt. Pater Joël konnte praktisch überall und vor aller Augen mit seinem jungen Opfer auftauchen.

Es geht um weit mehr als Sex

Für Giannakopoulos wie für Jaffé gehört nach dem Lesen dieser Zeilen Pater Joël offensichtlich zur Kategorie der sogenannten «fixierten Pädophilen». Personen also, deren sexuelles Verlangen sich sehr früh auf junge Menschen eines bestimmten Alters festgelegt hat und die ein grosses Bedürfnis nach egoistisch orientierter Zuneigung haben. Sie glauben, das Kind oder der Jugendliche könne ihnen diese geben.

Allerdings geht dieses Krankheitsbild weit über das Sexuelle hinaus. «Solche Menschen beziehen praktisch alle zentralen Aspekte ihres Lebens auf eine idealisierte Vorstellung der Kindheit. Sie verweigern sich der Erwachsenenwelt, haben Angst davor und suchen Zuflucht in einer eingebildeten kindlichen Reinheit, von der für sie etwas Magisches ausgeht.»

Ein «fixierter Pädophiler» ist gemäss Giannakopoulos bis heute nicht heilbar. Eine über mehrere Jahre regelmässig absolvierte Therapie könne ihm aber in hohem Mass helfen, seine Triebe zu zähmen.

Übersetzung: Jean-Paul Käser

«Beweg dich mehr! Halt dich still!»

Der Gegensatz könnte kaum grösser sein: Das sülzige Schwadronieren von Pater Joël über Kinder – und was er seinen Opfern angetan hat. Daniel Pittet schreibt, was Sache ist. Damit seine Leserinnen und Leser den Horror einer Vergewaltigung nachvollziehen können. Davon zeugt dieser Auszug:

Er führte regelrecht Regie

«Der Priester missbrauchte mich nicht nur auf jede erdenkliche Weise, er zwang mich auch zu pornografischen Shootings. Er nahm mich nackt auf, inklusive Nahaufnamen von meinem Zipfelchen, sein Ding in meinem Hintern. Er führte regelrecht Regie: ‹Beweg dich mehr, beweg dich mehr …! Lass das Sperma …! Halt dich still!› Klick. Klack.

Eines der Zimmer im Kloster war ein Fotolabor, da führt er mich hin. Da entwickelte er die Schmuddelfotos. Er legte die Abzüge in ein Bad, liess sie entwickeln, nahm sie raus und hängte sie auf. Alles im Dunkeln. Oft ging es dann von vorne los, weil er auf was anderes Lust bekommen hatte. Dann kam ich wieder an die Kasse!

Wie in einem Horrorfilm

Ihm passte das, er hatte seine Freude daran, es war seinem Gesicht anzusehen. Er vergewaltigte mich im Dunkeln, ich lag am Boden, er über mir. Diese Fotos, das war das Allerschlimmste, das war wie in einem Horrorfilm. Wenn er ejakulierte, hatte ich das Gesicht voll. ‹Lass, lass!› Er war in Hochstimmung – und schoss Fotos. Klick. Klack.

Daniel Pittet nimmt in seinem Buch kein Blatt vor den Mund.
Daniel Pittet nimmt in seinem Buch kein Blatt vor den Mund.
Jean-Guy Python/independant

Der Gegensatz könnte kaum grösser sein: Das sülzige Schwadronieren von Pater Joël über Kinder – und was er seinen Opfern angetan hat. Daniel Pittet schreibt, was Sache ist. Damit seine Leserinnen und Leser den Horror einer Vergewaltigung nachvollziehen können. Davon zeugt dieser Auszug:

Er führte regelrecht Regie

«Der Priester missbrauchte mich nicht nur auf jede erdenkliche Weise, er zwang mich auch zu pornografischen Shootings. Er nahm mich nackt auf, inklusive Nahaufnamen von meinem Zipfelchen, sein Ding in meinem Hintern. Er führte regelrecht Regie: ‹Beweg dich mehr, beweg dich mehr …! Lass das Sperma …! Halt dich still!› Klick. Klack.

Eines der Zimmer im Kloster war ein Fotolabor, da führt er mich hin. Da entwickelte er die Schmuddelfotos. Er legte die Abzüge in ein Bad, liess sie entwickeln, nahm sie raus und hängte sie auf. Alles im Dunkeln. Oft ging es dann von vorne los, weil er auf was anderes Lust bekommen hatte. Dann kam ich wieder an die Kasse!

Wie in einem Horrorfilm

Ihm passte das, er hatte seine Freude daran, es war seinem Gesicht anzusehen. Er vergewaltigte mich im Dunkeln, ich lag am Boden, er über mir. Diese Fotos, das war das Allerschlimmste, das war wie in einem Horrorfilm. Wenn er ejakulierte, hatte ich das Gesicht voll. ‹Lass, lass!› Er war in Hochstimmung – und schoss Fotos. Klick. Klack.

 

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